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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

müsse ohne Oesterreich mit einem preußischen Oberhaupt an der Spitze ins Leben treten. Die Haltung Schwarzenbergs gegen das Parlament wurde immer feindseliger. Da stellte Welcker am 12. März 1849 den Antrag, die fertig durchberatene Reichsverfassung in Bausch und Bogen anzunehmen, die erbliche Kaiserwürde dem König von Preußen zu übertragen und diesen zum sofortigen Antritt der kaiserlichen Gewalt einzuladen. Durch Heinrich Simons Vermittelung kam zwischen der „Erbkaiserpartei“ des Centrums und einer Gruppe der Linken ein Kompromiß zu stande, der es ermöglichte, daß Welckers Antrag am 28. März zum Beschluß der Versammlung erhoben wurde. So war Friedrich Wilhelm IV zum Deutschen Kaiser gewählt, aber nur als Erwählter der sämtlichen übrigen deutschen Fürsten, nicht bloß als Erwählter des Volks, wollte dieser die „Schmerzenskrone“ annehmen. Sein romantisches Herrscherbewußtsein lehnte sich auf gegen das kühne Unternehmen des Parlaments; auch wußte er, daß die Durchführung desselben den Krieg mit Oesterreich bedeute, und Krieg wollte er nicht. Einige Tage nach dem Empfang der Frankfurter Kaiserdeputation sagte er zu Beckerath, der ihm zur Annahme der Krone mit lebhaften Worten riet: „Wenn Sie Ihre Worte an Friedrich den Großen hätten richten können, der wäre Ihr Mann gewesen; ich bin kein großer Regent.“ Oesterreich aber rief seine Abgeordneten aus der Paulskirche zurück. Bald folgte Preußen dem Beispiel. Das Schicksal des „Rumpfparlaments“ in Stuttgart besiegelte die Katastrophe des mit so stolzen Hoffnungen begrüßten Versuchs der Nation, aus eigner Kraft und auf friedlichem Wege ihr Staatswesen neu zu gründen.

Von der begeisterten Stimmung, mit welcher die Abgeordneten Deutschösterreichs in die Paulskirche zogen, bildet jener Brief einen lebendigen Nachhall, dessen erste Sätze wir oben mitgeteilt haben. Der Schreiber desselben war der jüngste der sämtlichen 586 Volksvertreter, Dr. Karl Stremayr aus Graz; ihm ist es heute mit noch zwei weiteren Oesterreichern, dem Wiener Moritz v. Mayfeld und dem Salzburger August Prinzinger, vergönnt, das Jubiläum des ersten Deutschen Parlaments zu begehen. Sie sind die letzten von dem glänzenden Aufgebot, welches das Deutschtum Oesterreichs unter Anastasius Grüns, des Grafen Auersperg, Führung in die Paulskirche sandte. In ihnen begrüßen wir drei überlebende Teilnehmer an dem erst so aussichtsreichen Kampf für die „großdeutsche“ Idee, für den sehnsuchtsvollen Wunsch, daß Arndts „So weit die deutsche Zunge klingt!“ Verwirklichung finde in dem neu zu gründenden Reich. Sie zählten zu den Rednern, von denen Uhland später am Schluß dieses Kampfes mit so inniger Empfindung sagte, auch wenn sie gegen ihn gesprochen hätten, sei es ihm gewesen, als ob er eine Stimme von den Tirolerbergen vernehme oder das Adriatische Meer rauschen höre. Mayfeld hatte die Wiener Märztage und den Sturz Metternichs unmittelbar miterlebt, er war der Wiener Akademischen Legion beigetreten und hatte sich in ihr hervorgethan, ehe er in Waidhofen an der Thaja ins Parlament gewählt wurde. Mit ihm, mit Stremayr und Prinzinger begrüßte auch die Mehrzahl ihrer Landsleute die Wahl des Erzherzogs Johann zum Reichsverweser sowie die Erhebung Schmerlings zum Reichsminister als erste Schritte zu einer dauernden Lösung der brennenden Oberhauptsfrage in einem für ihre Wünsche günstigen Sinn. Als Mitglieder des linken Centrums waren Mayfeld und Stremayr Gesinnungsgenossen Giskras, der mit so glänzender Beredsamkeit den Eintritt Deutschösterreichs in den neuen Bundesstaat befürwortete. Ihnen allen zerstörte Schwarzenbergs Reaktionspolitik mit rauher Gewalt den schönen Traum von einem großen einigen Reich, das alle deutschen Stämme umfassen sollte.

Wie so viele der Männer, die in der Paulskirche ihre politische Schulung erhielten, sind auch unsere drei Oesterreicher in ihrer Heimat zu hervorragender Wirksamkeit und Stellung gelangt. Stremayr, der heute im 75. Jahre steht, kam, nachdem er in seiner Vaterstadt Graz Universitätsbeamter gewesen, 1868 auf Giskras Berufung als Ministerialrat nach Wien in das Ministerium des Innern. Von 1870 bis 1880 war er österreichischer Kultusminister. Schon vorher hatte er in Steiermark als Mitglied des Landesausschusses eine fruchtbare Thätigkeit auf dem Gebiete des Unterrichtswesens und der Humanitätsanstalten entfaltet. 1875 erfolgte durch ihn die Gründung der deutschen Universität zu Czernowitz. Bis zu seinem Austritt aus dem Ministerium Taaffe hat er erfolgreich für den einheitlichen Bestand der alten Prager Universität und gegen deren Teilung in eine deutsche und eine tschechische Hochschule gekämpft. Im Jahre 1891 wurde er zum ersten Präsidenten des Obersten Gerichts- und Kassationshofes in Wien ernannt. – Auch Moritz v. Mayfeld, heute ein Einundachtzigjähriger, widmete sich nach seiner Heimkehr aus Frankfurt dem Staatsdienst, dem er schon vorher, seit 1840, angehört hatte. Er bekleidete in Ober- und Niederösterreich mancherlei Regierungsämter, bis er 1880 als Statthaltereirat in Pension ging. Er lebt im Genusse eines gesegneten Alters in Schwanenstadt. – Dr. August Prinzinger in Salzburg, von Geburt ein Bayer, der jedoch frühe nach Salzburg kam, ist der älteste der drei Oesterreicher; blickt er doch bereits auf mehr als 86 Lebensjahre zurück. 1846 wurde er Advokat in St. Pölten in Niederösterreich; hier wurde er auch ins Parlament gewählt, wo er der gemäßigten Linken sich anschloß. Nach der Rückkehr aus Frankfurt ließ er sich in Salzburg als Advokat nieder, wo er verblieb, Gemeinderat und Landtagsabgeordneter wurde und neben seinem Beruf auch eine rege litterarische Thätigkeit auf dem Gebiete der deutschen Sprach- und Altertumskunde entfaltete. 1859 beteiligte er sich an der Gründung der Gesellschaft für Salzburgische Landeskunde, deren Vorstand er 1874 bis 1884 war. Seit 1880 lebt er als Privatmann, seinen wissenschaftlichen Neigungen hingegeben, auf seinem Landsitz in Salzburg.

Ein vierter und letzter Süddeutscher in unserer Veteranengalerie ist der Bayer Johann Nepomuk Sepp. Mit allen Fasern seines Wesens ein Altbayer von echtem Schrot und Korn, gehörte Sepp im Frankfurter Parlament zu den konservativen Elementen, deren Stellung von ihrer Zugehörigkeit zur katholischen Kirche bedingt war. 1816 in Tölz geboren, hatte er in München Theologie studiert, wobei Döllinger und Görres besonderen Einfluß auf ihn ausübten. Voll streitbaren Geistes schrieb er gegen Strauß und Renan sein „Leben Jesu“. Nachdem er 1845 und 1846 die heiligen Stätten Palästinas und Syriens bereist hatte, erhielt er an der Münchner Universität die Professur der Geschichte. Mit seinen Kollegen Lasaulx, Phillips, Döllinger gehörte er im folgenden Jahr zu den Männern, welche gegen den unheilvollen Einfluß der Lola Montez auf König Ludwig I mannhaft ankämpften. Die Popularität, die er hierdurch und die ihn danach treffende Maßregelung gewann, trug ihm die Wahl in das Frankfurter Parlament ein. Hier war er, wie fast alle seine engeren Landsleute, ein eifriger Großdeutscher. Ein mitten aus den Kämpfen über Großdeutsch und Kleindeutsch entsprossenes Lied Sepps ward von einer der bewegtesten Scenen in der Geschichte der Paulskirche angeregt. Simson war eben Gagerns Nachfolger auf dem Präsidentensitz geworden, Gagern, als neuer Ministerpräsident, hatte sein Programm entworfen und verteidigt, das den notgedrungenen Bruch mit der österreichischen Regierung bezweckte. Bei der Abstimmung hatte der greise Sänger des Liedes vom deutschen Vaterland, Arndt, sein Votum als Fünfter abzugeben. Zum größten Befremden aller Großdeutschen sprach er ein lautes „Ja!“ Eine Bewegung des Staunens ging durch den Saal und von der Linken erhob sich der Ruf „Das ganze Deutschland soll es sein!“ Unter dem Eindruck dieser Scene dichtete Sepp ein neues Vaterlandslied, welches die Motive des Arndtschen Liedes aufnahm und die Frage „Was ist des Bayern, Schwaben, Franken, Sachsen, Preußen Vaterland?“ im großdeutschen Sinne beantwortete. Als aber das neue Deutsche Reich sich doch auf „kleindeutscher“ Grundlage entwickelte, als Preußen die Führung in Deutschland gewann und die Kriegserklärung Napoleons III an König Wilhelm den Deutschen Gelegenheit bot, die so lange ersehnte Einheit im gemeinsamen Kampf gegen Frankreich zu erstreiten, da war es Sepp, der im bayrischen Landtag einer der einflußreichsten Verfechter der nationalen Sache war. Am denkwürdigen 19. Juli 1870 trug seine „im furor teuronicus“ dort gehaltene Rede nicht wenig dazu bei, daß der Kredit für die Kriegführung von einer großen Mehrheit mit einer patriotischen Begeisterung bewilligt wurde, wie sie dann das bayrische Heer hinaus ins Feld zu den Siegen von Weißenburg, Wörth, Sedan begleitete.

Wie von der „Rechten“ der Nationalversammlung ist auch von der entschiedenen „Linken“ nur ein einziger noch am Leben. In Hugo Wesendonck, den die Katastrophe der Nationalversammlung als Flüchtling nach Amerika verschlug, haben wir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0302.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2024)