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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Edith geht wieder mit ihrem gekränkten Stolz, ohne sich ausgesprochen zu haben.

Aus dem Napoleonszimmer klingen die Stimmen der beiden alten Damen ungemein laut und lebhaft, als seien sie in einer ernstlichen Debatte begriffen. Tante Tonette hat den Theetisch hier oben decken lassen. Sie haben sich so viel zu erzählen, allein zu erzählen nach der jahrelangen Trennung. Edith fühlt, daß sie sich in Josephs eine strenge Richterin und Beobachterin eingeladen hat, die sich durch den äußeren Glanz ihrer Häuslichkeit nicht blenden lassen wird, deren eingewurzelter Widerwille gegen ihre Heirat sich nicht beruhigen kann um den Preis, daß Wartau daran hängt.

Und dann dieser Edi! Er ist doch ganz einfach ein Pedant der allerschlimmsten Sorte, ein ganz verächtlicher Pedant, fast ein Feigling! Was mag er sich denken bei dem ganzen? fragt sich Edith, während sie ihr Ankleidezimmer betritt. Sie lacht leise und höhnisch. Es ist eigentlich ziemlich klar – wenn sie sich die Geschichte von Anfang an vergegenwärtigt, so hat er ihr mit der unhöflichen kurzen Absage eine Lehre geben wollen, eine bittere Lehre: du gehörst einem andern, was willst du denn noch von mir? Für mich bist du nicht mehr vorhanden!

Sie glaubt, bestimmt annehmen zu können, daß Edi sie noch liebt. Sein Bruder ist gestorben und Edi heiratete allen Mutmaßungen zum Trotz die junge Witwe nicht. Diese hat vielmehr nach der üblichen Trauerzeit ihrem nach dem Tode des Gatten geborenen Söhnchen einen zweiten Vater in der Person eines älteren Vetters von sich gegeben, und Edi ist bis zur Stunde ledig. Edith traf ihn zweimal im Laufe der letzten Jahre; einmal bei einer Strandpromenade auf Norderney – wo er sie gar nicht bemerkt haben würde, hätte sie ihn nicht angesprochen, und wo er so übertrieben höflich und sehr kühl sie ein Stückchen begleitete und ihr mitteilte, daß er andern Tages leider Norderney verlassen müsse, da er sich mit einem Freunde auf Borkum treffen wolle. Und zum zweitenmal sah sie ihn vor einem halben Jahre in Berlin. Sie verbrachte dort einige Tage mit ihrem Mann. Edith war, wie sie es liebte, auf Besorgungen aus, Mohrmann schrieb einige Briefe im Hotel. Nicht weit vom „Kaiserhof“ sieht sie Edi auf der Straße. Er grüßte und will vorüber, dann zögerte er, fand es wohl selbst unartig, so fremd und eilig vorüberzugehen, und erkundigte sich schließlich nach dem Befinden der gnädigen Frau. Dabei war er rot geworden. Während sie die Wilhelmstraße nach den „Linden“ zu gingen, fragte sie ihn, warum er so schrecklich fremd thue. Er meinte, das komme ihr nur so vor. Dann plapperte sie alles mögliche, redete sich in eine warme Herzlichkeit hinein, und heute erinnert sie sich, daß er doch wenig auf das alles geantwortet hat. Vor dem Magazin, wo er ihr ritterlich die Thür öffnete, verabschiedete er sich. Sie schüttelte ihm die Hand: „Es war nett, Lieutenant Waldenberg, wollen Sie uns einmal besuchen auf Wartau?“

Er stammelte irgend einen Dank für diese Freundlichkeit, war wieder wie mit Blut übergossen, gerade so wie damals, als sie ihm zum erstenmal einen Cotillonorden brachte. „Es wäre nett,“ versicherte sie nochmals, „mein Mann würde sich gewiß freuen – versprechen Sie es mir?“

„Gnädige Frau sind zu liebenswürdig!“ Dann hatte er die Hand an die Mütze gelegt, sich verbeugt und war zurückgetreten, und Edith konnte nicht gut weiter in ihn dringen.

Sie hatte sich tagelang mit dieser Begegnung beschäftigt. Wie lieb er war in seiner Verlegenheit, wie vornehm er aussah! Und nun hat sie vor vier Wochen an ihn geschrieben, anknüpfend an sein Versprechen, das er ihr in Berlin gegeben, sie in Wartau zu besuchen. Sie seien doch alte Freunde, und sie wolle den Anfang machen, das Gras, das auf dem Wege dieser Freundschaft gewachsen sei, auszujäten; sie erwarte ihn also zu der kleinen Festlichkeit, er dürfe nicht ablehnen. – Dann flog die Einladungskarte hinterher, auf welcher „Herr und Frau Mohrmann sich die Ehre geben …“ Sie hat’s sich wirklich reizend ausgemalt, ihm in allem Glanz der Schloßfrau von Wartau entgegenzutreten, sich in seiner noch immer nicht erloschenen Leidenschaft zu sonnen, kurz und gut, ihn ein wenig wieder an ihren Triumphwagen zu fesseln. Und jetzt benimmt er sich wie ein Thor, empörend unhöflich, antwortet ihr gar nicht einmal, sondern schreibt dem Ehemann, daß er bedauere –! Ma wird sich natürlich ins Fäustchen lachen; die spießbürgerlich gewordene kleine Frau hatte ja auf sie eingeredet, als ob sie im Begriff sei, ein Verbrechen zu begehen mit dieser Einladung. Natürlich wird Ma sagen: „Siehst du – ich habe recht! Der Edi Waldenberg ist eine viel zu vornehme Natur; er respektiert dein Haus und deinen Mann, und du hast eine schöne Lehre von ihm bekommen!“

O, Edith kocht innerlich, sie kann solche Tugendbolde nicht leiden. Mein Gott, warum soll eine junge hübsche Frau nicht ein wenig kokettieren dürfen? Zu pedantisch, zu engherzig! Sie ballt die kleine Hand zur Faust; wenn sie wenigstens ihrem Herzen Luft machen könnte!

Mitten in diesen desperaten Zustand hinein klopft es. Tante Josepha erscheint mit Tante Tonette, um Edith erst mal ordentlich zu begrüßen. Diese liegt noch immer auf der Chaiselongue ihres Ankleidezimmers in übelster Laune. Mit Tante Tonette macht sie ja nicht viel Federlesens, sie hätte ihrethalben sich nicht erhoben aus der bequemen Lage – Tante Josephas blasses strenges Gesicht aber läßt sie aufstehen, wenn auch nicht allzu verbindlich.

Tante Tonette sieht erhitzt und ärgerlich aus; es ist ihr trotz aller glühenden Schilderungen, trotz allen handgreiflichen Augenscheines nicht gelungen, ihre Schwester von dem Wartauer neuen Glück zu überzeugen. Von Josephas Gesicht ist das skeptische Lächeln nicht gewichen, das da sagt: Trotz alledem glaube ich nicht daran!

Die Damen sitzen in dem hohen kühlen Zimmer und Tante Tonette ärgert sich, daß Josepha kein Wort des Beifalls hat für die reizende kostbare Einrichtung desselben. „Ist unser altes Heim nicht wunderhübsch wiedererstanden?“ fragt sie endlich direkt. „Der Stil der neuen Einrichtung ist tadellos und schmiegt sich so hinein in den alten kostbaren Rahmen – alle Kenner sind entzückt davon, es ist ein wahrer Rokokotraum.“

„Sehr schön!“ giebt Tante Josepha zu, „nur zu neu! Ich muß mich erst an diesen Glanz gewöhnen, in mir lebt noch zu mächtig das Bild des alten lieben Schlosses mit den Erinnerungen an meine Kindheit – ich kann sie nicht wiederfinden.“

„Und den Moderduft auch nicht, der den Verfall begleitete,“ giebt Tonette ärgerlich zurück. „Es ist undankbar von dir, Josephine, daß du dich nicht auch freust.“

„Du weißt ja, weshalb ich es nicht kann,“ klingt es gelassen.

„Er sollte nur Baron sein, dann –“

Ediths Lachen unterbricht den Streit. „Tante Josephas außerordentlich aristokratische Grundsätze stoßen sich hier auf Schritt und Tritt die Köpfe blutig,“ sagt sie. „Arme Tante Josepha! Du wirst Mühe haben, die verletzten in der Stille deines adligen Stiftes zu heilen.“

„Meine Grundsätze sind nicht ausschließlich aristokratisch, sie sind die jedes anständig denkenden Menschen!“ klingt’s gereizt zurück.

„Und Mohrmann ist ein solcher,“ ereifert sich Tonette, „innerlich und äußerlich! Was ihm noch gefehlt hat, das hat er sich angeeignet während seiner Ehe mit Edith! Sie soll’s selber sagen – bitte, Kind – ob er sie nicht mit einer geradezu erstaunlichen Rücksicht behandelt, ihr nicht jeden Wunsch von den Augen abliest! Ob ihre Ehe nicht in jeder Hinsicht eine glückliche ist!“

Edith lacht wieder, halb spöttisch, halb belustigt.

„Ich weiß nicht,“ erwidert Josepha trocken, „ob das ein so großer Vorzug ist, wenn er ihr jeden Wunsch erfüllt.“

Edith sieht sie erstaunt an.

„Das könnte nur dann ein Lob bedeuten,“ fährt die alte Dame unentwegt fort, „wenn die Frau, der solche Rücksicht entgegengebracht wird, ein vernünftiges, einsichtsvolles bescheidenes Wesen ist, denn sonst würde ich es für Schwäche halten, oder für Gleichgültigkeit, je nachdem –“

„Aber Josepha!“ ruft Tonette, „du verstehst es, Artigkeiten zu sagen!“

Edith hat sich erhoben; sie ist furchtbar erregt, dunkelrot färbt das zornige Blut sie; sie weiß, worauf das zielt, aber noch ehe sie fragen kann: „Du meinst wohl Waldenberg?“ fährt Josepha gelassen fort, indem sie mit den Fingern an dem Volant eines Fauteuils zupft: „Zum Beispiel würde ein Mann mit angeborenen aristokratischen Grundsätzen nie einen ihm persönlich unbekannten Herrn einladen, nur weil es die Frau Gemahlin wünscht; man müßte dann doch eine geradezu verblüffende Naivetät bei ihm voraussetzen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0283.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2020)