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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Auf dem Klosterhofe bleibt man stehen und betet: „Maidari als Befehlshaber aller siegreichen Buddhas möge seine Anbeter fähig werden lassen, sich an der Größe seiner Lehren zu ergötzen, wenn sie die Betmühle drehen etc.“ Die Lamaïten benutzen verschiedene Bet-Automaten; es werden entweder Wind- oder Wassermühlen verwandt, arme Leute lassen über ihren Häusern Flaggen, bedruckt mit Gebeten, sogenannte „Chij-morin“ (chij heißt Wind, morin Pferd), wehen und Wohlhabende sind sogar neuerdings darauf verfallen, ihre Betmaschine durch Uhrwerke in Bewegung zu erhalten.

Nach obigem Gebete wird der Wagen des Maidari zuerst zur Nord-, dann zur Westpforte des Tempelhofes gefahren. Nun erholen sich die Lamas und speisen, worauf man zur Süd- und Ostpforte sich begiebt und schließlich wieder am Tempeleingange ankommt, womit die Feierlichkeit ihr Ende erreicht.

Das andere Fest, der „Tsamm“, besteht in einem pantomimischen Tanze der als Dokschiten (böse Götter) verkleideten Lamas. Auch hier dauern die Vorbereitungen etwa zwei Wochen, denn es müssen alte Masken ausgebessert, neue angeschafft und Gäste eingeladen werden. Dann haben aber auch die Lamas die Aufgabe, im Traume zu sehen, wie sie sich maskieren und wie sie tanzen sollen, um den betreffenden Gott getreulich kopieren zu können. Auch der „Tsamm“, den wir auf S. 273 im Bilde wiedergeben, wird nur im Klosterhofe gefeiert.

Zunächst wird derselbe gründlich gesäubert, dann wird dem Eingänge zum Tempel gerade gegenüber auf vier Säulen ein Baldachin aus Seide errichtet, der in blau-rot-gelb prangt. Ueber den vier Ecken dieses Zeltes, in das die Opfergaben zu bringen sind, wehen Fahnen. Das ist der Mittelpunkt der Feierlichkeit. Nun werden um das Zelt herum durch ausgestreutes Mehl oder pulverisierte Kreide mehrere Kreise gezogen, und zwar zunächst zwei Kreise, in denen die Dokschiten, und dann weiter gleichfalls zwei, in denen die Schanaken (nicht verkleidete Personen) tanzen; dann markiert man in derselben Weise einen Weg bis zum Tempeleingange und in seiner halben Länge noch einen Kreis, in dessen Grenzen sich die Masken während der Ruhepausen aufhalten. Das Tischchen, auf welches unter dem genannten Baldachin die Opfergaben gestellt werden, wird vorher mit einem Pantherfell und dann mit einem seidenen Tuche bedeckt.

Der Gottesdienst hat um Fünf unter dem üblichen Lärm aller vorhandenen Musikinstrumente begonnen, um Sieben ist er beendet, und bis zehn Uhr erholen sich alle Teilnehmer an demselben oder bringen ihre Maskenanzüge in Ordnung. Letztere sind stets aus prachtvollem Seidenzeuge gefertigt, meistens ist es einfarbiger Atlas, aus dem sie bestehen. Sie sind sehr breit, namentlich die Aermel, denn es heißt ja, daß die Dokschiten in ihren Händen Pfeil und Bogen verborgen halten, um die Feinde der Religion zu vernichten. Die Kopfmasken bestehen aus Papiermaché und sind in Form und Farbe genau dem Götzen, den sie darstellen, nachgebildet; man sieht verzerrte Menschengesichter, Köpfe von Löwen, Ochsen, Elefanten etc. Auf einigen Masken unserer Abbildungen (S. 272 und 273) sind fünf Totenköpfe, das Zeichen eines der Dokschiten, sichtbar.

Die aktiven Festteilnehmer kommen aus dem Tempel – voran mehrere Lamas in ihrer prächtigen gelben Kleidung mit der feuerroten Schärpe über der Schulter, Lampions in den Händen tragend, ihnen folgen Amtsbrüder mit Räuchergefäßen, Musikinstrumenten etc. Alle haben sich in gebührender Ordnung aufgestellt und nun beginnt die Musik, worauf die beiden ersten Masken erscheinen. Es sind zwei in enganschließende, weiße Kleider gehüllte Gestalten mit Totenköpfen als Maske und Stäben in der Hand, man nennt sie „Dürtott“. Ferner erscheint ein als Rabe verkleideter Mönch, „Chré“ genannt.

Das Opfer „Ssor“ liegt noch nicht auf dem Tischchen inmitten der Kreise, sondern ist irgendwo im Hofe aufgestellt. Der Rabe stürzt sich auf dasselbe, um es zu stehlen, während die beiden Dürtott bestrebt sind, ihn von dort mit Hilfe ihrer Stäbe zu vertreiben. Dieser einige Zeit währende Kampf ist die Einleitung zu der eigentlichen Handlung der Pantomime.

Ein stattlicher Lama erscheint mit zwei heiligen Gefäßen: dem Gabalu und dem Mandal in Händen; in ersterem befindet sich Blut, in letzterem Getreide, und unter einem lauten Aufschrei schüttet er den Mandal über dem Gabalu aus. Dann wird das Opfer unter den seidenen Baldachin getragen und im selben Augenblick beginnen die Totenköpfe einen wilden Tanz um dasselbe, werfen ihre Knüttel in die Luft und fangen sie wiederum auf, verrenken ihre Glieder etc., laufen sechsmal um die Opfergabe und bleiben schließlich neben derselben stehen. Ihre Rolle ist zu Ende gespielt, nur von Zeit zu Zeit sieht man sie noch den gefräßigen „Chrévogel“ davonjagen.

Wieder steigert sich die Musik zu einem Höllenspektakel, es erscheinen zwei imitierte Einwohner des Hindostan, gewöhnliche, allerdings braungefärbte Menschengesichter, doch karikaturenhaft verzerrt. Auch ihre Kleidung ist braun. Ihre Aufgabe besteht eigentlich nur darin, dem ihnen folgenden Fürsten, Tschakrawarting-Chan, ehrerbietig entgegenzugehen, im übrigen jedoch stürzen sie sich auch mitunter unerwartet auf das zuschauende Volk, was viel Heiterkeit erregt. Nun folgt der letzgenannte mit Gemahlin und Sohn, hinter der ehrwürdigen Familie laufen zwei kleine Trabanten mit entblößten Schwertern auf den Schultern einher. Auch diese Herrschaften spielen keine glänzende Rolle, nur werden sie – wie schon gesagt – von den beiden Hindus begrüßt, wobei man ihnen Blumen auf den Weg streut, und dann zu einem Diwan geleitet, wo sie sich gemütlich hinpflanzen. Ihre Trabanten stellen sich zu beiden Seiten auf.

Ein lautes Blasen auf Seemuschelhörnern lockt nun noch eine Familie hervor, und zwar Hasching-Chan mit sechs Söhnen, von denen der ältere stets um einen Fingerbreit größer ist als sein jüngerer Bruder. Alle tragen Musikinstrumente, Glocken, Tamtams, Metallbecken, in Händen. Von Hasching-Chan meldet die Ueberlieferung, daß er einst jeden vorüberziehenden Buddha besonders herzlich aufnahm, daher ihm hier der Zutritt freigestellt ist. Auch diese musikalische Familie verhält sich mehr passiv zur Festlichkeit, ihre verzerrten Mongolenmasken aber wirken außerordentlich komisch ihres bodenlos gutmütigdummen Ausdrucks halber.

Kaum haben diese Ankömmlinge sich gleichfalls gesetzt, so folgt ein heftiges Dröhnen auf zwei Metallbecken und es erscheinen zwei dunkelgelbe, zwei braune, zwei blaue und zwei grüne abscheuliche Maskenfratzen, denen Mehl auf den Weg gestreut wird und die längere Zeit plump umherhüpfen. Sie bleiben so lange in Thätigkeit, bis zwei Schamas (Zauberer), der eine mit einem Kuh-, der andere mit einem Hirschkopf, den Tempel verlassen und, nachdem ihnen Blut auf den Weg gegossen worden ist, sie im Tanzen ablösen. Nun folgen sich die übrigen Masken ziemlich rasch aufeinander.

Es erscheint Otschir-Wani, mit einer Schlinge in der Hand, mit der er die Feinde der Religion fängt, dann der Gonbo mit schwarzem Gesicht, hernach Hlamá mit seiner blauen Menschenmaske, der Löwenkopf Sengey-don-shan und der ein mythisches Ungeheuer darstellende Tschus-rin-don-shan, Namsarai mit einem Netze in der Hand, Gonbo-Guru mit den acht Assistenten des Tschamssaran und schließlich dieser selbst: die schrecklichste Maske, die es geben kann. Er besitzt zwar ein Menschenantlitz, doch unsagbar verstümmelt, in der einen Hand hält er ein feuriges Schwert, in der anderen ein blutiges Herz. Ganze Ströme von Blut hat man vor ihm ausgegossen, in den Reihen der Zuschauer regt sich ein Gefühl des Grauens.

Der Tanz aller genannten Persönlichkeiten ist schwerfällig und träge, sie nutzen die Geduld der Zuschauer nach Möglichkeit aus und daher ist eine heitere Abwechslung nötig. Dieselbe wird bewirkt, indem Tsagan-Ebugèna, jener famose Greis mit dem ungeheueren Kopf, dem weißen Schlafrock und langen Bart, erscheint. Er schreitet nicht wie andere Darsteller gravitätisch einher, sondern wird, in einen großen Teppich gehüllt, auf den Schauplatz getragen. Nachdem er einige Zeit regungslos gelegen, erhebt er sich, ordnet seinen Schnurrbart und die Augenbrauen, hält die Hand über die Augen und sieht sich die Gesellschaft an, geht bald auf eine, bald auf die andere Seite, dann giebt man ihm einen ordentlichen Branntwein und nun „legt er los“, daß die Hacken in der Luft blinken! Er tanzt wie ein schwer Bezechter, bis er vor Müdigkeit hinstürzt. Einige Zeit liegt er still da, dann marschiert er langsam aus dem Kreise hervor, setzt sich auf den Boden und beginnt ein Schafsfell zu krauen. Ein fröhliches Gelächter hat sein Auftreten begleitet. Auch bei diesen religiösen Tänzen geht es also nicht ohne Hanswurst ab.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0271.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2020)