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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

töten und seiner Vaterstadt die Freiheit wiederzugeben! Um sein Opfer zu umgarnen, machte er sich selbst zum Werkzeug der Gewalt und zog den allgemeinen Abscheu auf sich. Eine dämonische Ruhmgier, die ihn von Kindheit an verzehrte, war ohne Zweifel sein oberster Beweggrund.

Lorenzino gehörte zu den Begabtesten unter den Medici; aber seine Familie, die einst sehr reich und angesehen gewesen, war durch schlechte Wirtschaft seines Vaters Pierfrancesco zur Armut herabgesunken; von klein auf sah er sich bei den Unterdrückten. Dann war er nach seines Vaters Tode eine Zeit lang zusammen mit seinem glücklicheren Vetter Cosimo de’ Medici, dem Sohn des berühmten Söldnerführers Giovanni delle Bande Nere,[1] erzogen worden, und durch die Zurücksetzung, die er damals erfuhr, hatte sich sein ehrgeiziges Gemüt verbittert. Als nun der Papst unter seinen Verwandten die Glücksgüter zu verteilen begann, wurde Lorenzino mit seinen Geschwistern übergangen, da er, ebenso wie Cosimo, der jüngeren Linie angehörte. Wohin er kam, mußte er hinter denen zurückstehen, die er geistig unter sich sah. Aber der Haß gegen die Mächtigen lag ihm auch schon von Hause aus im Blut, denn man war in seiner Familie von je her demokratisch und hatte sogar zu Savonarolas Zeiten in offener Opposition gegen die herrschende Linie gestanden.

Dazu kam, daß er körperlich schwächlich war, in einem Jahrhundert, wo Kraft und physischer Mut unendlich mehr galten als in unsern Tagen.

Arm und unansehnlich von Person, fand er den einzigen Weg zur Auszeichnung in den Studien, die er ohne Lehrer mit solchem Erfolg betrieb, daß er bald zu den feinsten Kennern der alten Litteratur gehörte. Aber auch unter den Büchern verfolgte ihn die Sucht nach Größe, seine überreizte Phantasie berauschte sich an den klassischen Großthaten, Brutus und Timoleon wurden sein täglicher Umgang, er mußte ihnen gleich werden, die niedergehaltene Leidenschaft drängte nach einem Ausweg, nach Bethätigung um jeden Preis.

Schon als Sechzehnjähriger hatte er sich in Rom eine traurige Berühmtheit erworben. Dort waren einmal in einer Nacht gegen Ende des Jahres 1530 den römischen Kaisern am Triumphbogen des Konstantin die Köpfe abgeschlagen, auch in San Pancrazio, auf dem Forum Romanum und in der Paulskirche antike Skulpturen in Menge verstümmelt und zerstört worden. Der Kultus der Antike stand dazumal auf seinem Gipfel, und ein vielfacher Mord wäre in den Augen der Römer ein leichtes Vergehen gewesen gegenüber einer solchen That. Papst Clemens schäumte vor Zorn, er gab Befehl, den Schuldigen, wo man seiner habhaft würde, auf der Stelle zu hängen; den einzigen Fall ausgenommen, fügte der päpstliche Erlaß mit Vorsicht hinzu, daß der Kardinal Medici selbst der Thäter wäre.

Aber der leichtlebige Ippolito war nicht an diesem Streich beteiligt. Ein Aufseher der Paulskirche hatte in einem Trupp junger Leute, der eingebrochen war, um an einem antiken Sarkophag die Köpfe der Musen abzuhauen, Lorenzino de’ Medici als Anführer erkannt. Die Empörung war ungeheuer, und wenn der Thäter mit knapper Not am Galgen vorüberkam, so hatte er es nur seinem Vetter Ippolito zu danken, der als Fürbitter zu Clemens eilte und ihm das Bubenstück als Ausfluß der in der Familie Medici herrschenden maßlosen Sucht nach dem Besitz solcher Antiquitäten darstellte.

Lorenzino entkam nach Florenz, doch wurde vom Magistrat ein Preis auf seinen Kopf gesetzt, und der Senator Molza schleuderte ihm in einer schwülstigen lateinischen Rede den Fluch der ganzen civilisierten Welt nach. Jahre später, als die Geschicke sich erfüllt hatten, erschien es wie ein prophetischer Zug, daß der Redner, auf die verstümmelten Musenbilder anspielend, die Muse der Tragödie aufgerufen hatte, dem Frevler in seinem eigenen Hause ein furchtbares Trauerspiel zu bereiten.

In Florenz zog Alessandro ihn an seinen Hof. Der Ton, den der Herzog dort angab, konnte nur ein brutaler sein. Geist und hohe Kultur, die sonst im Palaste Medici ihren Sitz hatten, galten nichts mehr, sein Zuname „der Philosoph“ wurde dem feingebildeten Lorenzino halb aus Spott angehängt; wollte er sich zur Geltung bringen, so mußte er sich der herrschenden Frivolität anpassen, was seiner aalglatten Natur nicht schwer fiel.

Schnell durchlief der Jüngling die Schule des Lasters, die er am herzoglichen Hofe fand, und that es an Cynismus allen zuvor. Tiefste Verderbnis und hochfliegende Exaltation vertrugen sich nebeneinander in seiner widerspruchsvollen Seele. Er kannte und liebte das Schöne, aber das Beispiel seiner Umgebung und ein eigener innerer Hang zogen ihn in den Schmutz. Er konnte in diesem Zwiespalt nicht fröhlich sein; was er redete, trug stets eine ironische Färbung, sein Lachen war ein Grinsen, das seinem wohlgebildeten dunkelblassen Gesicht einen satanischen Ausdruck gab. Auch sein starkes poetisches Talent neigte zur Parodie und Satire.

Alessandro fand Gefallen an diesen Eigenschaften und machte ihn zu seinem erklärten Günstling.

Es wird nicht möglich sein, alle Falten dieses verborgenen Charakters zu lüften, doch zweifellos spielte sein phantastischer Geist schon früh mit dem schrecklichen Gedanken, der später der Mittelpunkt seines Daseins wurde. In Alessandro sah er zum erstenmal einen Tyrannen in Fleisch und Blut vor sich, und für ihn, den echten Sprößling der Medici, war dieser Herzog mit der gequetschten Nase und dem Wollhaar nicht einmal ein Verwandter, sondern nur der Sohn der Schwarzen und eines Stallknechts aus dem mediceischen Hause. Dazu gesellte sich das Gefühl der persönlichen Beleidigung, denn trotz der herzoglichen Gunst genoß er auch bei Hofe kein Ansehen; ein Giomo durfte es wagen, bei ihm um die Hand seiner Schwester zu werben, als ob dieser Medici zu den Verworfensten der Verworfenen herabgesunken wäre.

Ein neuer Grund des Hasses kam hinzu, als der Herzog den Erbschaftsprozeß zwischen den Kindern Pierfrancescos und dem Sohn Giovannis delle Bande Nere, an dem Lorenzinos ganze pekuniäre Existenz hing, parteiischerweise zu Gunsten des schlauen Cosimo entschied.

Durch diesen Schlag wurde er mittellos und war nun ganz auf die Gnade des Tyrannen angewiesen, die er durch die schmählichsten Dienste bezahlen mußte. Er, der vom Kaiser zu Alessandros Nachfolger bestimmt war, falls jener kinderlos stürbe, stand als halber Hofnarr und als Kuppler am Throne seines Vetters. Fanatischer Haß durchglühte den Tiefentwürdigten, in dem trotz der Entsittlichung noch Funken moralischen Bewußtseins lebten. Mit der Freiheit der Vaterstadt hatte er zugleich die eigene Ehre zu rächen, die durch die Gnade des Herzogs über und über besudelt war, und die Last der Mißachtung, die auf ihm lag, wäre nicht zu tragen gewesen, hätte er sich nicht heimlich an der Vergeltung berauscht.

Diese Gefühle verbarg er hinter seiner undurchdringlichen ironischen Maske. Nur ab und zu machte er sich durch beißende Reden Luft.

„Haltet alle Florentiner für Eure Feinde – mich nicht ausgenommen,“ pflegte er dem Herzog in seiner mephistophelischen Weise zu sagen, und wenn Alessandro ihn wegen seiner Furchtsamkeit zum besten hatte, ging er auf die Neckereien ein und gab die doppelsinnige Antwort: „Wenn Euch Euer Leben lieb ist, so hütet Euch wohl, daß Ihr es niemals meiner Tapferkeit anvertraut.“ –

Neben dem herzoglichen Hofhalt gab es damals in Florenz einen zweiten, fast noch glänzenderen und luxuriöseren im Palast des Krösus von Italien, des kinderreichen Filippo Strozzi. Dieser herrschte im Kreis der Lebemänner durch geistreichen Sarkasmus, Eleganz und ausschweifende Sitten. Er besaß großen politischen Einfluß, war fein und vielseitig gebildet, der Freund der großen Herren und der schönen Frauen und selbst ein schöner Mann, dem die Jahre nichts von seiner unbändigen Lebenslust rauben konnten. Als Gatte der stolzen Clarice de’ Medici, der Tochter Pieros und Enkelin des Magnifico, hatte er die Geschicke des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0395.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2021)
  1. „Johannes von den schwarzen Scharen“ – so genannt von der Tracht, die seine Söldner nach dem frühen Tod dieses berühmten Feldherrn zum Zeichen ewiger Trauer anlegten. Bei Lebzeiten führte er den Beinamen L’invitto, der Unbesiegte.