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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

stürmische Volksbewegung die Herrschaft des Metternichschen Systems gebrochen; in der Schweiz eine solche siegreich die vom Sonderbund gestörte Einheit erkämpft. Und schon dröhnte über den Rhein her vernehmlich das Grollen des Vulkans, dessen Ausbruch nach weiteren zwei Wochen den Thron Louis Philipps zerschmettern sollte. Da erklang am 12. Februar von der Tribüne der badischen Kammer in Karlsruhe das erlösende Wort „Ein Deutsches Parlament!“, das Wort, welches berufen war, in dem gleich danach auch in Deutschland ausbrechenden Revolutionssturm als Weckund Sammelruf aller Patrioten zu wirken.

Bassermann stellt den Antrag auf ein Deutsches Parlament.
Mittermaier.       v. Itzstein.   Welcker.

Itzstein und Welcker überließen einer jüngeren Kraft, dem Buchhändler Bassermann, die schöne Aufgabe, den Antrag auf Herbeiführung einer Nationalvertretung am Bundestag zur Erzielung gemeinsamer Gesetzgebung und kraftvoller Nationaleinheit zu stellen. In seiner Kritik des Bestehenden brauchte Bassermann nichts Schärferes zu sagen als was im geheimen auch Radowitz’ Denkschrift gesagt hatte. Er aber folgerte aus der bisherigen schmachvollen Pflichtvergessenheit des Bundestags: für die Wiedergeburt von Deutschlands politischer Größe giebt der Bund, wie er ist, keine Hoffnung. „Ein Reichsoberhaupt, ein Reichsgericht sind verschwunden, und das einzige Band politischer Einheit ist eine Versammlung zu Frankfurt, die selbst nach dreißig Jahren nicht vollbringt, was schon in der ersten Zusammenkunft zu geschehen gelobt war. Thätigkeit im Unterdrücken aller freiheitlichen Regungen, Unthätigkeit den gemeinsamen Wünschen und Bedürfnissen der Nation gegenüber, das sind bisher ihre Hauptcharakterzüge gewesen.“ Die unaufschiebbare Bundesreform könne man nach diesen Erfahrungen nicht von den Diplomaten erwarten; die Nation selbst müsse sie in die Hand nehmen. Das berufene Organ dafür sei ein Deutsches Parlament, das den Bundestag mit seiner Macht umgebe. Dasselbe würde am besten aus Bevollmächtigten der Landtage aller Einzelstaaten bestehen. Die Mehrheitsbeschlüsse dieses Parlaments müßten für die letzteren bindende Kraft haben. So werde aus dem zerklüfteten, nach außen ohnmächtigen Staatenbund ein festgegliederter Bundesstaat werden. „Nur in einem freien Parlamente ist die Kraft einer Nation bewahrt … Mit einem Deutschen Parlamente war kein Basler Friede, kein Rheinbund möglich, und nur mit einem Parlamente geht Deutschland der größeren Zukunft entgegen, die wohl viel besprochen und besungen, aber ohne Umgestaltung unserer ungenügenden politischen Formen nicht verwirklicht werden kann. Haben wir gelernt, uns als Eine Nation zu erkennen, so bleibt nun unsere Aufgabe, uns als Eine Nation zu konstituieren.“ An dem Beispiel der nordamerikanischen Union führte er aus, wie in einem großen einigen Staatswesen sehr wohl jeder Einzelstaat seine Selbständigkeit in Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung wahren könne, ohne zu hindern, daß sich über allen die feste Gliederung einer Reichsgemeinde erhebe, mit einer gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt, einer Finanz- und Militärverfassung, mit dem Recht, über Bündnisse, Krieg und Frieden zu entscheiden, mit der Vertretung der Nation nach innen und außen. „Das monarchische Deutschland kann bleiben wie es ist, aber offenbar ist ein Bund, der inmitten der kriegsgerüsteten Großmächte der Alten Welt seine Bestimmung erfüllen soll, in noch höherem Grade einheitsbedürftig als dieses Amerika … Deutschlands größtes Bedürfnis ist, nicht eine Revolution, sondern eine Reform, eine Reform seiner Verfassung! … Dem Zustande der Rechtlosigkeit müssen wir trachten ein Ende zu machen. Die allgemein herrschende Abneigung der Nation gegen ihre oberste Behörde in ein vertrauensvolles Zusammenwirken zu verwandeln, ist der deutschen Fürsten dringendste Aufgabe.“

General v. Radowitz.
Nach einer Lithographie von Schertle.

König Louis Philipp von
Frankreich.

Nach der Lithographie von J. Grund.

Der Antrag fand lebhafte Unterstützung durch die alten Führer Itzstein und Welcker, von lang her die eigentlichen Urheber desselben, ferner durch Kapp, Zittel, Peter und Hecker. Von seiten der Regierung fehlte es nicht an Bedenken, doch kamen sie ohne Schroffheit zum Ausdruck; Minister Bekk warnte davor, mit Revolution zu drohen, man könne damit den zu erwartenden Widerstand nur verstärken. Und dann gelangte der Antrag mit allen gegen 5 Stimmen zur Annahme und wurde zum Druck und zur weiteren Beratung an die Abteilungen verwiesen. Am wärmsten war Welcker für ihn eingetreten; er that es mit dem Feuer, das die Freude an der endlichen Erfüllung von Jugendhoffnungen verleihen muß, für die man gelitten und gestritten und deren Verwirklichung nun doch, trotz aller Macht der Gegner, herannaht. Unter stürmischem Beifall schloß er seine Rede: „Die Zeit geht im Sturmschritt vorwärts. Bevor noch an der Frühlingssonne das Eis der Gebirge taut, wird an der Sonne des Völkerfrühlings das Eis der Reaktion schmelzen. Sorgen Sie für Dämme, damit der Strom nicht Felder und Fluren verwüste! Bedenken Sie das ewige Wort Niebuhrs: das Recht der Völker ist älter und heiliger als das Recht der Dynastien. Möchten wir nie in die Lage kommen, dieses Wort auszusprechen. Wenn die Nationalrepräsentation nicht von oben kommt, so wird sie in anderer Weise kommen, denn Gott verläßt die nicht, welche sich selbst nicht verlassen. Zertrümmert fast liegt das System der Reaktion – die Zeit mehr als unsere Worte unterstützt den Antrag auf Nationalrepräsentation!“

Ja, die Zeit ging im Sturmschritt vorwärts. Und mit der Wucht eines Frühlingssturmes, der das zähe welke Laub abstreift und alles Keimende in jähen Schuß bringt, folgten vom 24. Februar an dem Ruf nach einem Deutschen Parlament die Nachrichten aus Paris: die Revolution hat gesiegt, Louis Philipp

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0112.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2020)