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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Allerhand ungewöhnlich geformte Waffen lehnten an dem Burggemäuer. Der Alte ließ seine Blicke ruhig aber verwundert und mit einem Ausdrucke von Wohlwollen über die erstaunt und furchtsam ihm zuschauenden Leute hingleiten und führte seltsame Reden, die man nicht verstand. Einer von den Zuschauern lief nach dem nahen Sittendorf und holte von dort den Pfarrer herbei. Dieser kam mit Kreuz und Bibel und begann eine Beschwörungsformel herzusagen.

Da richtete der Wunderbare sich majestätisch und stolz auf und sprach: „Ich bin kein Gespenst, keine Erscheinung der Hölle, Ihr verkennt mich. Ich bin Kaiser Friedrich, seines Namens der Zweite, der da Herrscher war über das heilige Römische Reich und über verschiedene andere Reiche dieser Erde. Ich bin nicht in Apulien umgekommen, wie die Leute wähnen, sondern ich habe in diesem Kyffhäuser Berge gewohnt und mich verborgen gehalten, weil ich die Aufgabe nicht erfüllen konnte, die mir von Gott geworden war wider den Papst und die, so ihm anhingen. Jetzt aber ist mir von Gott befohlen, Deutschland zu Hilfe zu eilen, den unseligen Streit zu beenden, der sein Volk spaltet, den Mann zu vernichten, der über Deutschland herrscht und sich Kaiser Carolus den Fünften nennt, und wieder Frieden in der Welt zu stiften; denn die jetzigen Fürsten werden’s nicht fertig bringen.“

Dem Volke gefiel die ruhige Rede und würdige Haltung des Alten. Eine Weile blieb alles still; – dann brachen alle in jubelnden Beifall aus und forderten ihn auf, sogleich mit herabzukommen. Sie wollten ihn schützen und dafür sorgen, daß ihm nicht ein Haar gekrümmt werde.

Der Alte aber stand ernst und still aufrecht mit untergeschlagenen Armen. Nicht um einen augenblicklichen Triumph für sich selber sei es ihm zu thun, meinte er, sondern darum, daß er dem unglücklichen Volke wahrhafte Hilfe bringe gegen die ungerechten Fürsten und die Pfaffen. Deshalb wolle er noch eine Zeit lang in der Verborgenheit bleiben und die Antworten von mehreren Fürsten abwarten, an die er sich gewandt habe. Erst wenn er einen hinreichenden Anhang um sich gesammelt habe, dann wolle er herabsteigen vom Berge und mit ihm gegen Kaiser Karl V ziehen. Das leuchtete den Leuten ein; sie verließen den Berg, um jedoch am folgenden Tage in noch größerer Menge zurückzukehren. Sie brachten Körbe mit Eiern, Schinken, Speck, Braten, Milch, Butter, Käse, Brot und Kuchen, auf daß der Kaiser keine Not zu leiden brauche, und gelobten, Gut und Leben für ihn zu lassen. Der Kaiser kam jedoch nur selten zum Vorschein, ließ sich vielmehr nur wie ein Geist, der plötzlich erscheint und plötzlich verschwindet, auf Augenblicke sehen.

Das Gerücht von dem zurückgekehrten Kaiser verbreitete sich unterdessen in immer weiteren Kreisen, und das Volk nahm dasselbe in gutem Glauben auf, ohne viel zu prüfen, ob es möglich sei, daß ein seit dreihundert Jahren zu den Toten gezählter Kaiser in die Welt zurückkehren und handelnd eingreifen könne. Es lag dies eben in der naiven Anschauungsweise jener Zeit, und wir dürfen uns darüber nicht wundern; soll doch selbst Luther, um seine Meinung befragt, die diplomatische Antwort gegeben haben: „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, der Teufel hat vordem mehr den Leuten eine Nase gemacht.“ Der gelehrte Olearius in den bereits erwähnten „Thüringischen Historien und Chroniken“ räumt ferner ein: „Wohl kann’s sein, daß der böse Geist zur Stärkung des Aberglaubens in Kaiser Friedrichs Gestalt sich sehen lasse, wie einst in des verstorbenen Propheten Samuel Gestalt.“ – Ein anderer Chronist, Melistantes, sagt in seiner „Kuriosen Beschreibung verwüsteter Bergschlösser“ (Frankfurt und Leipzig 1721), nachdem er die Annahme widerlegt hat, daß jener Abenteurer wirklich der gewesen, für den er sich ausgegeben: „Ich glaube aber, daß es der Teufel sei, welcher die einfältigen Leute zu äffen und zu betrügen sucht, wie er sein Spiel auch sonst auf dem schlesischen Riesengebirge mit dem sogenannten Rübezahl, in Thüringen vor Zeiten auf dem Hörsel- oder Siegerberge, bald mit dem wütenden Heer und anderen Gespenstern gehabt.“

Nun kam aber noch hinzu, daß gerade zu jener Zeit (1546) viele Leute und selbst Fürsten es nicht ungern sehen mochten, wenn dem immer noch zum Papste und zur römischen Kirche haltenden Kaiser Karl V durch den Pseudokaiser Friedrich in Deutschland Verlegenheiten bereitet würden. Die Knechte, welche zu dem Heere der Fürsten des Schmalkaldener Bundes gingen, rühmten sich, sie seien von dem Kaiser Friedrich II eingeladen worden, ihm gegen Karl V zu helfen. So nahm das Abenteuer eine immer drohendere Gestalt an.

Da entschloß sich der Graf Günther zu Schwarzburg-Rudolstadt und Sondershausen, dem Gespenst ernsthaft auf den Leib zu rücken. Er sandte seinen Landvogt v. Brüneck spät abends – weil man die aufgeregte Menge fürchtete – nach dem Kyffhäuser. Dieser legte dem Pseudokaiser mehrere Fragen vor, welche dieser auffallend sicher und würdevoll beantwortete. Auf die Frage des Landvogtes, ob er mehr als eine Sprache verstände, erwiderte er, daß man ihn in einer beliebigen der 72 Sprachen fragen könne, welche Gott gegeben habe. Darauf forderte ihn der Landvogt auf, ihm nach Frankenhausen zu folgen. Der Alte erklärte sich bereit dazu. Als man ihm aber die Hände binden wollte, rief er zornig, man möge ihn anständig behandeln, wie es einem „Kaiser“ gezieme, nicht wie man mit einem Schalke verfahre.

In Frankenhausen ließ ihn Graf Günther von Schwarzburg festnehmen und heimlich nach Sondershausen in festen Gewahrsam bringen. Hier ward er einer gestrengen Untersuchung unterworfen. In derselben entpuppte sich der angebliche Kaiser als ein Schneider aus Langensalza, Namens Johannes Leupold.

Der unglückliche, halb wahnsinnige Schneider ward nun zu Sondershausen in ein finsteres und feuchtes Kellerloch geworfen, wo er elendiglich verkommen und verkümmert sein soll. „Ja, Etliche verkünden sogar“ – heißt es in einer alten Chronik von Langensalza – „daß er von den Ratten und Mäusen sei bei lebendigem Leibe aufgefressen worden, und noch heutzutage zeigt man daselbst ein in Ketten geschmiedetes, klapperndes, langes Gerippe zum Wahrzeichen, daß es also geschehen.“

Als das Volk am Morgen nach der Verhaftung des Schneider-Kaisers wieder nach dem Kyffhäuser strömte und seinen „Kaiser Friedrich“ nicht fand, da war große Not und Klage. Man rief, man durchsuchte die Schluchten und Höhlen – alles vergeblich! Die schwarzburgischen Behörden, die allein wußten, wo er sich aufhielt, beobachteten Stillschweigen. Da beruhigten sich die Menschen endlich mit der Vermutung, der Kaiser werde sich wohl in das Innere des Berges verbannt haben und dort auf bessere Zeiten warten, und das Volk wartete seitdem auf die Wiederkehr des Kaisers und die besseren Zeiten.

Auch der Chronist von Langensalza schreibt: „Dessenungeachtet verblieb viel Volkes in dem Glauben, daß es wirklich gewesen sei Se. Kaiserliche Majestät Friedrich von Hohenstaufen. Auch sind nicht Wenige, welche noch heutzutage männiglich daran festhalten, es habe sich der Kaiser versteckt vor Günther, seinem Widersacher, in einer anderen Höhle auf der Ostseite des Berges, von wannen er wieder hervorkommen werde, alsobald das teutsche Reich werde frei sein von des Papstes als des Antichrists Gewalt und bis es sei worden ein großes, herrliches und einiges Volk, das seines Gleichen nicht unter dem Himmel habe. – – – Aber,“ fügt der Chronist hinzu, „bis diesen Tag, so ich, Luitbertus, weiland Mönch, itzo oberster Stadtschreiber zu Langensalza, dies schreibe, ist Se. Majestät noch nicht wieder hervorgekommen und darumb wallfahrtet noch immer das Volk, besonders an sonnenhellen Tagen und Sonntagen in hellen Haufen nach dem uralten Berge und vermeint, den Kaiser unten sitzen zu sehen in einem Spalte des Berges, an einem marmelsteinernen Tische, woselbsten sein langer Bart durch den Tisch sei gewachsen und ungeheure Schätze von Gold und Edelsteinen seien um ihn hergehäuft. Auch spiele sein Töchterlein gar lieblich ihm vor auf einer silbernen Laute, also daß der Kaiser gar wohlgefällig winke und lächle im Schlafe. Geschr. zu Langensalza im J.d.H. 1667.“ –

Die alten Kyffhäusersagen werden nun bald verklungen sein. Wir hören dieselben heute nur noch mit dem Behagen an, wie man sich als Mann etwa die Märchen ins Gedächtnis ruft, an denen man sich einst in der Kinderzeit erfreut hat. Aber schöner als diese Sagen und wärmer als die Berichte über jene Kaisergaukler vom Kyffhäuser mutet uns heutzutage die Thatsache an von dem vor nahezu dreißig Jahren neu gegründeten Deutschen Reiche und dem wiederaufgerichteten deutschen Kaisertume.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0336.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2024)