Seite:Die Gartenlaube (1898) 0391.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

laut ausrief: „Und ich gehe hin und nehm’ den Monsieur Bornholm bei den Ohren, damit er lernt artig sein.“

„O weh!“ seufzte Renate, „da haben wir schon südaustralische Sitten!“

„Monsieur Bornholm! Wenn er einen Herrn nicht mag, nennt er ihn Monsieur,“ sagte Elika vorwurfsvoll und sah schwer bekümmert aus. Franz war unzufrieden mit ihr und mit sich und dem feinfühligen Heideschmied dankbar, als der zu ihm trat, ihm auf die Schulter tippte und zum Haken gekrümmt leise sprach:

„Kommt mir nicht vor, lieber Franz, daß Sie beabsichtigten, sich heute noch mit Mathematik zu beschäftigen?“

„Es wird Ihnen schon so vorgekommen sein und mir auch,“ erwiderte der Jüngling und sprang auf. „Also adieu!“

Leopold, der ihn begleiten wollte, empfahl sich ebenfalls. Die Gesellschaft ging wie sie gekommen war, partienweise. Das Behagen war längst entwichen. Etwas peinlich Bedrückendes, das alle empfanden, lag in der Luft. Erst im Wagen wurde der Tante Charlotte wieder wohl.

„Welche Atmosphäre dort oben!“ sagte sie. „Ganz voll von Stoff zu drohenden Streitigkeiten. Kommt über den fünften Weltteil aus Valahora dahergeweht. Wirklich unangenehm!“


Herr von Kosel war noch da. Er machte manchmal nur deshalb unmäßig lange Besuche, weil er vergaß, fortzugehen. Nun wurde er durch seine Tochter erinnert, daß es Zeit sei, aufzubrechen.

„Willst du mir erlauben, noch ein bißchen bei dir zu bleiben?“ fragte sie. „Ich führe die Meta, ich thue das so gern, und wir sprechen zusammen, du und ich. Luise muß in die Wirtschaft und ist froh, wenn sie Ruhe hat.“

Sie holten Meta aus der Meierei ab, wo sie eingestellt worden war. Kosel warf ihr den Zaum über den Kopf, und Elika nahm ihn und führte das schöne Tier, das hinter ihr herging wie ein gehorsamer Hund. Sie wendete sich oft um, küßte es auf die Nüstern und versicherte es ihrer Liebe. Dazwischen sagte sie auf einmal langsam und bedächtig:

„Der Herr Pfarrer wird also nicht zu Herrn Bornholm gehen.“

„Es ist schwer – es ist wohl schwer – weil doch …“

„Denk nur, Papa,“ unterbrach sie ihn, mit einem leichten, entschuldigenden Neigen des Kopfes, „was Bartolomäus mir gesagt hat, wie er mich nach Hause getragen hat: Herr Bornholm bleibt den ganzen Winter in Valahora.“

„Ach geh! den ganzen Winter; was wird er denn den ganzen Winter in Valahora bleiben!“

„Er will Sammlungen ordnen für Museen“ – sie lachte: „Bartolomäus sagt, ‚Musen‘ in Schweden oder in Norwegen, oder wo. Es sind schon viele Kisten gekommen und Joseph schickt noch viele nach mit Waffen und Pflanzen, Mineralien und Gerätschaften …“

„Mineralien und Gerätschaften.“ Kosel blieb stehen, dachte nach und richtete seine Augen fragend auf die Kleine:

„Wie sie wohl verpackt sein werden, die Mineralien und Gerätschaften? Gut verpackt werden sie wohl sein?“

„In Zeitungen,“ erwiderte Elika, die Gedanken ihres Vaters erratend – o nur zu recht hatte Apollonia, sie eine Hellseherin zu nennen! – „Ganz gewiß erscheinen in Australien eine Masse Zeitungen.“

„Eine Masse. Soviel ich weiß, in Sidney allein fünf große Blätter. Was der ‚Sidney Morning Herald‘ für eine Zeitung ist! und ‚Echo‘, ‚Daily‘ … und die Wochenschriften und die Monatsrevuen. Einzelne Nummern sind da, Joseph schickt ja einiges, aber der Zusammenhang fehlt und alle Zeitungen kann man nicht halten. Denk nur, die Masse!“

„Herr Bornholm ist gewiß auf einige abonniert, glaubst du nicht, Papa? … Aber pfui, Meta!“ Sie wendete sich und gab dem Pferde einen Klaps auf das Maul. „Was thust du, dumme Alte? Schau nur, Papa, sie knuspert an meinem Hut herum, die dumme, liebe, alte Gans!“

„Die alte Gans,“ wiederholte Kosel mechanisch, und dabei ging sein Geist seine eigenen Wege, oder stand vielmehr still und wurzelte sich fest ein. „Er muß wohl Zeitungen halten. Es ist nicht anders möglich. Ein Wollhändler! ‚Daily Shipping Gazette‘ muß er halten.“

„Schau nur! … Wenn wir im Verkehr mit ihm wären, könnten wir uns bei ihm alle Zeitungen ausleihen, die er hält. Willst du nicht in Verkehr mit ihm treten, Papa? Gieb Ruh’, Meta – gieb Ruh’, Alte! … Nachbarn sind wir einmal, der Herr Pfarrer geht nicht zu ihm. Schau, Papa, ich glaube, du solltest zu ihm gehen.“

– „Ja,“ versetzte Kosel, und seine Augen hatten ein so schönes Blau und eine so liebliche Freundlichkeit wie der wolkenlose Himmel, „es ist nicht anders möglich ‚Daily Shipping Gazette‘ wird er halten müssen.“

Elika ließ sich durch diese Zwischenrede keinen Augenblick irre machen:

„Geh zu ihm, Papa, mache mir die Freude! Ich sage dir auch, warum es mir eine Freude machen würde. Ich habe mit Bartolomäus gesprochen, gestern, du weißt, und ihm gesagt: ‚Ihr habt einen bösen Herrn.‘ – ‚Is bös,‘ hat er geantwortet, ‚hat niemand ihn gern.‘ – ‚Habt auch Ihr ihn nicht gern, Bartolomäus?‘ – ‚Ich nicht, is bös‘. Ich frag’ ihn weiter, recht aufs Gewissen: ‚Was thut er Ihnen denn böses?‘ ‚Kommandierte,‘ kommt heraus. Er kommandiert! ja, das verträgt der alte Bartolomäus nicht. Er will allein Herr sein in Valahora. Denk’ nur, Papa, ist das nicht traurig, in seinem eigenen Hause als Eindringling betrachtet werden? Einen einzigen alten Diener haben und von ihm angefeindet zu werden? Denk nur, wie viele Menschen haben uns lieb und ihn niemand. Wie arm ist man, wenn einen niemand lieb hat. Nicht einmal seine Hunde mögen ihn, die hat Bartolomäus, glaube ich, schon darauf dressiert. Man erkennt das gleich, daß sie nur Furcht vor ihm haben … Vor dem Einschlafen ist mir das alles eingefallen … und auch einmal in der Nacht, wie ich aufgewacht bin … und weißt du, was ich gethan habe? Geweint hab’ ich. Ein Mensch, den niemand mag – das ist zu traurig, man kann gar nicht begreifen, wie traurig das ist. Und ich habe mir vorgenommen, über einen so Armen ärgerst du dich nie mehr, und du thust ihm etwas Gutes, du schickst den Herrn Pfarrer oder den Papa zu ihm.“ Sie lehnte den Kopf schmeichelnd an seinen Arm. „Papa, wirst du zu ihm gehn?“

„Ich?“ sprach Kosel wie erwachend, „zu wem?“

„Zu Herrn Bornholm.“

„Zu Herrn Bornholm, ja so.“

„Der die australischen Zeitungen hat, und der“ – ihre Augen leuchteten, ihre Stimme zitterte leise – „und der der Freund unseres Joseph ist.“

Sie hatte halb und halb das Bewußtsein gehabt, daß sie ein Selbstgespräch führe, und doch nicht zu reden aufgehört. Die feste Zuversicht beseelte sie, daß eines oder das andere ihrer Worte den Nebel der Zerstreutheit durchbrechen werde, in dem ihr Vater zu wandeln pflegte.

Nun waren sie am Fuß der Anhöhe angelangt, von der aus man noch hinab nach Vrobek und schon hinauf nach Valahora sehen konnte.

„Unseres Joseph,“ wiederholte Kosel, „ja, ja – unseres Joseph,“ und hatte nun auf einmal ein merkwürdig wehmütiges Lächeln und etwas in seinem Blick, das sein kleines Mädchen umschmeichelte wie eine Liebkosung: „Kränk’ dich nicht, das ist nicht gut für dich.“ Er brachte die Zügel des Pferdes in Ordnung und stieg in den Sattel. „Ja, aber die Tante – wo die ist –“

„Euch nachgegangen ist sie,“ antwortete Luise selbst, „und hat euch eingeholt. Es war nicht schwer, ihr seid alle fingerlang stehen geblieben.“

Man nahm Abschied. Kosel ritt in kurzem Galopp die Anhöhe hinauf und bog dann links in den Wald ein. Die beiden Fräulein hatten ihm nachgesehen.

„Wohin denn?“ fragte Luise.

„Nach Valahora.“

„Das hast du durchgesetzt, Kleine. Was soll dabei herauskommen?“

„Was Gutes.“ Sie schlang den Arm um die Taille der Tante, und sie schritten auf dem Feldweg längs der Kastanienallee

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0391.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2024)