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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Vorteil seines Herzogs fest in der Hand, und erst 1650, im zweiten Jahr nach dem allgemeinen Friedensschluß, konnte er die Festung, besser bewehrt und ausgestattet, als sie vor dem Kriege gewesen, dem Hause Württemberg zurückgeben.

Vor der Uebergabe schrieb Wiederhold dem Herzog einen Brief, daß er alles „aus unterthäniger Pflicht gethan und seine damals nicht wenig gefährliche Entschließung einzig und allein Ewer Fürstl. Gnaden und Hochdero Haus zu gut ergriffen habe, maßen die verstrichenen Zeiten und der gute Ausgang ein solches bezeugen. Er hoffe also, keine Ungnad oder Widriges befahren zu müssen, und bitte Fürstl. Gnaden, was Jhro etwa unbeliebig gefallen, gnädig zu verzeihen“. Die Antwort des Herzogs lautete höchst ehrenvoll: Wiederhold habe die Festung „zu seinem unsterblichen Ruhm und Unserer besten Zufriedenheit erhalten. Wann er Unseren Befehlen nicht alle Zeit folgen können, so haben Wir kein Bedenken getragen, in seinem billigen Begehren zu willfahren und ihn in Kraft dies Unserer fürstlichen Huld und Gnade beständigst und in bester Form zu versichern etc.“ Der Herzog bewies dies auch durch die That, indem er ihn mit Ehren überhäufte. Als Obervogt von Kirchheim genoß Wiederhold bis zu seinem Tod allgemein das höchste Ansehen; auch ein zeitgenössischer katholischer Schriftsteller sagt von ihm, „er wäre hoch zu loben, wenn er die gute Sache geführt hätte“.

So steht Wiederholds Bild als das des treuesten und klügsten Dieners seines Herrn in der Geschichte da. Aber noch heller erstrahlt sein Ruhm als Kriegsheld. Die Chronik der fünfzehnjährigen tapferen Verteidigung des Hohentwiels ist fast ein Unikum in der Kriegsgeschichte. Wiederhold sah sein Felsennest bald von Kaiserlichen, bald von den Bayern und den Spaniern belagert und berannt, oberste Heerführer, wie die kaiserlichen Generale Mercy und v. Sparr und der Spanier Enriquez, verschwuren sich, die Feste zu brechen; aber Wiederhold schlug mit seiner Handvoll Leute alle Angriffe siegreich ab, zwang die Belagerer zum Abzug, verfolgte sie, nahm ihnen Beute ab und machte sich durch seine kühnen Ausfälle und Handstreiche landauf landab zum Schrecken seiner Feinde. Bis nach Blaubeuren und Memmingen erstreckten sich seine Streifzüge, Städte wie Tuttlingen, Ebingen, Balingen, selbst das zuvor nie eingenommene Ueberlingen fielen zeitweise in seine Hände. Als die Bayern ihm seinen Keller (Verwalter) Stockmayer gefangen setzten, holte er sich einen Weingartner Prälaten als Geisel und ließ ihn den unfreiwilligen Aufenthalt auf dem Hohentwiel teuer bezahlen. In den letzten Jahren des Kriegs kam es dahin, daß zahlreiche Städte und Klöster und die ganze schwäbische Ritterschaft gegen beträchtliche Geldleistungen und Zufuhren mit ihm paktierten, um sich von seinen Ueberfällen loszukaufen. Ja er wurde zu einer solchen Macht, daß er schließlich wie ein Kriegführender mit Kaisern und Königen verhandelte und Bedingungen stellte. Diese Bedingungen galten einzig der Wiedereinsetzung des Herzogs von Württemberg in sein Land und man kann wohl sagen: Wiederhold hat dem Herzog nicht bloß die Festung Hohentwiel erhalten, sondern damit auch sein Land zurückgewonnen.

In den Volksschriften, die heute noch vielfach in Schwaben über Wiederhold verbreitet sind, findet man viele, zum Teil augenscheinlich sagenhafte Ueberlieferungen, die beweisen, wie groß der Ruhm seiner Tapferkeit und der Respekt davor gewesen. Von seiner Erfindungsgabe erzählte man sich u. a., er habe von der Festung herab mit großen Angelhaken nach den Feinden geworfen und sie daran über die Felsen hinaufgezogen; am Fuß der Festung habe er geladene Gewehre befestigt, die er mit Schnüren von oben her losgeschossen habe. Ganze Schiffe, hieß es, habe er auf der Festung gebaut, um sie auf den Bodensee zu schaffen und diesen zu beherrschen. Beglaubigt ist, daß er sich mit dem Bau von Windmühlen für die Festung viel beschäftigt hat. In diesen Volksüberlieferungen wird Wiederhold ganz besonders auch als ein Musterbild der Frömmigkeit gepriesen. Nicht mit Unrecht: er hing seinem evangelischen Bekenntnis mit ehrlicher Begeisterung an und bezeigte sich in vielen guten Werken bis zu seinem Tode als ein echter Christ. Aber man muß auch ihn aus seiner Zeit verstehen: Wenn in jenen Volksschriften erzählt wird, es sei ihm unter den Schrecken der Belagerung nichts wichtiger gewesen, als auf dem Hohentwiel eine Kirche zu bauen und, als sein Pfarrer an der Pest gestorben war, selbst den Prediger zu machen, oder wenn erzählt wird, er habe nach der Einnahme Ueberlingens auf alle andere Beute verzichtet und nur die Orgel sich ausgebeten, so ist das nicht wörtlich zu nehmen. Wiederhold hat allerdings von seinen Streifzügen auch einmal eine Orgel und mit der Zeit nicht weniger als achtzehn Glocken auf seine Festung verbracht, aber er führte den Krieg in der Art seiner Zeit und scheute nicht davor zurück, die schwersten Kontributionen und Brandschatzungen zu verhängen, und wo Brandschatzungen nicht halfen, auch den Brand zu legen. Den Ueberlingern nahm er keineswegs bloß eine Orgel, sondern ließ sie gehörig „bluten“, wie er es auch auf der Mainau und an anderen reichen Plätzen machte; das Kirchlein auf der Feste baute er, als er vor allen Feinden Ruhe hatte. Es scheint überhaupt, daß er mehr die Natur eines Götz von Berlichingen als diejenige eines Betbruders gehabt hat. Sind Züge letzterer Art von ihm verbreitet, so stammen sie wohl aus den letzten Jahren seines Lebens, aus der friedlichen Kirchheimer Zeit, wo er sich durch fromme und wohlthätige Stiftungen ein bleibendes Andenken sicherte.

In Kirchheim ist noch heute sein Grabmal zu sehen, und der Dichter Albert Knapp hat in unserem Jahrhundert den Spruch darauf gedichtet:

„Der Kommandant von Hohentwiel,
Fest wie sein Fels, der niemals fiel,
Des Fürsten Schild, des Feindes Tort,
Der Künste Freund, des Armen Hort,
Ein Bürger, Held und Christ wie Gold,
So schläft hier Konrad Wiederhold.“

Das Geschlecht Wiederholds hat bis in unsere Tage geblüht in Württemberg, ein Nachkomme seines Bruders war der 1885 verstorbene württembergische Kriegsminister Freiherr v. Wiederhold. Jetzt dauert der Name einzig fort in dem kinderlosen Major Konrad v. Wiederhold, der sich 1870 ausgezeichnet hat, und einem Neffen desselben in Nordamerika, Konrad Kuno v. Wiederhold, geboren 1884.


Von unsern Abbildungen zeigt eine den Hohentwiel während des Dreißigjährigen Kriegs, während die andere eine landschaftliche Darstellung des heutigen Zustandes bietet. Abgesehen von der in Scheffels „Ekkehard“ geschilderten Zeit, wo der Berg die Residenz der schwäbischen Herzoge war, hat er in den Tagen Wiederholds seine Glanzzeit gesehen. Von da ab geriet die Festung allmählich in Verfall, wiewohl sie bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts für „uneinnehmbar“ galt. Daß sie es unter einer mutigen Verteidigung wirklich war, hat Wiederhold bewiesen. Freilich unter Voraussetzung der damaligen Kriegskunst und ihrer Mittel! Wie es mit der Artillerie des 17. Jahrhunderts aussah, ersieht man aus einem bei den württembergischen Archivakten erhaltenen Bericht Wiederholds, wonach während der Beschießung unter dem Feldzeugmeister v. Sparr im Jahre 1641 rund 3000 Wurfgeschosse nach dem Hohentwiel abgefeuert wurden, von denen aber nur „47 Granaten, 25 Feuerballen und eine Ernstkugel“ in die obere Festung gelangten! Schaden haben auch diese wenig angerichtet. In unseren Tagen hat man gemäß einem Urteil der Sachverständigen auf die fortifikatorische Ausnutzung des Felsens verzichtet, aus zwei Gründen: nicht bloß die Widerstandskraft gegen das heutige Geschütz, sondern auch die Bedeutung des Platzes selbst für die Sperrung von Verkehrswegen ist eine andere geworden.

Schon in den Friedenszeiten des 18. Jahrhunderts sank die Festung zum Staatsgefängnis herab; die Besatzung bildeten Invaliden, die Festungswerke gerieten in einen langsamen Verfall. Gleichwohl war die widerstandslose Uebergabe der Festung an den französischen General Vandamme am 2. Mai 1800 ein Akt schmählicher Feigheit, der hernach an den schuldigen Offizieren mit Recht schwer geahndet wurde.

Der erste Konsul Napoleon hat die Festung zerstören lassen; es bedurfte dazu der angestrengten Fronarbeit eines halben Tausends von Bauern vom 10. Oktober 1800 bis zum 1. März 1801. – Heute ist der Berg alljährlich ein Hauptziel der Schwarzwaldtouristen, denn der Blick auf die Bodenseegegend und die ganze Wand der Centralalpen ist unvergleichlich.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0286.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)