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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Du, Lotte,“ klingt’s jetzt zaghaft an ihrem Ohr, „sag’ doch –“

„Was denn, Christel?“

„Wie heißt er denn?“

„Wer?“

„Antons Kleiner.“ Christel ist rot geworden und putzt an ihrer Kerze.

„Er ist doch noch gar nicht getauft!“ ruft die Pastorin etwas enttäuscht und schüttelt den Kopf über das sonderbare Wesen der Schwester.

„Ach ja, freilich!“ antwortet Christel, „Gute Nacht, Lotte!“

Schlafen kann sie auch in dieser Nacht nicht. Seit gestern hört sie beständig ein Schlummerliedchen vor ihren Ohren, seit gestern schaukelt immerfort eine Wiege vor ihren Augen, und vor der Wiege liegt ein Mann auf den Knieen und staunt sein Kind an, seinen und Ediths Sohn, wie ein Wunder. Und aufstöhnend drückt sie den Kopf in die Kissen. Jetzt erst, das weiß sie genau, jetzt ist sie ganz aus seinem Herzen verdrängt, von jetzt ab wird kein einziger seiner Gedanken die kinderlose verstoßene Frau in der weiten Welt suchen.

Ach, wie einsam, wie unglücklich ist sie seit gestern!

(Fortsetzung folgt.)


Wie das erste Deutsche Parlament entstand.

Ein Rückblick von Johannes Proelß.
Mit Illustrationen nach gleichzeigen Lithographien und Holzschnitten.
IV.0 Das Vorparlament. (Schluß.)

Es war eine erlauchte Versammlung patriotischer Männer, die sich zum „Vorparlament“ in Frankfurt zusammengefunden hatte und nun die Bänke im Schiff der Paulskirche füllte. Die jugendliche Idealgestalt der Germania, die aus einem Kolossalgemälde über der schwarz-rot-golden drapierten Rednerbühne auf sie herabgrüßte, verhieß ihnen die Verwirklichung des politischen Ideals, dem sie einst ihre Jugend, dann ihr Mannesleben geweiht hatten. Gar viele, welche sich im Kampfe gegen das Metternichsche System seit den Karlsbader Beschlüssen als „Märtyrer und Pioniere“ des deutschen Nationalbewußtseins rühmlich hervorgethan hatten, waren dem Rufe gefolgt, den der Heidelberger Ausschuß der „Siebener“ an sie gerichtet hatte. „Nicht bloß aus deutschen Gauen,“ berichtet W. Zimmermann, „auch aus England, aus der Schweiz, aus Frankreich und aus Belgien kamen deutsche Männer: sie hatten dort, mancher seit den dreißiger Jahren, als Flüchtlinge gelebt. Andere waren kaum erst den Kerkern entstiegen; viele, die in der Jugend wegen des schwarz-rot-goldnen Bandes und der Idee gelitten, die jetzt als die allgemeine und herrschende erschien, sahen sich nun in Frankfurt wieder, nach zehn, nach zwanzig, nach dreißig Jahren. Es war großenteils die deutsche Burschenschaft mit ergrauenden, wohl auch mit grauen Haaren, die in der Mainstadt zusammenkam, und viele kamen noch mit dem Ideal ihrer Jugend in den Frankfurter Römer.“ Gerade diesen erschien der Sturz Metternichs und die gleichzeitige Einführung eines wahrhaft freisinnigen Verfassungswesens in allen deutschen Staaten als ein so außerordentlicher Triumph ihres Strebens, daß mit der Sicherung der erlangten Freiheit durch eine einheitliche Bundesverfassung ihnen die Erfüllung der patriotischen Wünsche gewährleistet schien, für die sie gestritten und gelitten hatten.

H. Wesendonck.
Nach der Lithographie von F. Hickmann.

W. Schaffrath.
Nach der Lithographie von Schertle.

Dieser Stimmung entsprach das Programm, das der Siebener-Ausschuß als Grundlage für die Verhandlungen vorbereitet hatte. An der Spitze desselben stand der Welckersche Verfassungsentwurf, der ein Bundesoberhaupt mit verantwortlichen Ministern, einen Senat der Einzelstaaten und ein aus freien Wahlen hervorgehendes Volkshaus – das Parlament – vorsah. An den letzten Punkt des Entwurfs, die „Verbürgung der volkstümlichen Freiheitsrechte“, knüpfte das Programm noch die folgenden Vorschläge: Der Beschluß der Einberufung der konstituierenden Nationalversammlung auf obigen Grundlagen erfolgt durch die um Vertrauensmänner verstärkte Bundesbehörde (den „Bundestag“). Ein aus gegenwärtiger Versammlung zu wählender permanenter Ausschuß von 15 Gliedern ist beauftragt, den Vollzug der Einberufung zu betreiben. Wenn innerhalb vier Wochen von heute der Zusammentritt nicht erfolgt ist, so tritt diese Versammlung am 3. und 4. Mai hier wieder zusammen. Im Falle der Dringlichkeit kann der Ausschuß die Versammlung auf einen früheren Termin zusammenberufen.

So hatte der Siebener-Ausschuß auch Garantien für die Ausführung der Beschlüsse der Versammlung vorgesehen, und wie Welcker seine Zugehörigkeit zum Bundestag, so hatten Gagern und Römer ihre Stellung als Minister benutzt, um sich im voraus der Majorität im Bundestag zu versichern, auf daß dieser für ein Zusammenwirken mit dem Vorparlament und seinem Ausschuß gestimmt sei.

Kaum aber hatte Mittermaier als Präsident der Versammlung die Debatte über das Programm der „Siebener“ eröffnet, da stürmte behend Struve auf die Tribüne und brachte eine Zusammenstellung der „Rechte des deutschen Volks“ zur Verlesung, deren sofortige Anerkennung er verlangte. Und in schärfster Zuspitzung hallten die Forderungen der „entschiedenen“ Republikaner in den Raum, als deren letzte Struve mit erhobener Stimme verkündigte: „Aufhebung der erblichen Monarchie und Ersatz derselben durch freigewählte Parlamente, an deren Spitze freigewählte Präsidenten stehen, alle vereint in der föderativen Bundesverfassung nach dem Muster der amerikanischen Freistaaten!“ Und weiter rief er: „Deutsches Volk, dieses sind die Grundsätze, mit deren Hilfe allein, unseres Erachtens, Deutschland glücklich, geachtet und frei werden kann! Deutsche Brüder in Ost und West, wir fordern euch auf, uns in dem Bestreben zu unterstützen, euch die einigen und unveräußerlichen Menschenrechte zu verschaffen! Wir werden in Frankfurt a. M. vereinigt bleiben, bis ein freigewähltes Parlament die Geschicke Deutschlands leiten kann. Mittlerweile werden wir die erforderlichen Gesetzesvorlagen entwerfen und durch einen freigewählten Vollziehungsausschuß das große Werk der Wiederherstellung Deutschlands vorbereiten!“

Es war der von ihm mit Hecker geplante Versuch, zu gunsten ihres republikanischen Ideals die Versammlung zu überrumpeln. Mit einem Anhang von 15 Gesinnungsgenossen, vornehmlich aus Baden, Sachsen und der preußischen Rheinprovinz, wollten sie nach dem Pariser Vorbild von 1789 die Permanenz des Vorparlaments durchsetzen und von dessen Tribüne aus das Feuer der Revolution in ganz Deutschland schüren. An eine geordnete Diskussion über das „Siebener“-Programm war nun nicht mehr zu denken. Die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0254.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)