Seite:Die Gartenlaube (1898) 0146.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Da eilen die Bacchanten herein, schwingen ihre Kränze und Tamburine und singen ihm in mächtigem Chor entgegen. „Evoë, Evoë!“ hallt es wieder.

Mit klangvoll freudigen Worten heißt Bacchus alles Volk hinausstürmen in die Lande:

„Ich leite euch mit meiner wilden Schar,
Bacchanten, Faune, Nymphen, strömt herbei,
Durchrast in schönem Wahnsinn die Gelände!
Die Welt soll selig sein am Bakchostag!“

Da heben ihn die Faune auf einen reichgeschmückten Thron und tragen ihn auf ihren Schultern die Stufen hinab, mitten in den Zuschauerraum hinein.

Das war der Höhepunkt, als der festliche Zug dahin wogte, voll hinreißender Fröhlichkeit, die rechts und links zündete. Kränze und Blumen flogen von oben herab und wieder empor, Winken, Zuruf, Musik – „Evoë, Evoë!“ von allen Seiten, und lauter Rhythmus und Harmonie in den dahinschreitenden Gruppen, die dem tollen Bacchantenvolk in Ziegenfell und Weingerank folgten, und über allen thronend des Bacchus jugendliche Lichtgestalt mit hochgeschwungenem Thyrsus, dem mit Epheu und Weinreben umwundenen Stab.

Von der Bühne stiegen immer neue Erscheinungen nieder, die anmutige Schar der Priesterinnen, die Philosophen, Diogenes mit der Laterne voran; die bösen Buben von Korinth waren auch dabei.

Orpheus und Euridyke, zwei lichte Idealgestalten, zogen vorbei mit ihrem thrakischen Gefolge, dessen Gewänder erstaunlich getreu den alten Vasenmalereien nachgebildet waren.

Dann kamen die Semiten des Altertums: Assyrer in steifen Prachtgewändern mit dem feierlichen Kopfschmuck trugen und geleiteten das köstlich dargestellte goldene Kalb; ein Zug jüdischer Harfen- und Cymbelnspielerinnen in langen, buntgestickten Mänteln wirkte höchst eigenartig, ebenso wie die ägyptische Gesellschaft, deren Kostüm und Kopfschmuck, bis ins kleinste getreu, in ihrer sanften Farbenpracht wirkliche Kunstwerke waren.

Auch der „Schwarze Walfisch zu Askalon“ hatte Mittel und Wege gefunden, sich in Lebensgröße anzuschließen, begleitet von dem schwarzen „Hausknecht aus Nubierland“, die Sphinx und die delphische Pythia waren erschienen – wer nennt sie alle!

Man müßte Farbe und Klang in Worte umwandeln können, wollte man erzählen, wie das alles wirkte, durcheinanderwogte und sich seines Lebens freute. Es war etwas von bacchischem Jubel übergeströmt in die Gäste; die Françaisen wurden zu wirklichem Tanz; wo sich ein besonders verehrtes Haupt zeigte, tönte ihm „Evoë, Evoë!“ entgegen, die Faune trieben sich fidel und keck überall herum; die Bühne bevölkerte sich immer neu mit wechselnden Gruppen.

Im Residenztheater, wohin man an dem Festabend durch einen Laubgang aus goldenem Eichengezweig gelangte, wurde getafelt, alle Logen waren zu kleinen Speisezimmern umgeschaffen, aus denen mit Blumen und Sektgläsern herunter gegrüßt wurde. Weise Männer stiegen ins Bierstübel zu einem ruhigen Trunk hinab; die Neugierigen drängten zur Pythia hinein, um ein Orakel zu holen, und kamen lachend aus dem Zelt, denn statt dunkle Weisheit zu spenden, hatte die Pythia auf die Frage der Sphinx: „Warum müssen in Griechenland die Frauen besser gewesen sein als heutzutage?“ erwidert: „Weil von der einzigen Xanthippe gar so viel Aufhebens gemacht wird“ – oder, nach dem Unterschied zwischen Catilina und dem heutigen Fest gefragt, die Antwort gegeben: „Catilina war ein schändlicher Abenteurer und das Künstlerfest ist ein schändlich teurer Abend.“

Dies Letztere hatte leider seine Richtigkeit; der Eintrittsobolus ins arkadische Gefilde war für Münchner Begriffe ziemlich hoch bemessen, aber es ging eben nicht anders: die Herstellung dieses wundervollen Architekturbildes erforderte bedeutende Mittel, und der Ueberschuß kommt der Künstler-Witwen- und Waisenkasse zugute.

Die Bedenklichen hatten geringen Besuch und außerdem noch ein allgemeines Fiasko prophezeit, da moderne brillentragende Menschen doch ins antike Gewand nicht passen. Aber gerade das Gegenteil ergab sich: es war erstaunlich, wie dies Kostüm „steht“, wie es die natürliche Bewegung freigiebt und die Körperlinien harmonisch begleitet, statt sie willkürlich zu unterbrechen. Die Schönen waren noch schöner, die Unbedeutenden gewannen an Reiz und Anmut, die Alten an Würde, und die Jünglinge kamen wohl am allerbesten weg.

Unser Maler hat den Augenblick erfaßt, da der Zug über die Stufen der Bühne hinabwogt, während vom Residenztheater her die übrigen Gruppen des Festzugs sich anschließen und die Scene füllen. Weiter giebt er uns (S. 145) das Anfangsbild des Festspiels, Bacchus mit den Erinnyen, dann hier unten drei zierliche Tänzerinnen aus dem Reigen und (S. 145) allerlei andere Typen, wie sie sich am Abend selbst oder des andern Tags im Skizzenbuch zusammenfanden: den Faun mit den spitzen Ohren und Hörnchen und der künstlich verlängerten Nase, den ägyptischen Frauenkopf mit dem seltsamen helmartigen Haarschmuck, von dem zu beiden Seiten Flügel herabhängen, den Griechenjüngling mit „Weinlaub im Haar“ und den Assyrer mit dem gestreiften Kopftuch.

Auch an Humor in der Kostümierung fehlte es nicht ganz. Da schritt ein Krieger in seiner metallnen Rüstung stolz dahin; wenn man ihn etwas näher besah, so erkannte man, daß der Schild aus einer Thürmatte verfertigt war, auf der ein vergoldeter Topfdeckel als Zierat saß, während der kriegerische Kopfputz aus einem Metallreif mit zwei herabhängenden Bierkrugdeckeln aus Zinn bestand.

Prinzregent Luitpold war in der Königsloge erschienen; fast alle jüngeren Mitglieder des Königlichen Hauses nahmen im Maskenzeichen am Feste teil. Die Mitwirkenden des Festspiels trennten sich mit der Parole „Morgen wieder“, denn es kam noch ein Nachspiel dieses wundervollen arkadischen Abends, worin die erhöhte Stimmung von gestern noch fort- und ausklang vor einem zweiten tausendköpfigen Publikum, welchem diesmal, um allen den Eindruck zu gönnen, das ganze Theater zu bescheidenem Preise geöffnet war.

Wieder strahlte die Bühne in vieltönigem elektrischen Licht, es hob sich der zierliche Dionysustempel mit seinem schönen Götterbilde aus der Rosen- und Cypressenpracht heraus wie ein Böcklinsches Bild. Und so wie auf diesem wandelten bekränzte schlanke Frauengestalten die Treppen empor, saßen auf der Mauerbrüstung und sahen dem Reigen zu, der auch am zweiten Abend wieder seine Zauberkreise zog.

In der Pergola standen und saßen diesmal die Würdenträger des Komitees im Scharlachgewand mit den langen goldenen Heroldsstäben, Seidl, Stuck, Pixis, v. Thiersch, v. Miller u. a.; plötzlich, nachdem eben noch Lenbachs hochragende Gestalt hier und dort winkend und ordnend zwischen den Gruppen gewirkt, erstarrte alles zum leblosen Bild – in der Hofloge stand die große Camera, um Aufnahmen zu machen. Dann begann das Licht auf der Bühne milder zu werden, die Gruppen ordneten sich feierlicher und ein Sänger mit der Harfe sprach zu sanfter Musik einen kurzen Epilog: Dank und Huldigung an Pallas Athene, die Schützerin der Kunst. Während die Bühne in rosige Dämmerung versank, strahlte oben die goldene Athene noch in hellem Licht, und dann fiel der Vorhang.

Versunken war der hellenische Schönheitstraum und das Fest zu Ende.

„Aber ging es leuchtend nieder,
Leuchtet’s lange noch zurück.“


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0146.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)