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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Es ist wenig,“ sagt sie mit einem traurigen Lächeln, das die Thränen maskieren soll, „nimm so vorlieb, Anto; was ich dir am liebsten gäbe, das steht ja nicht in meiner Macht.“

„Kind! Kind!“ murmelt er, „laß uns trachten, zufrieden zu bleiben.“

„O ich – ich –“ bricht sie aus, „was liegt an mir! Aber du, denkst du denn, ich sehe dir nicht an, daß du – totunglücklich bist, weil wir allein geblieben sind?“

„Nein, Christel, das bin ich nicht – du denkst falsch und siehst falsch. Nein, was mich drückt, das – geht wieder vorüber, ganz bestimmt; hab’ Geduld mit mir, ich bitte dich, hab’ Geduld!“

Und sie, die nur nach einem guten Worte gedürstet hat, sie ist wie umgewandelt nach dieser Bitte.

„Verzeih’ mir nur, Anto, ich bin so unvernünftig und – du hast gewiß Sorgen. Nein, nein, ich frage nicht darum – wenn ich dir aber helfen kann, dann sagst du es mir wie in alten Tagen – ja?“

„Ja, Christel, wenn du mir helfen kannst, sag’ ich es dir.“

Dann sitzen sie beide in dem großen einsamen Zimmer, und totenstill ist es um sie, ach so totenstill! Auf dem Prunkschränkchen tickt die alte Uhr und spielt wie sonst ihr Liebesliedchen herunter, „La charmante Gabrielle“.

Nichts erinnert an Weihnacht, nichts.

Um zehn Uhr ist Christmette in der Dorfkirche. Anton und Christel gehen nebeneinander hin, sitzen nebeneinander auf der Bank mit der Frau Pastorin im Predigerstuhl. Christel hält die Hand ihres Mannes; mit der süßen Friedensbotschaft will Frieden auch in ihr Herz ziehen. Da fühlt sie, wie diese heiße Hand in der ihrigen zuckt, als gehe ein elektrischer Schlag durch den Körper des Mannes. Sie sieht ihn an und folgt seinen Blicken.

In dem Herrschaftsstuhl droben, gerade in der Mitte über dem Wappen der Wartaus, taucht aus der Dämmerung Ediths schönes blasses Gesicht auf. Die dunklen Wimpern sind noch im Gebet gesenkt. Dann schaut sie hinunter und nickt Frau Christel unbefangen zu.

Die hat jählings die Hand ihres Mannes losgelassen, ein rasendes Herzklopfen überfällt sie.

„Herrgott,“ betet sie, die Hände im Muff zusammengekrampft, „hilf mir diese Gedanken bannen –. Es ist nicht wahr – es ist nicht wahr!“

Anton sieht schon längst wieder gerade aus, und vom Chor herab schallt das alte liebe Weihnachtslied „Vom Himmel hoch da komm’ ich her –“

Das Ehepaar singt nicht mit, als aber der Gottesdienst beendet ist, ist auch Christel wieder Siegerin geworden über sich, und nichts weiter als die Liebe und die Sorge für Anton sind in ihrem Herzen. Und Anton hat ihr den Arm gegeben, obgleich Edith sich ihnen anschließt. Vor ihnen geht der Knecht mit der Laterne, und alle drei schweigen.

„Gute Nacht, Fräulein Edith,“ sagt Christel im Flur des Schlosses freundlich zu dem jungen Mädchen, das im Begriff ist, die Treppe hinaufzusteigen, „und wenn’s Ihnen Spaß macht, die Bescherung der Pastorskinder morgen mit anzusehen, so sind Sie willkommen.“

Und Edith wendet das entzückende Köpfchen und lächelt. „Ich weiß es noch nicht, Frau Christel; die Tanten wollen ja nach Altwitz zu der alten Frau Gräfin. – Ich glaube es kaum –“

Sie freut sich, wie Antons Aufhorchen bei Christels Worten bei den ihren einem Zug getäuschter Erwartung weicht. „Gute Nacht!“ ruft sie nochmals. Es ist natürlich kein Wort wahr, aber zur Strafe für sein mürrisches Schweigen soll er ein wenig zappeln. O, sie weiß ja so genau, was dieser Mann empfindet für sie, obgleich nie ein Wort über seine Lippen kam.

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Zu Neujahr reist Fräulein Josepha wieder ab. Die Damen oben und Mohrmanns unten atmen auf; denn sie ist umhergewandelt wie die gespenstische Ahnfrau selber und hat Unglück prophezeit.

Mohrmanns haben unter anderen Briefen auch die Nachricht von Freund Karl aus Dresden empfangen, daß Bube Numero Fünf eingetroffen sei, just am Weihnachtsabend. Frau Christel müsse Pate stehen, das sei hiermit gesagt, damit später eine Absage nicht komme unter dem Vorwande, die nötige Zeit zur Vorbereitung fehle. Mohrmann legt das Blatt, ohne ein Wort zu sprechen, auf den Tisch und geht seinen täglichen Geschäften nach: zu Festzeiten ist das Auge des Herrn doppelt nötig. Christel denkt, es hat ihm weh gethan, und schreibt sofort eine herzliche Gratulation und vorläufige freundliche Annahme der Patenschaft. Wenn’s Zeit ist, denkt sie, wird sich’s ja finden, ob wir reisen oder nicht.

Anton fängt sein altes Leben wieder an, das heißt, er ist wenig daheim. Einmal war ihm Christel auf der oberen Treppe begegnet, als sie bestimmt geglaubt hatte, er sei ausgegangen.

„Wo kommst du denn her?“ fragt sie.

„Ich habe nach dem alten Inventarverzeichnis in der Bibliothek gesucht,“ ist die Antwort.

„Hast du es gefunden?“

„Noch nicht.“

„Laß mich doch nachsehen, Anto, du kannst ja so schlecht finden,“ schlägt sie freundlich vor.

Er wehrt hastig ab: „Es ist sehr kalt oben, und ein Wust von Staub; wenn da planlos umhergestöbert wird, macht’s doppelte Arbeit nachher. Wir suchen später zusammen, Christel. Die ganze Aufräumerei steht uns so wie so bevor zum Frühjahr,“ fügt er hinzu.

Sie nickt. „Wie du willst, Anto – auf Wiedersehen! Ich muß nach der Wäsche schauen auf dem Boden.“

Als sie vor der Bibliothek vorüber geht, es ist das Turmzimmer, sieht sie ein schwarzes Gebröckel vor der Thür liegen, als sei Torf dort hineingetragen; auch etwas Holz liegt dabei. Sie steht ein Weilchen und sieht’s an, dann steigt sie die letzte Treppe hinauf. Droben hört sie die Waschfrauen miteinander schwatzen, die beim Aufhängen sind.

„Ich wollt’ sie schon ’nausgraulen,“ sagt eben die grobe Stimme der alten Wichern, „die jagte ich heute noch, wenn ich die Frau wär’. So’n Gehabe und Gethue um den Mann – nee – nee – so was –“ Sie verstummt jäh, und ihr erschrecktes Gesicht versteckt sich schleunigst hinter den eben aufgehängten Servietten. Christel taucht in der schmalen Treppenöffnung auf. „Du mein,“ kreischt die Frau, „bin ich erschrocken!“

„Doch nur, weil ihr gottlose Gesellschaft wieder gehörig geklatscht habt,“ sagt Christel heiter. „Dem gnade Gott, der in eure Mäuler gerät!“ Und sie geht an den Leinen entlang und tadelt das junge Hausmädchen, das so ganz gegen alle Regel die Strümpfe aufgehängt hat.

„So, jetzt zeig’ ich dir’s noch einmal,“ sagt sie, „knöpf’ die Augen auf! Das nächste Mal werde ich böse.“ Und dann fragt sie: „Wer von euch heizt denn auf seiner Kammer, ihr Mädchen? Oder thut’s das Fräulein oder der Wilhelm? Ich habe da Torfstückchen gefunden und Holzspäne. Ihr wißt, das soll nicht sein; die Essenanlage ist schlecht auf der Seite, wo ihr wohnt, es kann ein Schadenfeuer entstehen im Umsehen. Ihr habt unten euer warmes Zimmer, da mögt ihr feuern, bis ihr zu Bette geht; das kalte Schlafen wird euch nicht schaden, der Herr und ich heizen auch nicht im Schlafzimmer.“

Die Wirtschafterin zieht ein beleidigtes Gesicht; die Mädchen erklären, sie heizten nicht, und für den Wilhelm wollten sie auch einstehen.

„Vielleicht der Herr in der Bibliothek?“ bemerkt die Mamsell und fixiert Christel.

„Der Herr?“ sagt Christel ruhig, „reden Sie doch nichts, was Sie nicht verantworten können.“

„Ich habe nur Wilhelm neulich mit Torf und Holz nach oben gehen sehen,“ antwortet die Person schnippisch.

„Na, da haben wir’s,“ ruft Christel.

„Wilhelms Zimmer hat gar keinen Ofen,“ berichtigen sämtliche Angeklagte im Chor.

Ach ja! Christel besinnt sich: das ist ein Gelaß ohne Ofen. Sie schweigt, hat aber die Mamsell im Verdacht und beschließt, aufzupassen. Wie sie sich umwendet, zieht die eine der Mägde ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0106.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2020)