Seite:Die Gartenlaube (1898) 0250.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

gekauft, das ganze bißchen Ausstattung. Das steht ja wohl nun unten, denn das hat sie ja auch zurückbekommen mit ihrem kleinen Vermögen – möcht’ wissen, ob er ihr dafür Zinsen gezahlt hat! Ihr Geld war ja doch der Grundstein seines jetzigen Wohlstandes. Ach, ich möchte vieles wissen, aber fragen kann man sie doch nicht danach.“

Sie streicht sich seufzend über den braunen schlichten Scheitel und geht dann nach unten. Als sie in das Wohnzimmer tritt, deckt Christel eben den Tisch; sie ist in einer großen leinenen Schürze und in einem sehr einfachen grauen Lüsterkleid. „Du mußt wirklich recht vorlieb nehmen,“ sagt sie mit frischer Stimme, „bist bei einer einfachen Bauernfrau, Lottchen, aber deinen Lieblingsbraten bekommst du doch; Nachbar Wendlandt hat Hühner geschossen.“

Es ist ein großes Zimmer mit alter, schon vielfach ausgebesserter Vertäfelung an den Wänden und mächtigem Balkenwerk unter der Decke. Um den riesigen Kachelofen von grüner Farbe – das einzige, was Christel für ihr eigenes Behagen angeschafft hat – zieht sich eine Ofenbank wie in einer richtigen Bauernstube. Er ist ein wenig angeheizt, und das macht es sehr gemütlich in dem niedrigen Raum. Die getäfelte Diele ist spiegelblank und Christels alte Möbel stehen wirklich hier unten, auch der Raritätenschrank, den sie als Mädchen schon besaß; sie sehen ganz stattlich aus. Ein paar Familienbilder hängen oberhalb der Vertäfelung an der einfach weiß getünchten Wand; in der tiefen Fensternische steht der Nähtisch, und über ihm hängt der Vogelbauer mit einem lustigen, goldgelben Mätzchen. Durch die mit einfachen Gardinen verhängten Fenster scheint die blasse Oktobersonne.

Marie kommt eben mit der Suppenschüssel. „Heute wird’s der Frau aber schmecken,“ sagt sie lächelnd, „wo sie nicht allein am Tische zu sitzen braucht; da wird die Frau auch nicht so schnell fertig sein wie sonst, wo man meint, es sei gar nicht möglich, daß sie gegessen hat.“

„Ja,“ nickt Christel, „das kannst du erleben, daß ich heute länger sitzen bleibe. Komm’, Lotte,“ und hinter ihren Stuhl tretend, spricht sie das Tischgebet.

Der Pastorin stehen schon wieder die Thränen in den Augen. „Ganz allein sitzt du hier beim Essen?“ fragt sie.

Christel bejaht. „Mittags immer.“

„Ach Gott, ach Gott, wie hältst du das nur aus, Christel? Mir schmeckte so allein kein Bissen.“

Christel sieht sie an. Ich habe Schwereres ausgehalten, sagen ihre Augen.

„Es ist nicht so schlimm, Lottchen,“ tröstet ihr Mund, „versalze dir die Suppe nur nicht mit deinen Thränen.“

Aber die Pastorin schluchzt immerfort, und endlich, als man beim Nachtisch ist, der aus Eierkuchen und geschmorten Pflaumen besteht, bricht sie in die Worte aus: „Warum bist du denn nicht lieber in Dresden geblieben und lebst von deinen Zinsen? Konntest ja Zimmer vermieten, oder so was? Großer Gott, Christel, hier mußt du ja tiefsinnig werden!“

„Lotte, du weißt ja gar nicht,“ sagt die Schwester, und sie legt den Löffel auf den Teller und schiebt diesen langsam zurück, „du weißt ja nicht,“ wiederholt sie, „wie ich mich gesehnt habe nach diesem Alleinsein, nach Luft, nach Arbeit, nach so viel Arbeit, daß ich gar nicht zum Denken kommen kann. Ich sollte da in Dresden müßig sitzen in einer Mietswohnung, ich, die, seit ich erwachsen bin, immer auf dem Lande war? Ich sollte da müßig sitzen, in einer engen Stube, ich, die überhaupt nur ruhig werden kann unter Gottes freiem Himmel, die ich keinen Atem kriege vor Bangigkeit beim Müßigsein?“

Sie ist ganz rot geworden; sie steht auf, stößt den Stuhl zurück und reckt die Arme, als müsse sie sich wehren gegen jemand, der sie in diese Mietswohnung schleppen will. „Lotte, bedenke doch,“ fährt sie fort, „wie ich an das Wirtschaften gewöhnt bin! In meiner Sehnsucht, in meinem Gram, da bin ich immer nur hinausgeflüchtet aus der Stube, bin umhergewandert in der Umgebung Dresdens, alle Tage, meilenweit. Nur keinen Menschen sehen, nur Einsamkeit, Luft! Und dann kam der Tag, wo die Gerichte uns endgültig losgesprochen hatten voneinander, und da, an dem nämlichen Tage kaufte ich mir ein Billet und fuhr ein Stück vom Böhmischen Bahnhof aus. Ich nannte eine Station, ein kleines Städtchen an einer Zweigbahn, von dem ich kürzlich hatte sprechen hören. Der Zufall fügte, daß auch gerade ein Zug dorthin abging. Bis ans Ziel fuhr ich gar nicht mit, in Dittsdorf stieg ich aus und lief auf gut Glück die Chaussee nach Bärenwalde zu. Wie ich da mitten im Dorfe stand, wurde mir so elend zu Mute, ich bekam starkes Kopfweh mit Schwindel und sah mich nach einer Bank um, wo ich ausruhen könnte. Das Thor zu dem Rödershof stand offen und ich schleppte mich bis hier herauf, nach der Bank unter der Linde; und da saß ich und saß, bis es dämmerig wurde, kein Mensch kam, alles öde, das Gehöft war wie ausgestorben. Endlich ging ich in die Hausthür hinein und fand eine alte Frau in der Küche, die Kartoffeln schälte, die übrigen Hausgenossen und das Gesinde war wohl auf den Feldern. Sie ließ ihre Arbeit, führte mich in diese Stube und holte mir ein Glas Milch, um das ich bat; dann setzte sie sich in den Lehnstuhl und klagte mir sehr geschwätzig, daß alle ihre Kinder in die Stadt gezogen seien, keins wolle den Bauern spielen, und ihre jüngste Tochter habe sich nun auch vor acht Tagen mit einem Lehrer in Dresden verlobt. Wenn sie den Hof nur erst verkauft hätte, sie wolle es in die Zeitung setzen lassen.

Ach, und es war so still hier und so friedlich, und die Alte weinte so heiße Thränen um ihr schönes Gütchen, auf dem sie so glücklich gewesen, lange Zeit. Es überkam mich gleich eine starke Sehnsucht, hier zu bleiben. Ich fragte nach diesem und jenem, und die Frau zeigte mir eifrig das Anwesen. Das alte Haus gefiel mir so gut mit seinem herrschaftlichen Anstrich, den acht großen Stuben und Kammern, dem Bodenraum und den tiefen Kellern. Daß hinter den Eichentäfelungen die Mäuse raschelten, das störte mich nicht, und ebensowenig der vernachlässigte Fußboden und die ausgetretenen Treppenstufen. Ich hatte nur den Eindruck, als könnte man hier geborgen sein vor allen Stürmen. Ich mußte auch den Hof, die Stallungen sehen; das war alles nicht so recht in Ordnung, aber der Viehstand nicht schlecht. Und da kam mir immer stärker der Gedanke, hier hinein möchtest du dich flüchten, und so unabweisbar wurde diese Vorstellung, so überzeugend, daß ich die alte Frau bat, vorerst noch nichts in die Zeitung zu setzen, ich wollte mir’s überlegen, ob ich das Gütchen nicht an mich bringen könnte. Ich habe dann mit dem Doktor gesprochen, und er und mein Anwalt sind mit hinausgefahren, haben gesehen, Erkundigungen eingezogen, und so ist’s gekommen. Wenn etwas mich aufrecht erhält, Lotte, dann ist’s meine altgewohnte Arbeit, und nun gräme dich nicht um mich, du hast selbst genug Sorgen,“ schließt sie und bringt dem Vogel ein Blättchen Salat.

„Aber Robert meint, so ein kleines Gut wirft gar nichts ab, und du könntest dabei nicht bestehen,“ beginnt kleinlaut die Pastorin von neuem, „und die Unbotmäßigkeit der Leute –“

Christel lächelt. „Ich will freilich keine Schätze sammeln, Lotte; frag’ Robert, ob er denn so wenig die Christel noch kennt! Ich habe, denk ich, Talent, auszukommen und zusammenzuhalten, und Aerger mit den Leuten, Lotte, den giebt’s nicht bei mir; du weißt ja, ich kann allerwege gut mit ihnen auskommen. Zuerst haben sie freilich im ganzen Dorfe gelacht, und meine Knechte mit, über das ‚Weibsen‘, das den Bauern spielen will; dann merkten sie, daß ich’s verstand; jetzt kommen sie schon zu mir und fragen mich um Rat. Nein, Lottchen, sorge dich nicht, und nun halt ein wenig Mittagsruhe; wenn ich zur Vesperzeit vom Hofe hereinkomme, weck’ ich dich, und dann habe ich einige Stunden Zeit zum Schwatzen bis gemolken wird, und du erzählst mir von daheim.“

Als gegen fünf Uhr das Kaffeegeschirr abgeräumt ist, sitzen die Schwestern zusammen auf dem Sofa und die Pastorin beginnt ihren Bericht. Sie spricht von ihrem Manne und von sich, von der Verlobung ihrer Aeltesten, und wie ihnen die Beschaffung der Aussteuer so schwer werde; sie spricht von der Schwester, die noch immer böse ist auf Christel und auch auf Pastors, weil – nun ja, sie ist eben böse. Sie meldet die Ereignisse von jeder einzelnen Familie in Wartau und weiß ganz wunderliche Auswege zu finden, wenn sie einmal der Pfad der Rede auf Schloß Wartau zuführt; sie redet zuletzt schon von der ganzen Nachbarschaft, und Christel hört stumm zu.

Endlich schweigt die Pastorin, und da fragt Christels verschleierte Stimme durch die Dämmerung: „Warum sagst du

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0250.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2020)