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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Der „Brutus“ der Mediceer.

Von Isolde Kurz.

 (Schluß.)

Ippolito war das seltsamste Exemplar von einem Kardinal, das die verweltlichte Hauptstadt der Christenheit damals aufzuweisen hatte, denn er haßte das geistliche Gewand, ging stets in kriegerischer Tracht, und ein Trupp Soldaten mußte jeden Augenblick seines Winks gewärtig sein. In seinem Palast sah man nie gesehene Trachten und hörte nie gehörte barbarische Laute; ein Heer fremder abenteuerlicher Menschenbilder aus fernen Zonen: tatarische Schützen, indische Taucher, maurische Reiter, jeder in seiner Art unübertroffen, bildeten den Hofstaat des Kardinals. Wie seine Vorfahren, liebte er den Verkehr der Dichter und Gelehrten, und die florentinischen Künstler, die damals in Rom zusammenströmten, fanden bei ihm ein allzeit offenes Haus. So beschützte und beherbergte er Benvenuto Cellini, als der tolle Goldschmied wegen eines Totschlags von den Häschern des Papstes gesucht wurde, und selbst der stolze Michelangelo, der sonst den mediceischen Epigonen gern so weit wie möglich aus dem Wege ging, gehörte zu seinen Freunden.

Dieser glänzende Name gab der Sache der ausgewanderten Florentiner einen festen Kitt. Jetzt hatte Alessandro keine Stütze mehr im Vatikan: auf dem päpstlichen Stuhl saß ein Farnese, der wiederum nichts Eiligeres zu thun hatte, als für seine eigene Familie zu sorgen und die Einrichtungen seines Vorgängers aufzuheben. Dazu kam ihm der mediceische Familienzwist sehr gelegen, er schürte nach Kräften zwischen den Vettern und munterte die Ausgewanderten zur Befreiung ihrer Vaterstadt auf.

Man beschloß, vom Kaiser die Entfernung Alessandros und die Wiederherstellung der Republik mit Ippolito an der Spitze zu verlangen. Freilich möchte der Kardinal sich schwerlich damit begnügt haben, für die Ausgewanderten die Kastanien aus dem Feuer zu holen, er wollte den Purpur ablegen und selber Herzog sein, aber wenigstens hätte er die höchste Stelle würdiger ausgefüllt.

Doch Karl, der eben zu einem Kriegszug nach Tunis rüstete, hatte keine Zeit für die florentinischen Händel. Der Kardinal wurde ungeduldig. Zwischen den Vettern handelte sich’s jetzt darum, wer dem andern beim Kaiser den Rang abliefe. Der Herzog unterhielt geheime Agenten am kaiserlichen Hof; der Kardinal, der dies wußte, wollte durch persönliche Gegenwart Alessandros Einflüsse kreuzen. Er brach mit seinem prächtigen bunten Gefolge, dem sich viele der verbannten Florentiner anschlossen, nach Neapel auf, um sich dort nach Tunis einzuschiffen und unter den Fahnen des Kaisers mitzukämpfen; das Kriegshandwerk lag ihm ohnehin im Blute. Aber seine Laufbahn war zu Ende. Am 1. August kam er in Itri an, wo er ein paar Tage Rast machte, um seine schöne Freundin Giulia Gonzaga, die schönste Frau Italiens, die in Fondi wohnte, zu besuchen. Da erkrankte er jählings und starb nach wenigen Tagen am Gift, das sein Mundschenk ihm gereicht hatte, – auf wessen Antrieb, wollte der Mörder nie bekennen, doch daß er bei dem Herzog von Florenz eine Zuflucht fand, spricht laut genug für Alessandros Schuld. Der treulose Diener erhielt seinen Lohn, da er einige Monate später an der umbrischen Grenze von dem empörten Volk in Stücke gerissen wurde.

Die ganze Expedition löste sich voll Schreck und Trauer auf, die meisten ihrer Teilnehmer gingen auf der Rückreise elend zu Grunde. Ippolitos Leiche wurde von seinem farbigen Gefolge unter lautem Wehklagen auf den Schultern von Itri nach Rom getragen. Er war erst sechsundzwanzigjährig, als er starb; in dieser kühnen Jünglingsgestalt hatte noch einmal aller Glanz der niedergehenden Renaissance aufgeleuchtet, und sein früher Hingang ließ ein allgemeines Bedauern zurück.

Sein Bild, von Tizian gemalt, hängt im Palazzo Pitti zu Florenz: eine kriegerische Gestalt im braunen Sammetrock, über den das Schwert geschnallt ist, ein rotes Barett mit Pfauenfedern auf dem Kopf, in der Rechten den Kommandostab, in der Linken den Degengriff, der Ausdruck ernst, ja tragisch, als ob das frühe Verhängnis schon über ihm schwebte – nichts erinnert in dieser stolzen Erscheinung an einen Mann der Kirche.

Durch den Verlust ihres Hauptes ließen die Verbannten sich nicht entmutigen. Der Strozzi, der mit seinen Söhnen den Meuchelmördern Alessandros entgangen war, hielt die Partei zusammen. Sobald Karl aus Tunis zurück war, begab sich eine Deputation nach Neapel, ihm die Klagen der Verbannten vorzutragen. Von Florenz war auch Alessandro unterwegs mit fürstlichem Pomp, er und seine Edelleute um den Tod des Kardinals in frischer Trauer. Er kam, um sich von den ihm zur Last gelegten Verbrechen zu reinigen; aber das schwerste von allen beging er erst jetzt.

In Collevecchio lebte noch seine Mutter, die sich und ihre jüngeren Kinder kümmerlich mit Wollespinnen ernährte. Der herzogliche Sohn hatte sie im Elend gelassen, weil er sich ihrer schämte. Jetzt wußte er, daß die Verbannten damit umgingen, die alte Mulattin zu seiner Schmach an den Hof des Kaisers zu führen, und um dem Skandal vorzubeugen, räumte der Unmensch die arme Alte durch Gift aus dem Wege.

Danach zog er mit einer glänzenden Begleitung von mehr als dreihundert Berittenen in Neapel ein und stieg gleich in Castel Capuana ab, um seine Braut zu begrüßen. In der kaiserlichen Residenz kam es zwischen den Herren von seinem Gefolge und den ausgewanderten Florentinern zu bösen Worten und selbst zu Thätlichkeiten. Unter den Ankömmlingen befand sich auch Lorenzino. Er haßte den Herzog wenn möglich noch grimmiger als zuvor, denn in dem Kardinal hatte er eine der wenigen Personen, an die ihn ein aufrichtiges Wohlwollen band, verloren.

Jetzt stieß er am Hof des Kaisers mit seinem alten Freunde Piero Strozzi zusammen. Voll Verachtung warf ihm dieser in Gegenwart vieler Herren seine Verrätereien ins Gesicht.

„Ich glaubte einmal, Ihr wäret ein Mann,“ sagte er wegwerfend, „aber jetzt weiß ich es anders.“

Lorenzino hörte ihn mit unbeweglichem Gesichte an, dann antwortete er ruhig:

„Messer Piero, ich werde Euch bald beweisen, daß ich doch ein Mann bin.“ – Aber nach diesen Worten verließ er schleunig den Saal und suchte Alessandro auf, dem er die ganze Begegnung erzählte, so daß, als gleich darauf einer der Höflinge kam, den Herzog zu warnen, dieser schon durch Lorenzino selbst von allem unterrichtet war.

Der Herzog besaß ein wunderbar gearbeitetes Panzerhemd aus feinsten Stahlringen, auf das er große Stücke hielt, weil es leicht und elastisch wie ein Handschuh am Leibe saß. Er äußerte gelegentlich, wenn er nicht dieses Prachtstück von Schmiedearbeit besäße, das ihm nicht die mindeste Unbehaglichkeit verursachte, so würde er lieber gänzlich ungewappnet gehen; darum plante Lorenzino seit lange, ihm das Eisenhemd zu entwenden, um den Weg zu seiner bloßen Brust zu finden. In Neapel ließ es der Herzog eines Tages beim Umkleiden auf seinem Bette zurück. Lorenzino, der allein im Zimmer war, nahm es eilig an sich und warf es in einen Brunnen hinter dem Palast. Der Herzog vermißte es gleich und ließ das ganze Haus danach durchsuchen, und das rätselhafte Verschwinden des Eisenhemdes brachte großen Verdruß und Argwohn unter die Dienerschaft, doch wagte niemand den Thäter, den man wohl vermutete, anzuklagen. Das Gerücht von diesem Vorfall drang bis nach Florenz, und gleich bei der Rückkehr des Hofes ließ der berüchtigte Polizeidirektor sich bei dem Herrn melden und sagte ihm dringlich:

„Wenn Eure Excellenz mir die Erlaubnis giebt, den Philosophen zu befragen, so will ich schnell erfahren, wo Ihr Stahlwams geblieben ist.“

Der Herzog scheute sonst vor den Mitteln des Ser Maurizio nicht zurück, aber seinem Faktotum wollte er kein Härchen krümmen lassen.

„Was,“ antwortete er in seiner derben Art, „möchtest du dem Lorenzino zu Leibe? Geh, laß ihn in Frieden.“

Er war in gnädiger Laune aus Neapel zurückgekehrt, denn es war dort alles nach seinen Wünschen gegangen. Die Mission der Ausgewanderten hatte klägliches Fiasko gemacht. Es waren zwar langatmige Reden gehalten und umfangreiche Schriftstücke

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0443.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2024)