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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Christel ist natürlich fest der Ansicht, daß das Kind gar nicht weiß, was es spricht, und will eben von etwas anderem beginnen, da sagt Edith: „Tante Tonette behauptet nämlich, sie sei in gräßlicher Sorge um mich, sie wüßte gar nicht, wo ich überhaupt eine ‚Partie‘ kennenlernen sollte – wir verkehren ja nirgends, aus leicht begreiflichen Gründen.“

„Machen Sie sich auch Sorge darum, Fräulein Edith?“ lächelt Christel.

„Ich? Gar nicht!“ sagt stolz das Mädchen und überläßt es Christel, die Gründe für dieses „Gar nicht!“ zu suchen. Ob es Siegesgewißheit ist, daß ihr so und so viele huldigen werden, oder das Bewußtsein, daß sie noch viel, sehr viel Zeit hat mit ihren achtzehn Jahren?

Christel will eben dieserhalb fragen, da tritt ihr Mann ins Zimmer: er ist in der Hausjoppe und hält einen weichen Filzhut in der Hand. Er grüßt das junge Mädchen übertrieben respektvoll und wirft Christel einen verdrießlichen Blick zu, als wolle er sagen: „Schon wieder ist sie hier?“ Dann, den Haufen Puppen auf dem Teppich gewahrend, bleibt er stehen und betrachtet ihn nachdenklich.

„Für die Tagelöhnerkinder zu Weihnacht opfert Fräulein Edith ihre Puppen,“ erklärt Christel.

„Ja,“ nickt das Mädchen, „ich hoffe, die Würmer bekommen beschert im Schloß? Meine Mutter hat mir erzählt, es sei hier früher so Brauch gewesen. Und ein bißchen weihnachtlich muß es doch sein,“ spricht sie weiter, und mit einem unbeschreiblich holden, naiven Mitleid sieht sie von Christel zu dem stattlichen Mann hinüber. „Wie schade, daß Sie keine Kinder haben, ich würde Ihnen gern helfen bei der Weihnachtsvorbereitung, es ist zu süß und lieb! Emma von Zobels kleinem Bruder habe ich einen herrlichen Elefanten gemacht im vorigen Jahr, aus grauem Barchent, und Puppenkleider schneidern, das ist nun gar meine größte Lust!“

Christel ist blaß geworden, und ihre Blicke hängen angstvoll an Anton. Der steht und streicht seinen blonden Bart und sieht Edith an, als habe er kaum gehört, was sie sagte, und in seinen Augen liegt es wie Schatten. Das Stubenmädchen, das meldet, der Kaffee sei serviert, überhebt das Ehepaar einer Antwort. Christel steht auf, hängt das Schlüsselkörbchen an den Arm, und an den andern hängt sich Edith.

„Darf ich mitkommen? Ach bitte, Frau Christel, lassen Sie mich! Tante Tonette kramt ja doch nur wieder den ganzen Nachmittag in alten Briefen – – ach Gott, wenn wir doch wenigstens Eisbahn hier hätten!“ ruft sie.

Anton geht hinter den Frauen her. Edith ist so groß wie Christel, aber sie hat ein Figürchen, wie um ins Rokokoschränkchen gestellt zu werden, mitten zwischen die Schäfer und Schäferinnen aus vieux Saxe, die Fräulein Tonette nun doch an einen Antiquitätenhändler verkaufen will, so biegsam und schlank. Das Trauerkleid läßt sie noch elfenhafter erscheinen; dazu steht der kindliche Schnitt der Bluse reizend im Gegensatz zu ihrer Größe, und der griechische Knoten am Hinterkopf giebt dem Gesicht im Profil etwas von einer antiken Kamee. Zum erstenmal fällt ihm auf, wie plump Christels Taille in den letzten Jahren geworden ist.

Er spricht bei dem Vesper fast kein Wort; Christel ist ganz ärgerlich über ihn. „Gehst du nachher einen Augenblick mit zu Pastors?“ fragt sie endlich. Er schüttelt den Kopf. „Ich fahre im Schlitten nach Wehrden: ich will den Schmied selbst sprechen, der Beschlag der Rappen kann so nicht bleiben, beide streifen sich vorn.“

„Anto, da könntest du – –“ bittet Christel.

„Nun?“

„Dem kleinen Anto sein Geburtstag ist – du könntest ihm ja keine größere Freude machen: hole ihn ab aus der Pfarre, bitte, bitte!“

„Offen gestanden, Christel, das paßt mir nicht; es ist bitterkalt und Ostwind – der Teufel kann ja sein Spiel haben. Mit anderer Leute Kindern? – nee!“

Mit anderer Leute Kindern? Sie sieht ihn ganz befremdet an, es hat so eigentümlich geklungen. Natürlich hat er recht, aber – „der Ton macht die Musik“, pflegt ihre Mutter zu sagen.

Edith hat während dieses Gespräches zum Fenster hinausgesehen, und auf einmal sagt sie und die Lust dazu blitzt ihr unter den Wimpern hervor: „Nehmen Sie mich mit, Herr Mohrmann, bitte!“ Er setzt seine Tasse, die er eben zum Munde führen will, wieder hin und über seine Stirn fliegt ein hohes Rot. „Sie werden mir verzeihen, wenn ich Ihren Wunsch nicht erfülle,“ sagt er forciert kalt, „die Rappen gingen noch nie vor dem Schlitten, sie sind jung und etwas heftig. Später, gnädiges Fräulein, wenn die Pferde sich an die Schellen gewöhnt haben –“ Und er erhebt sich, macht eine Verbeugung und verläßt das Zimmer.

„Diesmal haben Sie recht, Frau Christel,“ lacht Edith von Ebradt unbefangen, „er ist nicht sehr zuvorkommend. Aber Sie wollen zu dem kleinen Geburtstagskinde, ich darf Sie nicht länger stören. Auf Wiedersehen!“ Sie umhalst plötzlich die blonde starke Frau und giebt ihr einen Kuß. „Ach, ich freue mich auf die Schlafenszeit,“ ruft sie von der Thür zurück: „wozu wacht man eigentlich auf? Ich möchte schlafen – schlafen –“

„Bis der reiche Freier kommt,“ sagt Christel scherzend. Edith ist verschwunden, aber ihr Lachen schallt noch von draußen herein.

Nach einem Weilchen klingen Glocken, und just als Christel das Portal betritt, fährt der Schlitten vor. Sie steht da, sehr stattlich, in einem modernen seidenbezogenen Pelz, ein Capotthütchen mit Straußfedern auf dem Kopfe, und ruft ihrem Gatten, der im Begriff ist, die Zügel dem Kutscher abzunehmen, freundlich zu: „Ich möchte nur wissen, ob ich auch einen Korb bekomme, wenn ich dich bitte, mich mitzunehmen?“

„Bitte, fahr’ nur mit,“ sagt er, zur Seite rückend.

Sie steigt hinunter und setzt sich neben ihn. „So, mir schadt’s nichts, wenn die Rappen durchgehen?“ fragt sie heiter.

„Die Rappen gehen nicht durch,“ antwortet er, ohne eine Miene zu verziehen.

„Aber – Anto! Und dann lügst du so?“ schilt sie, während sie langsam über den Wirtschaftshof fahren.

„Ich finde, Fräulein von Ebradt kommt recht oft jetzt,“ bemerkt er ausweichend.

„Laß sie doch, Anto! Sie ist ein zutrauliches Geschöpf und so einsam: die alte Tonette mag nicht gerad’ sehr unterhaltend sein.“

Er sieht jetzt beinahe ärgerlich aus. „Sind wir dazu verpflichtet, sie – sie – –?“

„Nein! Aber ich muß dir sagen, Anto, in den langen Wintertagen, wo ich so allein bin, besonders wenn du auf die Jagd gehst – es zieht mich so ab von meinen Gedanken, wenn sie kommt, und wenn sie da so sitzt auf der Estrade, dann –“ Sie verstummt, sie will sagen: „ist es mir, als wär’s meine Tochter.“ „Sie ist zu originell,“ spricht sie statt dessen.

Der Schlitten fährt jetzt in der Allee; der Kutscher, in langem Pelz und russischer Bärenmütze, sitzt hinten auf.

„Denke dir nur,“ fährt Christel fort, „sie erzählte mir da, sie hätte eine Liebe – Jesus!“ schreit sie dann auf, die Rappen sind im Galopp angesprungen und rasen an hundert Meter in der Allee dahin, dann beruhigen sie sich. „Kannst du aber böse aussehen, Anto,“ sagt Christel aufatmend, „was war denn das? Bitte, halte dort an der Ecke, ich will ja zu Pastors!“

Er hält nach ein paar Sekunden. „Adieu, Anto, komm’ nur gut wieder heim,“ wünscht sie, ihn besorgt anschauend.

„Aengstige dich nicht,“ antwortet er ruhig. „Wie lange bleibst du? Soll ich dich abholen auf dem Rückwege?“

„Das wäre nett von dir, besonders wenn du dann noch einen Augenblick herein kommst.“

Er verspricht es, und dann geht Frau Christel die Dorfstraße entlang; die Seide ihres Pelzes raschelt, und sie kommt sich vor wie auf einer Maskerade, wenn sie daran denkt, daß sie vor ein paar Monaten noch einfach im Umschlagetuch über dem Hauskleid und in der Wirtschaftsschürze genau denselben Weg gegangen ist; aber das erlaubt Anton nicht mehr. Im Pastorhause ist sie schon lange erwartet, und die Kinderschar, der kleine Held des Tages voran, stürzt ihr jubelnd entgegen. Frau Pastorin hat festlich den Theetisch gedeckt, auf ihm prangt die Geburtstagstorte, die Tante Christel schon am Morgen geschickt, und die Sparbüchse mit dem Goldstück von Onkel Anto hält der Kleine in der Hand und läßt es klappern. Sie sitzen dann bald um den Tisch, Tante Louischen schenkt Kaffee ein und nebenan in der Wohnstube wird von den Kindern – es sind noch des Gemeindevorstandes und des Kantors Jungen eingeladen – Lotto gespielt.

Christel sieht von Zeit zu Zeit mit traurigen Augen hinüber nach dem Zimmer, wo sich acht bis zehn braune und blonde Köpfe über den Tisch beugen, und es muß etwas sein in ihren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0071.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2020)