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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

einer Leber, drum galt es als wohlthätig für die Leber; das Lungenkraut heilte die kranke Lunge.

Weshalb mag wohl die bekannte Frühlingsblume, eine Art Borretsch, Lungenkraut genannt und bei Blutspeien, Heiserkeit, Halsentzündung und ähnlichen Gebresten empfohlen worden sein? – Die Blüten sind erst hellrot, dann violett, zuletzt dunkelblau. So ist auch das Blut, das vom Herzen zur Lunge und von der Lunge zurück zum Herzen strömt, bald hellrot, bald dunkelblau, je nachdem es, mit Sauerstoff gesättigt, durch die Pulsadern schießt oder sauerstoffarm durch die Blutadern oder die Venen getrieben wird. In dem genannten Kraute schien also wie in einer menschlichen Lunge ein Austausch zwischen arteriellem und venösem Blute zu erfolgen. Und damit war ihm seine Bestimmung als Hausmittel vorgezeichnet.

Eine Kokosnuß hat Aehnlichkeit mit einem Affenkopfe, bloß deshalb nannten die Portugiesen sie Coco; aber auch schon eine Welsche Nuß besitzt in der mittelalterlichen Ausdrucksweise die Signatur des Hauptes, der Durchschnitt des Gehirns erinnert merkwürdig an den Kern einer Welschen Nuß. Was Wunder, wenn nun die Aerzte in der grünen Schale der Frucht die Signatur der Hirnhaut und in dem bitteren Safte dieser Schale ein „sonderbares Mittel zu den Wunden des Hirnhäutleins“ erkannten? Für ein Specifikum gegen Kopfschmerzen galten ganz nach demselben Systeme die kugeligen Kapseln eines gemeinen Unkrautes, des sogenannten Gauchheil (Anagallis).

Die Thatsache, daß gewisse Pflanzen Aehnlichkeit mit gewissen Körperteilen haben, veranlaßte also zu der Meinung, daß diese Aehnlichkeit ein Fingerzeig der Natur sei, und daß solche Pflanzen eine besondere Heilkraft auf die entsprechenden Organe ausüben. Der Gedanke lag nahe; das Verfahren schien ganz konsequent.

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Ein marokkanischer Scherif.
Nach dem Gemälde von A. Hennebicq.

In Wirklichkeit hatte man längst nach diesem Prinzip gehandelt. Von jeher haben die Menschen gewähnt, sich mit dem Genusse eines bestimmten Organes die besondere Kraft desselben aneignen zu können. Die Araber des Atlas fangen den Löwen in Fallgruben und schießen ihn dann zusammen. Wenn er zerlegt wird, bekommt jeder Knabe ein Stück vom Herzen zu essen, damit er mutig werde. Genau so geben die Kannibalen ihren Söhnen vom Herzen des erlegten Feindes zu essen; mit dem Blute des Erschlagenen glauben sie seine Seele in sich aufzunehmen und ihren eigenen Mut zu erhöhen. Der Affe unserer Wälder, das Eichhörnchen, ist im Klettern und Springen Meister. Aequilibristen und Seiltänzer suchen sich daher mitunter Eichhörnchen zu verschaffen und genießen das Gehirn, weil sie der Meinung sind, daß sie dann besser springen können und keinen Schwindel bekommen. Wer hätte nicht schon gehört, daß Fuchslunge, in Wein gewaschen, getrocknet und gepulvert, ein specifisches Mittel gegen Lungenschwindsucht sein soll? Das ist ein Rest der hohen Meinung, die man von den Eingeweiden des schlauen Reineke, namentlich auch von seiner Leber hatte und die nun dazu führte, das berühmte Tier zu essen, seine innere Kraft in sich aufzunehmen, durch den vermeintlichen Ueberschuß dem eigenen Mangel abzuhelfen.

Unzählige thörichte Gebräuche beweisen, daß dies wirklich die Meinung gewesen ist; der Uebergang von den Tieren zu den Pflanzen geschieht dann unmerkbar. Noch jetzt glauben viele Leute, daß Bärenfett den Haarwuchs befördere. Nun ja, es wird nicht immer genau der entsprechende Teil des Tieres genommen, wenn das Mittel nur überhaupt von diesem Tiere herstammt. Das weiße, schwer erhärtende Bärenfett verdankt seinen Ruf als ausgezeichnete Pomade augenscheinlich nur dem Umstande, daß der Bär ein so großes und schweres Fell, einen so zottigen, dichten Pelz hat. Es ist dieselbe Einbildung, die das Klettenwurzelöl als Haaröl in Kurs gebracht hat – die Menschen dachten, sie bekämen nach Gebrauch desselben einen Haarschopf wie die filzigen Köpfchen der Klette. Wird denn nicht sogar der Maiwuchs mit Spiritus aufgesetzt, um den Kopf damit zu waschen? – Die Haare sollen dann wachsen wie die Nadeln. Spargel und Fenchel sind ihres grünen Haares wegen gleichfalls alte Haarverjüngungsmittel.

Schon im alten Rom sind die Läuftchen des Hasen den Gichtkranken zum Genuß empfohlen, Hasenpfötchen jahrhundertelang als Vorbeugungsmittel gegen Podagra getragen worden. Sollte das einen anderen Grund haben als den, daß der Hase gut laufen kann? – Das auf dem Leibe getragene Pfötchen zog die Krankheit an sich und gab dem kranken Beine seine Kraft ab. Der Hasenfuß hat wieder ein Seitenstück im Pflanzenreich, den Geißfuß, das Aegopodium, dessen eckige Stengel mit Ziegenbeinen verglichen wurden, und das nun, weil die Ziegen so gut zu Fuße sind, einen Ruf als Zipperleinkraut erhielt und ebenfalls gegen Podagra im Gebrauch war.

Noch ein drittes Pärchen. Der Biber ist einer der größten Nager; die starken und scharfen Schneidezähne ragen weit aus dem Kiefer hervor. Daher werden diese guten Zähne in Bibergegenden als Mittel gegen Zahnschmerzen betrachtet und den Kindern umgehängt, um ihnen das Zahnen zu erleichtern. Es giebt aber auch ein Kraut, das Zähne zu haben scheint, das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0161.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2024)