Seite:Die Gartenlaube (1898) 0104.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

wir schön sind. Siehst Du, und da bin ich nun so boshaft oder schlecht – ist es eigentlich schlecht, wenn man einem Herrn der Schöpfung etwas mehr Geschmack beibringt? – also, so schlecht, daß ich ihn das Bild ‚Christel die Brave und Edith die Hübsche Arm in Arm‘ sehen lasse, so oft es geht. Er beißt dann die Lippen aufeinander und sieht aus dem Fenster oder sonst wohin, aber ich weiß, er hat gesehen. Im übrigen bin ich so unbefangen und kindlich harmlos wie möglich, und Frau Christel verzieht mich riesig. Nur einmal sah ich ihr Gesicht lang werden, das war, als sie neulich in Tante Tonettes Zimmer platzte, wo Mohrmann gerade dabei war, mir Strickgarn zu halten, das ich wickeln wollte.

Es war gar nicht so leicht, ihn dahin zu bringen, aber schrecklich amüsant. Und gerade da muß Frau Christel kommen, die sonst nie unsere Wohnung betritt. Ich sah’s ihm an, es war ihm peinlich, und er ging, wie ein braver Ehemann, mit ihr zugleich ab – o, wie ich mich amüsiert habe! Es war zu drollig; ob er wohl eine Gardinenpredigt bekam?

Neulich dachte ich darüber nach, ob ich Mohrmann hätte heiraten können, wenn das Geschick gewollt, daß er als Junggeselle Wartau kaufte. Und weißt du, wie ich darauf kam? Höre nur, Tante Tonette schrieb an Tante Josepha, plötzlich stand sie vom Schreibtisch auf, legte die Feder hin und ging ganz blaß in ihr Schlafzimmer, hatte ihren Herzkrampf, der immer ein Weilchen dauert. Und da las ich ein bißchen in dem Briefe – auch eine Ungezogenheit aus der Pensionszeit – und was steht da?

‚Ich weiß nicht, ob ich mich irre, ich bilde mir ein, daß Mohrmann nicht glücklich lebt mit seiner Frau. Er ist doch ein recht gebildeter Mensch, sie die reine Küchenlampe. Eine Zeit lang kam er zuweilen in der Dämmerung in mein Zimmer, und dann unterhielten wir uns recht nett mit ihm; er kann über alles mitsprechen. Er sagte, in seines Vaters Hause sei sehr für Kunst geschwärmt worden, so sehr, daß er einen förmlichen Degout davor bekam und sich aus purer Opposition der Natur in die Arme warf. Er hat zwei Jahre in Heidelberg und Halle studiert. Wär’ er los und ledig: trotz seines bürgerlichen Namens wär’ er eine Partie für Edith; es kostete sicher bei unserm teuern König nur ein Wort, eine Erinnerung an Papa, und er gestattete, daß er sich von Mohrmann-Wartau nennen dürfte. Er würde dem Namen auch keine Schande machen, denn er hat sich seine Position spielend erobert. Aber das sind eben nur müßige Gedankenspäne, hübsche Unmöglichkeiten. – Gott weiß, was aus Edith werden soll, so schön und so oberflächlich!‘

Weiß Gott, das stand wirklich da, Ma! Ich spann die Phantasie von Tante noch ein bißchen weiter, abends in meinem Zimmer, das an den großen Bankettsaal grenzt, und fand die Idee gar nicht übel! Das Schloß müßte ganz ausgebaut werden; Mohrmann bemerkte neulich zwar, daß dazu viel Geld gehöre und daß er vorläufig gar nicht daran denke – er und Christel hätten überflüssig Platz im untern Geschoß. Ja, ja, das wäre so übel nicht, aber die brave Christel steht da wie der Engel mit dem feurigen Schwert vor dem Paradiese.

Ach, wenn doch Edi Waldenberg das Majorat erbte! Es ist Pech, daß sein schwindsüchtiger Bruder sich wieder so erholt hat, er sah doch aus, als ob er keine vierzehn Tage mehr leben könnte.

Addio, Ma! Bitte, verlobe Dich nicht zu schnell; ich freue mich so schrecklich auf nächsten Winter. – Findest Du auch, daß ich oberflächlich bin? Es kann ja sein. Ist man aber daran selber schuld? Heute abend war Jagddiner unten. Sie hatten mich eingeladen; Frau Christel saß oben an wie eine der Pagoden, die hier vor mir stehen; sie nickte dann und wann mit dem Kopfe und sah auf einen Fleck und lächelte wie geistesabwesend. Ihr Mann saß mir gegenüber, er war entschieden der hübscheste – sonst waren es meist ältere Herren.

Ach, ich bin müde – bitte, verbrenne den Brief, Du hast’s geschworen!!!

 In inniger Liebe und Treue
 Deine Ditta.“


Sie couvertiert und siegelt mit einem winzigen Wappenring, den sie am Finger zu tragen pflegt, und sucht dann ihr Lager auf, und dort liegt sie noch lange und starrt in die Dunkelheit. Das hat sie Emma von Zobel aber doch nicht geschrieben, daß „Lohengrin“ einen leidenden, gespannten Ausdruck im Gesichte trägt und daß er ihre Nähe meidet, wo er kann. Sie weiß ganz genau, daß das ernste Anzeichen sind, und ein bißchen dämmert ihr, unter Herzklopfen und leichtem Schauer, die Gefährlichkeit des Spiels, das sie treibt.

Aber – was soll denn passieren? Daß mal einer ihretwegen schlecht schläft, daß er sich ein bißchen toll in sie verliebt hat? Das ist ja weiter nichts als ein berauschendes Gefühl für sie; er liegt ja an der Kette, und diese Kette ist nicht zerreißbar; er ist auch viel zu vernünftig. Und Edith kommt sich unglaublich interessant vor, wie eine der Romanheldinnen, von denen ihr krauses Gehirn wimmelt. Emma hat ganz recht, ein unbeschreiblich interessantes Bewußtsein ist es, einen Mann in den berühmten Konflikt von Pflicht und Liebe gestürzt zu haben.

Scheiden lassen wird er sich ja nicht, Gott behüte! Das will Edith auch gar nicht; sie will nur etwas erleben; die brave Christel soll ihn behalten. – Jetzt gähnt sie ganz laut – der Edi, der nette Edi von den Gardedragonern, wird ja wohl das Majorat schließlich noch erben, und daß er sie dann heiraten wird, das unterliegt keinem Zweifel. Neulich, zu ihrem Geburtstage, hat er erst ein Bouquet geschickt. Tante Tonette war so neugierig, zu fragen: „Von wem?“ Als sie dann hörte, von Edi Waldenberg, zuckte sie die Achseln und sprach etwas von aussichtslosen Geschichten. – Wer weiß? Wenn Edis Bruder nur nicht auf die Idee kommt, noch zu heiraten, ehe er stirbt. Ach, diese Ungewißheit! Sie sehnt sich so nach einem behaglichen Heim, einer gesicherten Lage – es ist doch im Leben alles zu dumm, zu verkehrt eingerichtet!

Und Edith legt ihr schönes Köpfchen auf die weichen Kissen und ihr träumt, daß nebenan im Saal getanzt wird – sie mit Edi – nein, mit Lohengrin. Ach, wie er dahin wirbelt, und Edi steht und sieht ihr traurig nach.

Warum hat er das Majorat nicht geerbt, der thörichte Edi! Als ob sie dafür könnte.


Das Weihnachtsfest ist vorübergezogen, ganz still. Im Tafelzimmer hat die Bescherung stattgefunden. Der Pastorsfamilie ist am ersten Feiertage beschert worden, am Heiligen Abend wollte sie unter sich sein. Der kleine Anton ist für den großen nicht aufgebaut unter dem Christbaum im Schloß, die Ausstattung für den Jungen hat Christel ihrer Schwester heimlich zugeschickt.

Fräulein Josepha von Wartau ist am Heiligen Abend auf Besuch gekommen, und die drei Damen haben ihr Bäumchen oben in ihrem Zimmer angebrannt. Josepha hatte entschieden abgelehnt, die Feier gemeinschaftlich mit Mohrmanns zu begehen; so ist denn nur Edith unten bei ihnen gewesen, um den Dorfkindern bescheren zu helfen.

Christel hatte viel zu thun und freute sich, endlich allein zu sein. Ein Weihnachtsbäumchen für sich haben sie nicht angezündet, das erste Mal, seitdem sie verheiratet sind. Keins von beiden hat Verlangen danach gehabt, es liegt auf ihnen wie ein dumpfer Druck.

Aeußerlich, bis auf den Lichterbaum, ist ja alles wie sonst, Christel bemüht sich, freundlich zu sein wie immer, aber sie kann und kann’s nicht verwinden, daß er ihren Herzenswunsch, den kleinen Anton zu adoptieren, nicht erfüllen will. Und wenn’s dieser nicht gewesen wäre, dann ein anderes Kind, das ihm besser gefallen hätte; jedes würde sie mit Freude an ihr Herz geschlossen haben. Aber daß er die Idee überhaupt verwirft, das ist, als sei ihr die letzte Aussicht auf Lebensfreuden vernichtet.

Anton hat auf ihren Teller unter eine Serviette ein Geschenk gelegt. Sie öffnet das rote Sammetetui – eine kleine Brillantbrosche blitzt ihr entgegen – und sie sieht ihn an mit Blicken, die in Thränen funkeln. Was soll das mir? liegt darin. Aber sie giebt ihm doch die Hand und spricht ein herzliches: „Danke, Anto!“ Dann holt sie ihr Geschenk, einen Teppich vor den Schreibtisch und ein Paar Jagdhandschuhe, die sie selbst gestrickt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0104.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2024)