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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

warf ihr einen verständnisvollen, einen leidenschaftlichen Blick zu; er wußte, warum sie gekommen.

Vor einer Stunde erst hatte sie durch einen verspäteten Boten einen Brief von Klärchen erhalten; er teilte ihr alles mit, den gestrigen Kampf, die Verwundung und Gefangennahme des Hauptmanns Granville, der als ein Spion gerichtet, vielleicht zum Tode verurteilt werden solle. Leontine müsse jetzt sprechen, nicht nur um seinetwillen, sie habe auch andere Pflichten; Klärchen verlangte jetzt, von einem Verdachte gereinigt zu werden, der sie in den Augen ihres Geliebten mit Schmach bedecke. „Du bist eine vornehme Dame,“ hieß es in dem Briefe, „und Dein Herz ist frei. Du kannst leben wie Du willst, und wenn sie darüber die Nase rümpfen, was kümmert’s Dich? Ich aber sitze nicht so hoch zu Pferde – und ich habe eine Liebe, die ich nimmer verlieren will. Also komm’ sogleich auf die Burg – sonst bist Du eine Verbrecherin an ihm und mir!“

Schon seit sie erfahren, daß Edmond wieder in Reih’ und Glied getreten, war Leontine in Aufregung; ein unbefriedigtes Wünschen und Wollen drängte sich wie ein Glutstrom nach ihrem Herzen; ihre Phantasie schwelgte in den Bildern des Unerreichbaren, ihre Sinne waren in einem Taumel, der ihre Seele verdunkelte. Und nun kam Klärchens Brief – sie hörte nichts mehr, sie sah nichts mehr als ihn! Er, verwundet in der Gewalt der Feinde – und auf der Burg! Das war der Ort ihrer Stelldicheins – und jetzt – welcher schmerzlichen Begegnung sah sie dort oben entgegen! Doch jetzt galt es kein Zögern mehr und kein Geheimnis – die Schicksalsuhr hatte die entscheidende Stunde geschlagen.

Lottchen mußte rasch einen Mantel umwerfen und folgte seufzend und stöhnend dem beschleunigten Gang der Gebieterin, welche die Treppe hinunterflog, um so rasch als möglich ins Freie zu kommen, Luft und Atem zu schöpfen, denn es lag ihr wie ein Alp auf der Brust. Unten kam ihr der Vater entgegen; doch schritt sie eilig an ihm vorüber.

Ohne Aufenthalt eilte sie auf dem Wiesenpfade dem Walde des Burgberges zu! Droben am Himmel glühte ein lichter Schein, der Wiederschein der Wachtfeuer.

Oben angekommen, suchte sie Klärchen auf, und von der Schloßwache gemeldet, traten die drei Mädchen zusammen in den zweiten Hof der Burg.

Der Major grüßte galant, Leontine ergriff zuerst das Wort.

„Ich bin Leontine von Wallwitz; da unten liegt Giersdorf, meines Vaters Schloß. Dies erwähne ich nur, weil ich überzeugt bin, daß Sie einer Edeldame Glauben schenken werden, wenn sie aus freien Stücken ein Zeugnis ablegt zu gunsten eines Angeklagten und zu ihren eigenen Ungunsten.“

„Sprechen Sie, gnädiges Fräulein!“ Der Major strich sich seinen Schnurrbart. In dem alten Haudegen war der Kavalier erwacht.

Und wie der Major empfanden auch die jungen Männer in der Jägeruniform. Es herrschte eine atemlose Stille.

„Unweiblich ist’s,“ sagte Leontine, „hier in diesem Kreis von Männern ein Geständnis abzulegen, das ein schönes Geheimnis bleiben sollte; doch wenn ich jetzt schwiege, müßte ich mehr vor mir selbst erröten als bei dieser Beichte, zu der die Not mich zwingt! Sie wollen den Hauptmann Edmond de Granville als Spion verurteilen, weil er sich verkleidet in die Burg geschlichen. Ich weiß, er verrät es nicht, warum er das gethan. So will ich ihm die Zunge lösen: er hat es um meinetwillen gethan!“

Nichts regte sich als die knisternde Flamme, in welche ein Windstoß fuhr.

„Um meinetwillen, ja, denn mich hat er hier oben gesucht und gefunden! Klärchen Röger, des Burgwarts Tochter, war uns hilfreich dabei; doch sie wußte nicht, daß der Maler ein französischer Offizier war. Ich aber wußte es und liebte ihn, und wie man’s in der Kirche gestehen darf vor versammelter Gemeinde, so darf ich’s auch hier, wo der Altar und der Pastor fehlen – ich liebe Edmond de Granville!“

„Den Franzosen?“ sagte der Major wie verwundert, und ein allgemeines Murren erhob sich in der Runde; feindselige Blicke richteten sich auf Leontine. Edmond schritt auf sie zu und reichte ihr die Hand. Das steigerte die Erbitterung des erregten Kreises, hier und dort wurde der halbunterdrückte Ruf des Unwillens laut.

Leontine hatte das Gefühl, als ob sie am Pranger stände. Ringsum diese sonst so begeisterte Jugend, schöne, feurige Jünglinge – und sie, das schöne Weib, von ihnen verurteilt, ausgestoßen, mit Schmach bedeckt!

Nur einer wandte sich nicht feindlich gegen sie – einer, der sie sonst am schärfsten verdammt haben würde. Ihm war ihr Wort eine Erlösung gewesen von schwerem Druck – er mußte ihr dafür danken. Er jauchzte auf in innerster Seele – die Geliebte war ohne Schuld, war für ihn gerettet! Mit zärtlichen Blicken sah Robert zu Klärchen hinüber; er hätte sie ans Herz geschlossen, wäre er mit ihr allein gewesen – und zum erstenmal verwünschte er seine treuen Kameraden. Doch Klärchen drückte die Hand aufs Herz und lächelte ihm stillselig zu.

Leontine aber war es, als werde sie mit Ruten gegeißelt. Eine flammende Röte bedeckte sie – war ihr Geständnis eine Thorheit, ein Frevel? O, diese Verblendeten! – Keiner glaubte an eine große Leidenschaft; keiner verstand sie, keiner hatte die heilige Scheu, die man vor dem Gewaltigen empfinden muß, wär’ es auch etwas dämonisch Wildes, was die Gemüter danieder zwingt! Nichts hatten sie in Kopf und Herzen, diese Jünglinge, als ihr Vaterland, das Stück Erde, das zwischen seine Grenzpfähle eingeklemmt ist, und den blinden Haß gegen die Uniformen eines fremden Heeres! Aus all dieser Demütigung richtete sie sich mit um so größerem Stolz empor und schleuderte dieser haßerfüllten Jugend den Handschuh ins Gesicht.

„Ich bin nicht gekommen, um Ihr Urteil über mich herauszufordern; ich bin ein unbedeutendes Mädchen und was ich thue, mag einer geringschätzigen Meinung begegnen oder auch verworfen werden durch ein von blindem Eifer beseeltes Gericht. Weit, weit gehen unsere Wege auseinander. Sie kämpfen für eine verlorene Sache, für ein aus den Fugen gegangenes Vaterland! Was kümmert’s mich? Ich liebe – und keinen Unwürdigen; denn die Krieger des Großen Napoleon, die Sieger in glorreichen Schlachten verdienen, von Freund und Feind geachtet und bewundert zu werden!“

Wieder erhob sich lautes Murren, und dann gingen böse Zischelreden von Mund zu Munde.

„Ich kam nur, um mein Zeugnis abzulegen, und frage, ob es beachtet worden ist nach Gebühr – dann ist Edmond de Granville freizusprechen.“

„Gnädiges Fräulein,“ versetzte der Major, „Ihre Aussage ist wichtig und entlastend; sie kann nicht unberücksichtigt bleiben: Doch hier handelt es sich nur um ein Verhör – das Kriegsgericht wird entscheiden, ob die Anklage aufrecht zu halten ist.“

„Und Sie geben ihn nicht frei?“ fragte Leontine in leidenschaftlicher Erregung.

„Mein Fräulein,“ sagte der Major, „der Offizier muß zunächst noch in unserem Gewahrsam bleiben. Daß er kein Spion ist, will ich glauben, doch das unterliegt einer anderen Entscheidung; jedenfalls aber ist er unser Kriegsgefangener.“

Leontine rang wie verzweifelt die Hände. „Mein, mein – und immer wieder nicht mein! Vergeblich, was ich gethan – o, ich Unsinnige! Ich habe mich in den Haufen gemischt wie ein Mädchen aus dem Pöbel und sie werfen mich mit Steinen!“

„Nachrichten aus Glatz!“ riefen im ersten Hofe einige Stimmen, „ein Kamerad, ein Kamerad!“ Und nach der freudigen Begrüßung draußen trat in die Runde ein Offizier, eine schwarze Binde um die Stirn und das eine Auge.

Es war Kurt von Rohow.

Leontine erblaßte, als ergriffe sie ein Schwindel; sie sank in Lottchens Arme, auch Klärchen war um sie bemüht. Sie verbarg ihr Gesicht an Lottchens Brust; sie wagte nicht aufzuschauen, ja sie hatte ein Gefühl, als schwankten Mauer und Turm und drohten über ihr zusammenzubrechen.

Kurt grüßte den Major mit militärischer Meldung, drückte den Kameraden die Hand und wandte sich dann an Leontine; er rief sie beim Namen, doch sie hörte nicht. Seine Stimme ging ihr durch Mark und Bein, es war die Stimme des Gerichts.

„Ich komme im Auftrage Ihres Vaters, um Sie zurückzuholen, Leontine! Sie haben das Schloß in so stürmischer Hast verlassen, er ist in Sorge um Sie. Aber reden Sie, wie soll ich es mir erklären, Sie hier in diesem Kreise zu sehen?“

„Man wird es Ihnen schon erklären, Herr von Rohow,“ sagte Leontine, sich halb erhebend, mit dumpfer Stimme.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0224.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2024)