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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Stahlknöpfe als Möbelschmuck? Gegen den riesigen Schreibtisch, auf dem immer große Unordnung herrschte und an dem nie ein vernünftiges Wort geschrieben wurde. Ach Gott, nicht einmal ein unvernünftiges! … Langweile! Langweile! Sie kauerte auf aschgrauen Flügeln oben an der Decke, und sobald Menschen eintraten in das Zimmer, das sie zu ihrem Wohnort erkoren hatte, ließ sie sich hinuntergleiten an den Wänden und fiel ihnen auf die Brust.

Nun suchte der Herr Pfarrer die Feindin zu bekämpfen und das Gespräch aufzufrischen. „Haben die Herrschaften schon gehört,“ fragte er, „daß der Herr Bornholm einmal wieder angekommen ist aus Neusüdwales und in Valahora umgeht?“

„Sie sprechen von ihm wie von einem Gespenst,“ erwiderte Renate, und Herr von Kosel, der Harmlose, der Schweiger, öffnete seinen Mund zu den unguten Worten:

„Wenn er nur schon eins wäre!“

Sein einziger Haß, dieser Herr Levin Bornholm, der ein Lotterleben führte, dieser moderne Frechling, der einen nicht grüßte, nicht an Gott glaubte, nie eine Kirche betrat. Er gehörte auch gar nicht hierher, war als Kind mit seinen Eltern vor fünfundzwanzig Jahren aus Schweden gekommen. Warum die Familie ausgewandert war, wußte man nicht und war voll Mißtrauen und auch voll Neid. Bornholm, ein rauher, düsterer Geselle, schien wohlhabend und hatte Valahora, als es nach dem Tode seines letzten, zu Grunde gegangenen Besitzers unter den Hammer kam, viel zu billig erworben. In allem Anfang schon – Kosel setzte das umständlich auseinander – verfeindete sich der nordische Bär mit der ganzen Nachbarschaft, warf den Leuten Prügel vor die Füße, zettelte Grenzstreitigkeiten an. – –

Das Thema Bornholm war eines der wenigen, die Kosel mit Interesse ergriff und nicht wieder losließ. Die Schwestern wußten jeden Satz auswendig, der nun kommen, und daß der Herr Pfarrer nach dem Worte „Grenzstreitigkeiten“ sagen würde:

„Bah, bah, bah! An den paar Streifen Feld ist ihm nichts gelegen. Er wollte Zank und Hader erregen und gemieden werden, daran lag ihm … Wegen der Frau!“ Und nun richtete der gute Pfarrer seine Augen auf die Damen und sein blinzelnder Blick machte sie aufmerksam: Geben sie acht, jetzt kommt’s: „Aus Eifersucht,“ fuhr er mit geheimnisvoll gesenkter Stimme fort. „Es sollte ihr niemand in die Nähe kommen außer der alten Alwilde, der Dienerin, die sie mitgebracht hatten. Er war eifersüchtig auf sein eigenes Kind, auf eine Blume, an der sie gerochen hat, auf ihren Seelsorger war er eifersüchtig. So ein Protestant!“

Er Protestant, sie Katholikin. Daß sie ihn aber auch geheiratet hat, ich hab’ es nie begriffen,“ sprach Renate, die immer im richtigen Augenblick in das Tonstück einfiel. „Arme Frau, sie hat gebüßt, sie hat viel gelitten.“

„Vielleicht doch nicht ganz unschuldig,“ sagte Kosel, und der Pfarrer erwiderte eifrig:

„Verzeihung, ganz unschuldig!“

Sein Widerspruch blieb unbeachtet: „Ja, die Geschichte mit dem jungen Schweden, der plötzlich hier aufgetaucht ist, und den Bornholm geschwind wieder auf die Eisenbahn gebracht hat.“ Auch Kosel hatte nicht das Bewußtsein, daß er gar Wohlbekanntes vorbrachte. Wenn er es aber gehabt hätte, würde ihn das nicht gehindert haben, einmal im Zuge, fortzufahren in seinem langsamen Tempo: „Sie sind zusammen abgereist, und als Bornholm zurückgekommen ist, hat er gehinkt. Hat eine Kugel in der Hüfte gehabt und zeitlebens behalten. Er hatte sich mit dem Schweden duelliert und ihn erschossen, vermutet man. Gewiß ist nur, daß er seine Frau nachher bis zu ihrem Tod im Schloß gefangen gehalten hat. Ja, die Geschichte mit dem Schweden,“ wiederholte Kosel und blickte so aufmerksam vor sich hin, als ob ein ganzes Panorama an ihm vorüberzöge.

„Er war ein furchtbarer Mensch, dieser alte Bornholm,“ rief Charlotte. „Lassen wir ihn aber jetzt in Frieden ruhen.“

„Der Sohn ist, fürchte ich, ärger als der Vater,“ murmelte Renate im Halbschlafe. In wachem Zustande würde sie eine solche Anklage nicht über die Lippen gebracht haben.

„Ich weiß es nicht, möchte es aber nicht glauben,“ versetzte der Pfarrer. „Am Totenbett seiner Mutter hat er sich sehr gefühlvoll gezeigt. Man hätte freilich auch ein Stein oder – Gott verzeih’ mir’s – der alte Bornholm sein müssen … Eine Märtyrerin … Als ich gerufen worden bin, um ihr die letzten Tröstungen zu spenden, war ich jung; jetzt bin ich alt. Bei einem Sterben wie dem ihren bin ich nie mehr gewesen. Kein Sterben – eine Himmelfahrt!“

„Aber die Geschichte mit dem Schweden,“ sagte Kosel. Sein Gedankenapparat hatte eine Stockung erlitten; er war beim letzten Satz stehen geblieben.

Die große Pendeluhr am Pfeiler hob zum Schlagen aus: Freundin, schlag Zehn! rief Charlotte sie im stillen an; verkündige die Stunde der Erlösung! Die Angeflehte schlug, aber – was? Schnöde Neun und dann Eins. Ein Viertel nach Neun. Drei Viertelstunden hat man noch sitzen zu bleiben und zu thun, als ob es nicht anders sein könnte! Warum so thun? Weil’s Hausbrauch ist. – Was ist Brauch? was erhebt sogar die blödsinnigste Einrichtung zum Brauch? – das sklavische und gedankenlose Festhalten an ihr.

O, den Mut haben, zu protestieren! „Nein“ zu sagen zu der öden Tyrannei, sich zu erheben, Gute Nacht zu wünschen und in sein Zimmer zu gehen, wo die vielen Rechenbücher warten und wo es Arbeit in Hülle und Fülle giebt. Charlotte hat den Mut nicht und nicht die Kraft, die Ordnung der Dinge umzustürzen, aber sie hat anarchistische Gefühle, und die dämonische Macht, die den Arm des Bombenschleuderers leitet, brennt ihr auf der Zunge.

„Felix,“ sagt sie plötzlich, „deine Buben brauchen einen Hofmeister.“

(Fortsetzung folgt.)

Des Sachsenkönigs Jubelfest.

(Mit den Bildern S. 229, 233 und 235.)

Zwei Jubeltage sind König Albert von Sachsen in diesem Jahre beschieden. Siebzig Jahre werden am 23. April verflossen sein, seit er das Licht der Welt erblickt hat, und am 29. Oktober wird ein Vierteljahrhundert seiner Regierung sich vollenden. Am 23. April sollen beide Jubiläen zusammen gefeiert werden, und ganz Sachsen hat sich zu diesem schönen Doppelfeste bereitet. An des Sachsenkönigs Jubeltag wird aber auch das gesamte deutsche Volk im Herzen freudigen Anteil nehmen, denn es blickt zu ihm dankbar empor als zu einem der großen Helden, die im Feuer der Schlachten die deutsche Einheit zusammenschmiedeten.

Welche Erinnerungen knüpfen sich nicht an die kriegerische Laufbahn dieses deutschen Fürsten!

„Die Armee war meine erste Jugendliebe,“ hat König Albert selbst bei seinem fünfzigjährigen Armeejubiläum im Jahre 1893 gestanden. In der That hatte er schon als Knabe reges Interesse für das Heerwesen gezeigt, als Offizier mit Pflichteifer die Manöver mitgemacht, bis frühzeitig die Stunde kam, da er ins Feld rücken durfte. Das geschah im Jahre 1849, und der Befreiung Schleswig-Holsteins galt König Alberts erste Kriegsfahrt.

Vom Reichskriegsministerium in Frankfurt erging am 3. März 1849 an die sächsische Regierung die Eröffnung, eine Brigade in voller Kriegsstärke zu stellen. Schon Mitte März waren die Truppen, 6418 Mann, 1421 Pferde und 16 Geschütze, marschbereit; Generalmajor v. Heintz wurde zu ihrem Kommandanten ernannt und seinem Stabe Prinz Albert, damals Artilleriehauptmann, zugeteilt. In dem Feldzuge gegen die Dänen hat er die Herzen der Soldaten rasch gewonnen und die erste Feuertaufe mit Auszeichnung bestanden.

Es war am 13. April beim Sturm auf die Düppeler Schanzen. Als morgens 7 Uhr der Geschützkampf den Höhepunkt erreichte, so berichtet Dr. Paul Hassel in seinem Werk „König Albert von Sachsen“, sprengte der Prinz, begleitet von dem Rittmeister v. Senfft, auf seiner weißen Stute Stella zu dem sächsischen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0234.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)