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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Inzwischen war das Unerhörte geschehen: Metternich hatte in Wien der Revolution weichen müssen, der gewaltige Staatskanzler war gestürzt und mit ihm sein ganzes Regierungssystem. Die neuen Zustände in Wien ließen den König alle Hoffnung auf einen Fürstentag aufgeben. Der Fortbestand von Metternichs „System“ war all seiner Pläne Voraussetzung gewesen. Er war in Verzweiflung. Der geplante Kongreß hatte nicht nur den deutschen Fürsten das Recht sichern sollen, die für nötig erkannte Bundesreform selbst auszuführen; er hätte auch für ihn ganz persönlich die Handhabe geboten, mit seinem Volk in der nie zur Ruhe kommenden Verfassungsfrage endlich die Verständigung zu finden.

Noch war ja nicht ein Jahr vergangen, daß er in feierlicher Rede vom Thron herab dem Verlangen nach einer Konstitution sein „Nie und nimmermehr!“ entgegengeschleudert hatte. Jetzt dennoch sie schlechthin bewilligen, nur weil das Volk es verlangte, das hieß für ihn, sein verpfändetes Wort preisgeben, das hätte sein stolzes Herrscherbewußtsein unter ein Joch gezwungen, gegen das es sich mit Macht aufbäumte. Der Fürstenkongreß dagegen hätte seiner Fürstenehre die Deckung geboten. Würde dieser um der Einheit willen die Durchführung des Verfassungswesens in ganz Deutschland gefordert haben, so hätte er dasselbe auch für Preußen gewähren können, ohne seiner königlichen Würde etwas zu vergeben. Der Sturz Metternichs hatte diese Brücke zerstört. Unter dem Eindruck dieses Ereignisses wirkten die Vorstellungen von gerade jetzt eintreffenden Deputationen aus Breslau und Köln, die den Abfall von Schlesien und dem Rheinland in Aussicht stellten, wenn nicht die Forderungen des Volks Bewilligung fänden, mit niederschmetternder Wucht. Dagegen konnte er die Nachricht, daß die Regierungen mehrerer süddeutschen Staaten ihm gern die Leitung des deutschen Einigungswerks anvertraut sehen wurden, falls Preußen nun auch unter die Verfassungsstaaten träte, wie eine Erlösung begrüßen. Daß die Aktion gerade von denjenigen Höfen ausging, wo jetzt die „Heppenheimer“ am Ruder saßen, verschlug ihm nichts mehr. Er entschloß sich jetzt, offen mit seinen Bundesreformplänen vor sein Volk zu treten und „um der deutschen Einheit willen“ im Sinne der siegreichen Volksbewegung das Zugeständnis einer Verfassung für ganz Preußen zu machen. In einem Patent, das er am 17. März erließ, wurden als Hauptpunkte einer von ihm geplanten Reform die Umwandlung Deutschlands aus einem Staatenbund in einen Bundesstaat, eine allgemeine deutsche Wehrverfassung, ein allgemeines deutsches Heimatrecht, ein deutscher Zollverein bezeichnet. Dem Volke freilich fehlte die Einsicht in des Königs Gründe für die jähe Wandlung. Es hatte ja nie vorher von seinen Reformplänen erfahren. Die endliche Bewilligung der Verfassung in der verklausulierten Form, daß die von ihm angestrebte Neugestaltung des Deutschen Bundes eine konstitutionelle Verfassung in allen deutschen Ländern notwendig mache, war wiederum nur etwas Halbes. Aber im gebildeten Bürgertum war schon über des Königs „deutsche“ Politik die Freude groß. Und als am 18. März gegen Mittag die Patente bekannt wurden, welche auch noch ein freisinniges Preßgesetz, das die Censur abschaffte, und die sofortige Einberufung des Landtags zusagten, als man erfuhr, der König beabsichtige, Männer aus der liberalen Kammeropposition ins Ministerium zu berufen, da strömten die entzückten Bürger in Scharen vors Schloß, um dem König durch stürmische Hochrufe ihren Dank darzubringen.

Die Freudenkundgebung vor dem Schlosse zu Berlin.

Nun konnte auch Berlin seine Märzerrungenschaften bejubeln. Wohl war es schon in den Tagen vorher zu blutigen Zusammenstößen zwischen demonstrierenden Volksmassen und dem gegen sie einschreitenden Militär gekommen, wohl war im stillen in weiten Volkskreisen die Empörung bis zum bestimmten Entschluß, dem Beispiel der Pariser zu folgen, gereift – jetzt schien dies vergessen. Am 17. hatten erregte Volksversammlungen beschlossen, durch eine Massendemonstration vor dem Schloß das Zurückziehen des Militärs aus den Straßen und die Bildung einer Bürgergarde vom Könige zu erwirken. Um Mittag am 18. sollte sie stattfinden. Die geplante Drohdemonstration wurde nun zur Freudenkundgebung, welche wuchs und wuchs. Um 2 Uhr erschien der König auf dem Balkon; er begann zu sprechen, doch er war zu bewegt. Der neben ihm stehende Bürgermeister Naunyn trat vor und rief mit lauter Stimme den Versammelten zu: „Der König will, daß Preßfreiheit herrsche; der König will, daß der Landtag sofort einberufen werde; – der König will, daß eine Konstitution auf freisinnigster Grundlage alle deutschen Länder umfasse; der König will, daß eine deutsche Nationalflagge wehe; – der König will, daß alle Zollschlagbäume in Deutschland fallen; – der König will, daß Preußen sich an die Spitze der Bewegung stelle!“

Die jubelnden Vivatrufe wollten nach dieser feierlichen Verkündigung kein Ende nehmen. Der König winkte dazu mit dem Tuche herab, bis er sich zurückzog. Er hatte sein Ziel, den Frieden mit seinem Volke, erreicht. So meinte er – und von der friedlichen Lösung des langjährigen Konflikts, der in den letzten Tagen auch in Berlin zur Volkserhebung geführt hatte, waren alle Anwesenden überzeugt.

Da führte ein „Mißverständnis“ zu einem entsetzlichen blutigen Nachspiel der Friedensfeier. Der König hatte durch Bodelschwingh vom Balkon herab den Wunsch aussprechen lassen, die Demonstrationen möchten nun aufhören. Da immer neue Volksmassen herandrängten, war dies nicht möglich. Es wurden jetzt Stimmen laut, daß die so froh bejubelten Bewilligungen der Not des Volkes nicht abhülfen. Es drängten sich Elemente aus den Arbeitervierteln ans Schloß, in denen ein tiefer Groll gegen den König bestand. Wahrscheinlich glaubte gar mancher der jetzt erst Anlangenden, es handle sich um die geplante Demonstration für die Bürgerbewaffnung. Der König, erzürnt über den Lärm, gab schließlich Befehl, die in den Schloßhöfen den Nachtdienst versehenden Truppen ausrücken zu lassen, um Ruhe zu stiften. Es waren Dragoner und Grenadiere, die von verschiedenen Seiten auf den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0189.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2020)