Seite:Die Gartenlaube (1898) 0081.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

der guten Dame in der Dämmerstunde zuzuhören, wenn sie auf ihrem heisern, alten Klavierchen spielte, was sie mit einer für ihre ganze Person merkwürdigen Zartheit zu thun verstand. Wie lebhaft erinnere ich mich noch jener Abendstunden! Sanft und leise überkam uns die Dämmerung, bis das rote Fünkchen an meiner Cigarre das einzige Sichtbare im Zimmer war, und dabei ließen sich, so gewissermaßen von unsichtbarer Hand gespielt, die einfachen, alten Melodien hören, die doch immer am sichersten den Weg zum Herzen finden. Ja, diese Stunden waren sehr hübsch – wirklich sehr hübsch! Man sieht, Fräulein von Stettendorf und ich waren mit der Zeit sehr gute Freunde geworden, wie dies manchmal mit jung und alt so gehen kann.

Ich war in dieser Zeit auch gerade recht auf solche Art Verkehr gestimmt und zugeschnitten, denn ich hatte mir aus meiner letzten Garnison eine beträchtliche Herzenswunde mitgebracht, die mich etwas irritierte, weil sie ganz und gar keine Anstalt machte, so schnell zu heilen, wie das derartige Wunden sonst bei mir zu thun in der Mode hatten. Zu dieser inneren Verfassung stimmte die dämmerige Klavierspielerei meiner alten Freundin sehr gut – es ließ sich dabei so hübsch von Dingen träumen, die gewesen waren, und die noch kommen sollten – oder doch kommen konnten.

Meine Gönnerin hatte natürlich in Andeutungen die ganze Geschichte mit anhören müssen, so weit man sie eine Geschichte zu nennen berechtigt ist.

Ich hatte ihr mit dem in solchen Fällen üblichen schmerzlichen Behagen erzählt, wie ich in meinem vorigen Anfenthaltsort eine junge Dame kennengelernt hätte, die sich der blondesten Zöpfe und der blauesten Augen auf diesem elenden Erdenball erfreute – wie mich das Schicksal mit militärischer Rücksichtslosigkeit fortgeschleudert, ehe ich mir die geringste Gewißheit, oder auch nur Ahnung hatte verschaffen können, ob ich in der Erinnerung der heimlich und öffentlich Angebeteten nur im geringsten figurierte. Denn das kleine Fräulein verstand es, sich eine verdammt kühle und undurchdringliche Miene wie eine zierliche Larve vor das reizende Gesicht zu halten – hatte auch ein so beträchtliches Gefolge von Freiern, daß der einzelne in diesem Kometenschweif nur wie ein sehr unbedeutendes Lichtfünkchen zu erscheinen berechtigt war – kurz, ich war mit einem Hasenherzen abgereist und wußte nicht, ob die Herrin meiner Gedanken dem Zuge, der mich von dannen führte, auch nur das kleinste Seufzerchen nachgeschickt hatte – ein sehr unbehaglicher Zustand für einen Mann von Gemüt!

Diese halt- und gestaltlose Liebesgeschichte hatte ich, wie gesagt – natürlich ohne einen Namen dabei zu nennen – meiner alten Freundin so nach und nach anvertraut, und sie kletterte zwar zeitweise ganz tapfer mit mir in den verschiedenen Etagen meines Luftschlosses umher, lachte mich aber noch öfter herzhaft aus ob meines Mangels an Selbstvertrauen. Zu meiner Rechtfertigung sei es gesagt, daß ein solcher Ueberfluß von Bescheidenheit wirklich nur in diesem einen Fall mein Fall war – im ganzen kann ich mit Stolz behaupten, daß ich für einen ganz unverschämten Bengel galt! Meine alte Freundin schüttelte denn auch kräftig den Kopf über die Angelegenheit und gab mir mehrfach zu bedenken, ob es denn nicht im Grunde eine große Thorheit sei, sein Herz einem solchen Prinzeßchen zu Füßen zu legen, welches sich am Ende nicht mal die Mühe nahm, es vom Boden aufzuheben. So standen die Sachen, als ich wieder einmal des Abends zu Fräulein von Stettendorf auf einen kurzen Augenblick hereinguckte. Ich fand sie an ihrem Lieblingsplatz, am Kaminfeuer, eben beschäftigt, einen Brief zu lesen. Sie nickte mir zu, ohne sich durch meinen Eintritt stören zu lassen, wie das eben so ihre Art war. Ich setzte mich ihr gegenüber, den Säbel zwischen den Knieen, die Hände darauf gestützt, und wartete, bis sie mit ihrer Lektüre zu Ende sein würde.

‚So!‘ sagte sie und legte den Brief säuberlich in seine Falten, ‚da bekomme ich Besuch ins Haus, und noch dazu einen, bei dem Sie mir als Adjutant helfen müssen, Rotenberg, die Tochter einer alten Jugendfreundin, die jetzt, mitten in der Saison, fort und zu mir auf die Weide geschickt wird, weil sie ein paar Körbe, und noch dazu ein paar recht unbegreifliche ausgeteilt hat. Ein Goldfischchen, lieber Sohn – ja, spitzen Sie nur die Ohren – und ein niedliches noch dazu! Das wäre am Ende eine homöopathische Medizin für Sie – na? wie denken Sie über die Sache?‘

Ich zuckte seelenvoll die Achseln. ‚Für mich ist Spiel und Tanz vorbei!‘ sagte ich mit dem Brustton des Besitzers einer unglücklichen Liebe.

‚Nur nicht elegisch!‘ erwiderte sie munter, ‚Sie wissen, das vertrag’ ich nicht in größeren Dosen. Na, sei dem, wie ihm wolle – – wenn Sie das nächste Mal herkommen, finden Sie etwas Junges und Hübsches am Kaminfeuer, und das müssen Sie mir unterhalten helfen – Vergnügungsprogramm entwerfen, Schlittschuh laufen, für Tänzer sorgen – kurz, was man so von einem Jüngling Ihres Alters und Aussehens ungefähr zu verlangen und zu erwarten berechtigt ist. Zum Glück haben wir ja den vielbesprochenen Maskenball in sicherer Aussicht, da kann mein junger Besuch gleich mit beiden Flügeln ins schönste Amüsement hinein flattern – und Sie flattern mit – nicht wahr, das thun Sie mir zuliebe?‘

Ich erklärte mich selbstverständlich für Wachs in ihren Händen und als solches widerstandslos bereit, mich zum Bärenführer für unbekannte Nichten oder Freundinnen umkneten zu lassen.

Mit einer Art von trotzigem Vergnügen oder vergnügtem Trotz ging ich wirklich an die Aufgabe, in der für mich insofern ein gewisser Reiz lag, als sich hier vielleicht eine Gelegenheit bot, mir selbst zu beweisen, daß ich nicht für alle junge Mädchen so ungefährlich sei, als ich es für die blonde Ines gewesen war, die mir so hartnäckig im Kopfe herumging.

Nach einiger Zeit erfuhr ich, das erwartete Fräulein sei eingetroffen, und beschloß, nun auch das meinige zu thun.

Ich legte meinen besten Ueberrock an, wichste mir den Schnurrbart höchst unternehmend in die Höhe und schickte mich an, so als Herzbrecher frisiert, mich zu meiner alten Gönnerin zu begeben. Wenn sich die Nichte nicht in mich verliebte und in dieser Empfindung genügend Amüsement und Zerstreuung für ihren Besuch bei der Tante fand – an mir sollte es wenigstens

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0081.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2019)