Seite:Die Gartenlaube (1898) 0096.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Verweis an jene, welche den Dank des Volkes für dieses „Geschenk seiner Gnade“ ihm hatten verkümmern wollen. Inmitten der Kroninsignien stehend, gab er weiter die feierliche Erklärung ab, daß es keiner Macht der Erde je gelingen solle, ihn zu bewegen, das in Preußen althergebrachte Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konstitutionelles zu wandeln; nie und nimmermehr werde er zugeben, daß sich zwischen dem Herrgott im Himmel und seinem Land ein beschriebenes Blatt als eine zweite Vorsehung eindränge, um ihn mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte heil’ge Treue zu ersetzen! Auch diese Rede war glänzend, aber der Beifall blieb aus.

E. v. Bodelschwingh.

Ihr „Nie und nimmermehr!“ in Bezug auf einen Anspruch, der vielen als „verbrieftes Recht“ erschien, der willkürliche Vorbehalt, den Landtag nur nach Bedarf einrufen zu wollen, was eine regelmäßige Erfüllung seiner Pflichten ausschloß, erweckte eine Opposition, wie sie der König gleichfalls „nie und nimmermehr“ für möglich gehalten.

Das waren nicht nur „verbissene Demagogen“, die nun in dem Landtag ihre Stimme gegen ihn erhoben; nein, Vertreter der ältesten Adelsgeschlechter seiner altpreußischen Provinzen, wie Graf Schwerin, Alfred v. Auerswald, die ersten Männer des rheinischen Großhandels und der dortigen Großindustrie, die ihm einst in Köln zugejubelt, wie Beckerath, Hansemann, Mevissen, Camphausen, Söhne aus altbewährten Beamtenfamilien, wie der Westfale Georg v. Vincke, der geradezu als Führer der Opposition auftrat. Sie alle verlangten, daß von ihnen mitberaten und als Recht verbrieft werde, was der König nur als Gnade gewähren wollte. Johann Jacoby und Heinrich Simon, die nun längst schon mit den Hallgartner Verbündeten in Verkehr standen, waren nicht selbst Abgeordnete, nahmen jedoch während der Session Aufenthalt in Berlin, wo sie voll Eifer ihren Einfluß auf die Beschlüsse ihrer Gesinnungsgenossen im Landtag geltend machten. Den Anlaß zur Einberufung hatte der Bau einer Eisenbahn gebildet, die Königsberg mit Berlin verbinden sollte; der Landtag sollte die nötige Anleihe bewilligen. Als dieser nun die Bewilligung verweigerte, bis eine regelmäßige Einberufung gesetzlich ausgesprochen sei, da wandte ihm der König zornig den Rücken. Was auch im weiteren Verlauf der Sitzung an Wünschen laut ward, ob es den Notstand der schlesischen Weber oder die staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden und Dissidenten, ob es die Preßfreiheit oder den politischen Ausbau des Zollvereins betraf, über resultatlose Bitten kam man kaum mehr hinaus. Vergeblich verlangte der Landtag für sich das ungeschmälerte Recht der Teilnahme an der Gesetzgebung, vergeblich protestierte er gegen das Fortbestehen der „Vereinigten Ausschüsse“ aus den Provinzialständen, deren gelegentliche Einberufung für Gesetzgebungszwecke sich der König nach Gutdünken vorbehielt. Der entrüstete „Landesvater“ zeigte den „entarteten Kindern“ die Rute. Minister Bodelschwingh, der den Standpunkt des Königs in all den Verhandlungen zu vertreten hatte, riet umsonst, die periodische Einberufung bald auszusprechen. Nicht ertrotzt, sondern als Gnadengeschenk seiner Huld wollte er sie bewilligen.

Die Eröffnung des ersten „Vereinigten Landtags“ durch König Friedrich Wilhelm IV.
Mit Benutzung eines Bildes der „Illustrierten Zeitung“ (1847) gezeichnet von W. Pape.

In Ungnaden entlassen, ging Ende Juni der Landtag auf unbestimmte Zeit auseinander, und der alte „Vereinigte Ausschuß“ trat dann an seine Stelle, um ein für politische Vergehen reaktionäres Strafgesetz zu beraten. Der maßvolle Rheinländer Ludolf Camphausen faßte hier die Situation treffend in der Klage zusammen: „Als die Stände bis auf die äußerste Grenze vorrückten und, weit hinübergebogen, die Hand zum Ausgleich boten, ist diese Hand im Zorn zurückgewiesen worden. Ein Wort hätte hingereicht, den Verfassungsstreit in Preußen auf immer zu beenden. Es ist nicht gesprochen worden. Die Folgen müssen getragen werden. Die Geschichte aber wird richten zwischen uns und der Regierung!“ Das war im Januar 1848; schon drei Monate später hatte die Geschichte ihres Richteramtes gewaltet.

Der König aber, im zweiundfünfzigsten Lebensjahr stehend, in seinem Unfehlbarkeitsglauben noch nicht beunruhigt durch die Voranzeichen des Leidens, das seinen Geist später umnachten sollte, im Vollbesitze der ihm vom Vater in bester Ordnung überlieferten Machtmittel, fühlte sich dem Sturme, den er heraufbeschworen, gewachsen. Die bösen Landtagsredner und Zeitungsschreiber waren ja nicht das „Volk“, dessen große Masse noch immer, wie er meinte, ehrfurchtsvoll und bewundernd zu ihm emporschaute! Das wollte er beglücken, und stolz im Bewußtsein des Siegers, ging er schon wieder neuen Volksbeglückungsplänen nach. So ganz nur Phrase waren seine verheißungsvollen Worte beim Kölner Domfest doch nicht gewesen: den vielfältigen, immer stärker sich erneuenden Mahnruf, daß es Preußens Beruf sei, die „deutsche Frage“ zu lösen, die allgemein ersehnte Bundesreform durchzuführen, hatte er nicht überhört. Jetzt galt sein Grübeln ihrer Lösung. Aber auch hier war seine Hauptsorge, den ihm so sehr verhaßten Liberalen nur ja kein Zugeständnis zu machen und seiner Idee vom absoluten Königtum einen Triumph zu bereiten.

(Fortsetzung folgt.)




Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0096.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2020)