Seite:Die Gartenlaube (1898) 0156.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Tausende zu Grunde; das ist recht traurig, aber ich kann’s doch nicht ändern und ins Unabänderliche muß man sich fügen. Wäre ich der Kommandant einer Festung – ich würde mich lieber selbst erschießen, als die Festung dem Feinde übergeben. Doch ich bin nur ein Mädchen und wir armen Dinger haben ganz andere Belagerungen auszuhalten, aber auch wir ergeben uns nicht so leicht.“

„Es ist auch so,“ sagte Friedrich von Benndorf mit schwärmerischem Augenaufschlag, „die Frauen mögen bei Minnehöfen den Vorsitz führen oder bei Turnieren die Preise austeilen, doch sie sollen sich nicht selbst in die Kämpfe mischen, nicht zum Speere greifen und die Gegner aus dem Sattel heben. Da verlieren sie den Reiz, der sie uns so liebenswert macht.“

Lotte hielt den Augenblick für geeignet, eine zustimmende Bemerkung zu machen; sie erinnerte daran, daß auch sie völlig friedfertiger Sinnesart sei. Klärchen aber warf fragende Blicke auf die Schulfreundin; es gefiel ihr gar nicht, daß diese den Franzosen so hold gesinnt war.

„Ich hatte vorher den Dienst quittiert,“ sagte Kurt, „ich lebte ganz der Bewirtschaftung meines Gutes und doch empfand ich hinterdrein bittere Reue, daß ich nicht bei Jena oder Auerstädt mitgekämpft. Jena oder Roßbach, Niederlage oder Sieg – es gilt ganz gleich, wenn man nur tapfer im Feuer steht.“

„Was mich betrifft,“ versetzte Friedrich etwas kleinlaut, „so hab’ ich nie den Soldatenrock getragen. Ich war im Ministerium angestellt, und wenn meine Feder müde war, amtliche Berichte zu schreiben, dann warf sie wohl auch Märchen und Gedichte auf das Papier. Die wunderbaren Augen des jungen Ludwig Tieck hatten mir es angethan, ich war ein Genosse dieses Poeten, welcher die mondbeglänzte Zaubernacht, die wundervolle Märchenwelt heraufbeschworen. Dann erkrankte mein Vater und ich mußte wie Kurt ein Landwirt werden. Wie gern hätte ich im Getümmel einer großen Schlacht bei den Fahnen unseres Heeres gestanden! Aber im fernen Ostpreußen, im Bunde mit den Russen zu kämpfen, das ist nicht mein Geschmack.“

Leontine hatte den Bekenntnissen des romantischen jungen Edelmanns aufmerksam zugehört, auch kein Wort von dem verloren, was Kurt über seine Kampfeslust sprach. Jetzt leuchteten ihre Augen mit einem merkwürdigen, fast unheimlichen Glanze, als sie ihr Glas erhob. „Wir sind hier in dieser vom Mondenlicht und von alten Sagen umsponnenen Burg; hier aber lebt vor allem die Erinnerung an ein gewaltiges Weib, ein dämonisches Weib immerhin, das mit einem bösen Fluch behaftet war, aber ein Weib von stolzer Willenskraft, das seine Schönheit, seine Liebe nur dem Mutigsten preisgeben wollte, der um sie den Todesritt wagte über die hohe Mauer rings um die Burg. Und der Ritter viele huldigten der schönen Kunigunde und büßten es mit dem Leben. Giebt es noch Ritter, die zu ähnlichem Dienste entschlossen sind, die opfermutig um meine Gunst werben wollen?“

„Sehen Sie einen solchen Ritter in mir!“ rief Kurt.

„Und auch in mir!“ stimmte Friedrich ein.

„So leeren wir das Glas auf das Andenken der gewaltigen Kunigunde.“

Alle stießen an.

„Nun,“ versetzte Kurt, „wir sollen doch nicht auch über die Mauer reiten?“

„Nein, dergleichen gehört heutzutage in den Cirkus,“ versetzte Leontine, „die Zeiten haben sich geändert; aber auch jetzt darf eine Frau Preise setzen für ihre Gunst, und ihr Herz und ihre Hand so hoch anschlagen, wie es das Burgfräulein gethan, welches den Freiern die herzbeklemmende Wahl ließ: entweder hier oben bei mir den Himmel oder ohne mich dort unten den Höllenschlund! Und Sie beide hier sind nicht nur meine Ritter, Sie sind meine Freier – ich darf in dieser Stunde dem einen das Geheimnis des anderen verraten, es ist die Liebe zu mir!“

Kurt und Friedrich schwiegen nicht ohne Verlegenheit, dann warfen sie aufsehend einander feindliche Blicke zu.

Doch Leontine fuhr fort: „Ich kann wohl sagen, ich achte Sie beide; Ihre Huldigungen schmeicheln mir, ja mehr, sie ehren mich; doch das Zünglein der Wage schwankt in meinem Herzen, ich bekenne es offen! Mir ist die Leidenschaft fremd, die mich blindlings dem Einen und Einzigen in die Arme führt!“

Beide hörten ungläubig zu. Dies Mädchen mit dem Feuerblick sollte keiner leidenschaftlichen Liebe fähig sein?

„Wohl denn, so entscheide der Mut und das Schicksal! Was haben Sie von dem Grafen Götzen gehört?“

„Noch hält er sich tapfer in der Grafschaft,“ versetzte Kurt.

„Er sucht die Festung Glatz zu entsetzen,“ sagte Friedrich, „er greift die französischen Truppen an, welche die Festung umlagern.“

„Wohl denn, ich verlange keinen Ritt um die Mauer, aber doch einen Todesritt – ich verlangs, daß Sie beide, die um meine Hand sich bewerben, sich sofort dem Freikorps des Grafen Götzen anschließen, und demjenigen, der zuerst verwundet aus diesen Kämpfen zurückkehrt, reich’ ich Herz und Hand!“

„Das ist schön,“ rief da Klärchen, „mein Robert kämpft bereits fürs Vaterland.“

„Doch nein,“ meinte Lotte tiefsinnig, „wenn nun beide unverwundet zurückkehren? Man kann doch keiner Kugel befehlen, daß sie trifft.“

„Dann hat das Schicksal sich geweigert, eine Entscheidung zu treffen, sie ist in meine Hand zurückgelegt.“

„Und wenn der eine von beiden den Tod fürs Vaterland stirbt?“

„So gehört ihm mein Angedenken, doch niemals erhält dann der andere meine Hand.“

Es trat eine längere Pause ein, Kurt und Friedrich saßen nachdenklich da.

Dieser kräuselte sich den Bart und hatte den Kopf auf die Hand gestützt; Kurt sprang auf und ging mehrmals auf und ab, mit den Sporen klirrend, dann trat er an den Tisch.

„Sie sind grausam wie Kunigunde. Doch mein Herz gehört Ihnen und Sie dürfen mich auf die Probe setzen. Ich habe mich zu Ihrem Ritter geschworen und ich halte mir selbst diesen Schwur. Im übrigen mahnen Sie mich an eine Pflicht; ich hab’ es schon öfter bei mir erwogen, ob ich mich nicht dem Grafen Götzen, dem ich befreundet hin, anschließen soll – ich schwankte: nun ist’s entschieden um Ihretwillen. Ich glaube an Ihr Wort!“

„Und ich will nicht zurückbleiben,“ versetzte Friedrich. „Ein frischer, fröhlicher Kampf, sei er auch noch so hoffnungslos – das erlöst von den einsamen Träumereien und der Pulverdampf ist auch ein Gewölk, in dem man seine Göttin erblicken kann; die Kugel, die der Feind uns zusendet, kann uns den Tod, sie kann uns das Leben bringen, das höchste Glück der Liebe!“

Leontine erhob sich und reichte einem nach dem andern die Hand.

„So, mit Handschlag besiegl’ ich mein Versprechen und Ihr – die übernommene Pflicht. Es sind des Königs Fahnen, denen Ihr folgt – doch auch mein Fähnlein weht daneben, klein und unscheinbar, doch auch an ihm hängt euer Eid, wie an dem Königsbanner des schwarzen Adlers. Ihr kämpft für euren König, doch um eure Dame.“

Auch Klärchen hatte sich erhoben; ihr war’s feierlich zu Mute, doch auch freudig und hoffnungsreich, denn es traten ja neue glänzende Kämpfer in die Reihen, in denen ihr Geliebter stritt. Lotte aber sah fragend zu ihrer Gebieterin hinüber und erhaschte dabei einen vielsagenden Seitenblick von ihr.

O, wer wie dies stolze Mädchen mit den Männern sein Spiel treiben könnte; wär’s auch noch so sträflich, es müßte eine köstliche Genugthuung sein!

Noch einmal that der feurige Tokayer seine Schuldigkeit; noch einmal klangen die Gläser zusammen, ehe die Gesellschaft zum Aufbruch rüstete. Der Kommandant näherte sich, um zum Abschied die Honneurs zu machen, und der alte Rübezahl erhob sich von der Bank an der Mauer, auf der er geschlummert hatte, und nahm tief den vom feuchten Nebel durchweichten Hut ab. Klärchen war im Begriff, das Vorthor zu schließen, da eilte Leontine noch einmal zu ihr zurück. „Ich komme morgen auf die Burg, ich muß dich sprechen, du mußt mir einen großen Gefallen erweisen – doch jetzt leb’ wohl! Meine Ritter haben’s eilig, es geht in Kampf und Tod, doch zunächst bergab – leb’ wohl, Klärchen!“ Und Leontine eilte leichtbeschwingt den Kavalieren nach, deren Sporen dem Gestein des Felsnestes Funken entlockten.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0156.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)