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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


Frau und ich, kümmern uns natürlich um sie, das verspreche ich dir, ohne daß du darum zu bitten brauchst, als das letzte, was ich dir versprechen kann, denn von jetzt an sind wir, meine Frau und ich, Partei. Du wirst ja auch allein fertig, und ich wünsche dir alles Glück und keine Enttäuschung für dein künftiges Leben.“

Der kleine untersetzte Mann mit dem feinen energischen Gesicht sieht noch einmal ehrlich bekümmert zu dem blonden Riesen hinüber, der sich mit Mühe aufrecht hält. „Adieu nochmals, Anton!“ Dann fährt er in den Pelz, greift zum Hut und ist wie der Blitz verschwunden, und ehe Anton ihm folgen kann, sitzt er schon im Landauer. Noch einmal blickt er aus dem Wagenfenster zurück und sieht in der hellen Februarnacht eine große Gestalt auf der Freitreppe stehen, die ihm nachzustarren scheint.

„O, heiliger Gott, was für ein wunderlich Ding ist das Menschengehirn, und das meines Freundes Anton insbesondere!“ murmelt er. „Arme Christel, arme tapfere Christel – aber da ist ja nichts mehr zu machen, gäbe nichts als ein armselig Flickwerk, das doch wieder auseinanderfallen würde. Hier heißt’s – durch! Wie blaß er aussah, der thörichte Kerl, beinahe so blaß wie damals, als ihm die Fränze den Absagebrief schrieb! Ja, eklich ist’s immer, wenn so was auseinanderreißt, es thut weh trotz alledem und alledem! Gebe nur Gott, daß meine Typhuskranken die Nacht überstehen. Ich konnt’s doch der Christel nicht abschlagen, ihrem Gatten noch mal persönlich zu versichern, daß er frei ist. Armes Weib!“




Sie ist fort und bleibt fort – Mohrmanns lassen sich scheiden! Anton muß es glauben, und allmählich auch die andern Leute. Im Hause geht das Gerede und das Gewisper schier ins Unendliche. Die Baronesse erfährt es erst am folgenden Tage von der weinenden Frau Pastorin, die mit ihrem Manne zu Anton gepilgert ist, und während der geistliche Herr versucht, den verlassenen Schwager zu einer Reise nach Dresden zu bereden, um Christel wiederzuholen, nötigenfalls mit Gewalt, sitzt die erschütterte Schwester bei Fräulein Tonette und klagt über die trotzköpfige pflichtvergessene Frau, die mir nichts dir nichts dem von Gott angetrauten Ehemann davongeht.

„Nun ja, sie hat’s am Ende nicht so leicht gehabt mit ihm; aber, Fräulein Tonette, sie weiß doch gar nicht, wie gut es ihr eigentlich ging. Keine Not, keine Nahrungssorgen, ach, wenn’s den Leuten zu wohl wird – – Ach, gnädiges Fräulein, wenn Sie doch an sie schreiben wollten, Sie sind so klug und könnten ihr gewiß auseinandersetzen, wie sehr sie ihren Mann und uns alle kränkt!“

„Meine liebe Frau Pastorin,“ sagt Fräulein Tonette von Wartau, und ihre feinen Finger spielen nervös auf dem kleinen Tischchen vor ihr – sie sitzt wie gewöhnlich am Kamin mit einer Strickarbeit. „Meine liebe Frau Pastorin, ich mische mich grundsätzlich nie in Ehestandsgeschichten. Wenn Frau Christel und ihr Gatte sich trennen wollen, so werden sie Gründe dafür haben, denke ich mir.“

Osterzauber.
Nach einer Originalzeichnung von F. Mock.

„Weil sie kinderlos sind?“ fragt die weinende Frau. „Das ist eine Sünde, ein Unding! Man kann auch glücklich sein ohne Kinder, ja gewiß! Ich war sogar sterbenstraurig, als ich das erste bekam, weil ich dachte, mein Mann liebte mich nun nicht mehr allein, und –“

Fräulein von Wartau unterbricht sie, und ihr Gesicht ist geradezu hochmütig, als sie sagt:

„Sie können sich wohl schwerlich hineindenken in die Seele von Menschen, die auf eigener Scholle sitzen, meine Liebe? Ich gebe ja gern zu, daß in der Ehe eines kleinbürgerlichen Beamten oder Predigers Erben zu entbehren sind, der Besitzer von Wartau aber –“

Sie verstummt, denn plötzlich ist Edith eingetreten, blaß, mit gespanntem Ausdruck.

„Hm!“ räuspert Fräulein Tonette sich noch einmal und strickt weiter.

Der Pastorin, einer nervösen Frau, ohne irgend welches selbständige Urteil, ist nur die Phrase von der Entbehrlichkeit eines Erben bei Leuten ihres Standes in den Ohren sitzen geblieben. Tödlich beleidigt erhebt sie sich.

„Meine Kinder sind mir genau so lieb wie dem Kaiser die seinen,“ stößt sie hervor, „aber ich habe gemeint, wem Gott sie versagt, der soll sich fügen und sich nicht wider ihn aufbäumen und in seinen Ratschluß hineinpfuschen wollen, denn ich habe gemeint, die Ehe sei heilig.“

„Ja gewiß, meine Liebe, aber mir kommt kein Urteil zu,“ sagt Fräulein von Wartau jetzt seelenruhig. „Es giebt Dinge in der Welt, die diese Heiligkeit in das Gegenteil verkehren. Ich bitte Sie, beruhigen Sie sich und verlangen Sie von mir kein Hineinmengen – ich stehe dieser Sache so fern wie möglich, aber leid thut es mir, wirklich recht leid.“

Die Pastorin erwidert ihren Blick nicht; sie sieht unverwandt zu Edith hinüber; das Gesicht des jungen Mädchens ist womöglich noch blasser geworden. Eine Aeußerung Louischens fällt ihr ein, die sie heute früh kaum beachtet hatte, und wie sie das schlanke Geschöpf jetzt ansieht, das sich am Fenster vor dem Nähtischchen niedergelassen hat und auf dessen Antlitz Röte und Blässe einander jagen, kommt ihr die Erkenntnis wie ein blendender Strahl. Und plötzlich wirft sie den Kopf in den Nacken, und die Hand auf die Thürklinke legend, sagt sie:

„Verzeihen Sie, daß ich Sie in meinem Jammer belästigte, Baronesse. Ich kann begreifen, daß Sie sich nicht gern einmischen mögen in den traurigen Handel, ich kann’s vollkommen begreifen!“ Und im nächsten Augenblick ist sie verschwunden und hat die Thür heftig hinter sich geschlossen.

Die Baronesse sieht einen Augenblick ganz verblüfft die Stelle an, wo die Pastorin noch eben gestanden hat. „Ob diese Art Menschen wohl fähig ist, eine Kalamität mit Anstand durchzukämpfen?“ murmelt sie.

„Edith!“ ruft sie dann laut.

„Ja, Tante!“

„Bitte, komm’ hierher!“

Das junge Mädchen tritt näher und setzt sich der Tante gegenüber in einen Fauteuil.

„Altwitzens reisen in fünf bis sechs Tagen an die Riviera,“ beginnt die alte Dame das Gespräch, „wir werden heute nachmittag hinüberfahren oder – gehen, das ist besser, und die Gräfin bitten, dich mitzunehmen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0173.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2019)