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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

nicht gelegen haben! Ein bißchen neugierig war ich nebenbei auch, wie das Goldfischchen aussehen möchte, das da so glitzernd auf der unbekannten Zukunftswelle angeschwommen kam – das Unbekannte hat ja für die Jugend immer einen besondern Zauber – kurz, die Sache ließ sich hoffnungsreich an!

Als ich so, gerüstet, gestiefelt und gespornt wie ein junger Ritter zu seiner ersten Waffenthat, ausziehe und die Anlagen herunter klirre, kommt mir eine junge Dame entgegen, mit ein paar Päckchen in der Hand und einem Veilchenstrauß im Knopfloch, das Näschen etwas hoch in die Luft gereckt. Ich denke denn doch, der Blitz schlägt vor mir ein: meine Angebetete aus M……. in eigenster, anmutigster Person!

Sie erkannte mich auch sofort, das sah ich, denn ein tiefes Rot der Ueberraschung schoß ihr in die Wangen. Aber diese Signalflagge der Herzensbefangenheit brauchte ich mir gar nicht zu meinen Gunsten zu deuten; sie wurde, wie ich erfahren und beobachtet hatte, für Freund und Feind, für ehemalige Lehrer und augenblickliche Tänzer aufgezogen, wie das so manche zarte Mädchengesichter an sich haben – sich selbst zum tiefen Verdruß – und andern Leuten zu Spaß und Vergnügen. Nun, in jedem Fall wurde sie rot und ich noch röter – alle meine Vorsätze und Absichten auf die Nichte der Tante zerschmolzen in dem Augenblick wie Schnee an den Strahlen der Märzsonne. Ich war mit zwei Schritten neben ihr, und ohne zu bedenken, wie sehr mein Verfahren gegen die hergebrachte Form verstieß, die es verbietet, eine junge Dame auf der Straße so mir nichts, dir nichts anzureden – ohne dies oder irgend sonst etwas zu bedenken, legte ich die Hand an die Mütze –

‚Mein gnädiges Fräulein – welch unerwartetes Vergnügen –‘

Aber sie – die Nase noch einen Zoll höher gereckt, sieht mich so recht von oben bis unten kühl und abweisend an.

‚Sie sind auch hier, Herr von Rotenberg? sehr nett!‘ sagt sie, neigt den Kopf, genau gerechnet um zweiundeinenhalben Centimeter, macht eine kleine Wendung auf dem spitzigen Absatz und dreht um – einfach um – wie man gar nicht „ummer“ drehen kann – und da stand ich, und dachte, wie das dem Normalmenschen in solchem Fall zukommt und gebührt: ‚Da hast du’s!‘

Ich sah dem schlanken, zierlichen Mädchen noch ein paar Augenblicke halb betäubt und ganz verdonnert nach, ich hatte wieder einmal die Empfindung, ein so recht hübsches kaltes Sturzbad über den Kopf bekommen zu haben, wie mir dergleichen von derselben niedlichen Hand schon öfter zu teil geworden war – und wenn das nicht immer angenehm ist, so kann es doch unter Umständen sehr zuträglich sein!

Man muß – jetzt, wo die schönen Tage von Aranjuez vorbei sind, kann ich’s ja wohl ruhig sagen! – man muß ein hübscher Bursche gewesen sein, einer, der im großen und ganzen ein ebenso unverdientes wie erfreuliches Glück bei Damen hatte, der sich vor Cotillonschleifen und -Orden auf den Bällen nicht zu lassen und zu fassen wußte – ein solcher Bursche mußte man sein, um zu empfinden, wie heimtückisch es das Schicksal manchmal einrichtet, daß gerade die eine, von der man gern ausgezeichnet sein oder der man doch wenigstens nicht unsympathisch sein möchte, was doch wirklich ein bescheidener Anspruch ist – daß gerade diese eine, sag’ ich, jedesmal zwei Grad unter Null gefriert, wenn man ihr zufällig oder absichtlich in die Nähe kommt.

Aber alles findet seine Grenze und der Mann hat seinen Stolz. Mir war nun genug widerfahren – oder ich glaubte es doch wenigstens – und ging im frischen Eindruck dieses Erlebnisses mit doppeltem Feuereifer daran, der unbekannten Nichte meiner Gönnerin zu hofieren.

Einen Tag oder zwei vor meiner unerwarteten Begegnung mit Ines war sie – die Nichte – angekommen; da war es ja immer noch Zeit, ihr einen Willkommensstrauß zu schicken. Ich bestellte denn einen, so groß wie ein Schulglobus für die Prima, und schickte ihn mit meiner Karte an Fräulein von Stettendorf – denn als ich adressieren wollte, fiel mir zu meiner Beschämung ein, daß ich mich nach dem Namen der Nichte noch gar nicht erkundigt hatte.

Ich schrieb daher auf die Karte ein paar gefühlvolle Worte von ‚aufgehender Sonne‘ und ‚ehrfurchtsvollster Begrüßung‘, die nicht undeutlich durchblicken ließen, daß ich gesonnen und gewillt sei, mich mit Leib und Leben für die nächste Zeit in den Dienst dieser Sonne zu stellen – ich schrieb, was wahrscheinlich sehr blödsinnig ausfiel, mir aber sehr wirkungsvoll vorkam. Ich sagte mich ferner auf derselbigen Karte zu demselbigen Abend an – kurz, ich wollte die Feindseligkeiten nun auch energisch eröffnen.

Die ganze Stadt war in diesen Tagen mit Vorbereitungen und Gedanken zu dem schon erwähnten Maskenball beschäftigt – alles that höchst geheimnisvoll, denn der Hauptspaß in der unter sich so genau bekannten Gesellschaft war, sich einmal möglichst unbekannt gegenüber zu treten und unter dieser Tarnkappe in Scherz und Ernst, in Huldigung oder leichter Bosheit sich allerlei zu sagen und merken zu lassen, was man im Alltagsleben für sich behielt.

Ich hatte mich noch gar nicht mit irgend welchen Gedanken in betreff meines Kostüms beschäftigt und, ehrlich gesagt, jetzt und heute den ganzen Maskentrubel so ein bißchen aus dem Sinn verloren – besonders bei dem unerwarteten Wiedersehen, das mir geworden war. Aber als ich an diesem Abend zu meiner alten Freundin kam, war dafür gesorgt, daß mir das betreffende Fest wieder nahe vor Augen gerückt wurde.

Das große Wohnzimmer bei Fräulein von Stettendorf war im ganzen ziemlich dämmerig, die Lampe, aufs Kamintischchen gerückt, gab nicht genug Licht, um alle Ecken zu erhellen. Als ich hereinkam, sah ich, selbst im Dunkeln stehend, die altbekannte Tante und die unbekannte Nichte in jenem hellerleuchteten Teil des Zimmers sitzen und einen ganzen Stoß Modebilder miteinander beaugenscheinigen, die Trachten von Anno dazumal Anna Domini, wie ein Freund von mir ganz unbefangen sagte, der diese Anna wahrscheinlich für eine Heilige hielt – also Trachten von Anno dazumal zu beaugenscheinigen, über die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0082.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2019)