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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

unwillkürlich etwas hochfahrender ausfiel, als sie es beabsichtigt hatte:

„Das dürfte unnötig sein, da mein Vetter, Mr. Cecil Whitemore aus London, in wenigen Stunden hier eintrifft, um einstweilen die Verwaltung des gesamten Betriebes zu übernehmen.“

„Baroneß gestatten mir die Frage: Ist die Sachlage derart aufzufassen, daß ich, im Fall Herr von Hofmann nicht wieder gesund wird, in Mr. Whitemore aus London meinen künftigen Chef und den späteren Herrn der Werke zu sehen habe?“

„Nein,“ sagte Alix, und sie fühlte zu ihrem Aerger, daß sie rot wurde, „das soll damit durchaus nicht gesagt sein. Mein Vetter besaß seit langem das Vertrauen meines Vaters in hohem Grade, deshalb will ich ihm jetzt die Bestimmung überlassen, was zunächst zu thun ist.“

Diesmal machte Ingenieur Harnack keinen weiteren Versuch mehr, das junge Mädchen zurückzuhalten. Er verneigte sich nur stumm und ernst und schritt zur Thür, die er weit offen hielt, Während Alix hindurchging.

Sie war nicht mit sich zufrieden, wie sie durch die Zimmerflucht zu ihrem Kranken zurückkehrte. Es mußte ihr daran liegen, den Mann, dessen Fähigkeiten man ihr so gerühmt hatte, dem Werk zu erhalten, und sie hatte sein Anerbieten, die Oberleitung zu übernehmen, zurückgewiesen und ihren englischen Vetter vorgeschoben. Aber das mußte sie, das war sie Cecil schuldig! Sie konnte ihn, einen so nahen Verwandten ihres Hauses – ihre und seine Mutter waren Schwestern gewesen – nicht unter die Botmäßigkeit eines Ingenieur Harnack stellen!

Gleichviel! Sie hätte dabei rücksichtsvoller zu Werk gehen können, und sie tadelte sich darum. Rief sie sich aber den Mann in die Erinnerung zurück und den Ausdruck in seinen Augen während er mit ihr gesprochen hatte, so fühlte sie sich in ihrem Innern wieder ebenso gereizt, als da sie ihm gegenüberstand. Seine Rede hatte höflich und sachgemäß geklungen, aber unterdessen führten seine heißblickenden, schwarzen Augen eine gänzlich andere Sprache, es lag etwas Zudringliches darin, etwas, das Alix zurückstieß.

Im Krankenzimmer fand sie Doktor Petri. In seiner ruhigen Bestimmtheit verordnete er ihr ein Glas starken Weines und ein paar Stunden Schlaf, ging auch nicht früher fort, als bis Françoise ihre junge Herrin zur Ruhe gebracht hatte. Ein kurzer schwerer Schlummer ließ Alix wenigstens für eine Zeit lang die schreckliche Gegenwart vergessen. Als sie erwachte, sah eine bleiche Wintersonne zum Fenster herein, und es war zwei Uhr mittags. Der englische Vetter, für den Alix unmittelbar nach ihrer Unterredung mit dem Ingenieur einen Wagen nach Greifswald beordert hatte, konnte jeden Augenblick in Josephsthal eintreffen.

Françoise, die das reiche Haar ihrer Herrin mit geschickten Händen knotete und dann mit einem Pfeil durchstach, hatte viel zu berichten.

„Denken Sie nur, mignonne, vor einer Stunde, als Sie noch schliefen, sind Herren gekommen vom Gericht, um die blutige That zu untersuchen, näher zu untersuchen – o, und ich glaube, auch welche von der geheimen Polizei. Ich zittere, daß sie mich verhören werden!“

„Dich, Françoise? Sprich doch nicht solchen Unsinn! Wozu sollte das dienen?“

„Nun, man kann nie wissen! Alles, was zum Haus gehört, soll vernommen werden, und ich gehöre doch dazu! Doch ehe ich’s vergesse, der Herr Justizrat wünscht Sie zu sprechen – es habe sich herausgestellt eine Sache von großer Wichtigkeit!“

„Und das erfahre ich jetzt erst?“ Alix sprang aufgeregt vom Stuhl empor. „Warum hast du mich nicht sofort geweckt?“

Alix hörte die Rechtfertigung der schwatzhaften Französin nicht mehr mit an, sie hatte bereits das Zimmer verlassen. Den Diener, der ihr entgegenkam, hielt sie an:

„Wo sind die Herren vom Gericht?“

„In Herrn von Hofmanns Comptoir, Baroneß! Darf ich dem gnädigen Fräulein nicht zuvor im kleinen Speisezimmer das Diner servieren?“

„Nein! Führen Sie mich sogleich zu den Herren!“

„Wie gnädiges Fräulein befehlen. Es führt ein Weg zum Comptoir durch verschiedene Zimmer, wie gnädiges Fräulein diesen Morgen gegangen sind, der andere geht über die Korridore, und das ist der kürzere!“

„So gehen wir diesen!“

Im Comptoir traf Alix außer Ueberweg noch vier Herren, drei davon in mittleren Jahren, der vierte sehr jung aussehend, mit einem bartlosen Gesicht und einem beinahe kindlichen Ausdruck in den hellen Augen.

„Herr Staatsanwalt Bindemann, Herr Landgerichtsrat Keller, Herr Assessor Grün, Herr Korty – Baroneß Alexandra von Hofmann!“

Die Herren verneigten sich.

„Wollen sie der Dame nicht auch meinen Titel nennen, Herr Doktor?“ fragte der zuletzt Genannte mit einem ganz leichten Lächeln. „Es dürfte sich doch empfehlen, sie ins Vertrauen zu ziehen!“

„Gewiß, wie Sie wünschen. Ich mußte mich aber zuvor Ihrer Zustimmung versichern. Also: Herr Korty, Geheimpolizist aus Berlin.“

Alix sah aus großen, erstaunten Augen auf das glatte Knabengesicht mit der harmlosen, nichtssagenden Miene.

„Herr Korty wird von heute an als Mechaniker hier eintreten und einige seiner Gehilfen als Arbeiter bei den Walzwerken!“ sagte der Justizrat. „Ich brauche wohl nicht besonders zu betonen, liebe Alix, daß sein Name sowie der Zweck seines Hierseins strengstes Geheimnis ist, das nur wir Juristen mit Ihnen und Ihrem Vetter Mr. Cecil Whitemore teilen. Für alle übrigen, hohe und niedere Angestellte, für alle, wohlverstanden, ist dies Herr Neubert aus Stralsund, der durch Vermittlung Ihres Herrn Vetters, der ihn in London bei einem deutschen Geschäftsfreund kennengelernt hat, hierher gekommen ist, um bei den hiesigen Werken zu arbeiten, zum Teil schriftlich, zum Teil auch praktisch. Wir werden Mr. Whitemore, sowie er eintrifft, hiervon verständigen. Herrn Neuberts Stellung wird es mit sich bringen, daß er möglichst mit allen Schichten der Josephsthaler Bevölkerung in Berührung kommt – Sie sehen die Notwendigkeit dieser Maßregeln ein, nicht wahr?“

„Vollkommen!“ bestätigte Alix. Dann wandte sie sich zu den andern:

„Darf ich die Herren ersuchen, wieder Platz zu nehmen und mir, soweit Ihnen dies zulässig erscheint, Mitteilung von dem Geschehenen zu machen? Meine Bonne erwähnte andeutungsweise etwas von einer wichtigen Entdeckung – –“

„In der That!“ Landgerichtsrat Keller, der älteste der anwesenden Herren, ergriff das Wort: „Wir wünschten, Sie, gnädiges Fräulein, als die einzige und majorenne Tochter Herrn von Hofmanns, in den Sachverhalt einzuweihen, und gaben daher die in ganz allgemeinen Ausdrücken gehaltene Parole von der wichtigen Entdeckung aus, die freilich auch zu Recht besteht. Es handelt sich nämlich um eine kurze Notiz in Ihres Herrn Vaters Brieftasche, die Kollege Ueberweg im Schreibtisch Herrn von Hofmanns gefunden hat, des Inhalts, daß Ihr Herr Vater eine größere Summe in Banknoten, etwa zweimalhunderttausend Mark, dem Direktor der Oelmühle hat übermitteln wollen, um mit dem größten Teil des Geldes neu eingelaufene bedeutende Lieferungen zu decken, mit dem übrigen die Gehälter an die Angestellten des Etablissements zu zahlen. Herr von Hofmann war die Ordnungsliebe und Pünktlichkeit in Person. Irrtümer und Vergeßlichkeiten sowie Verwechslungen sind daher so gut wie ausgeschlossen, zumal es sich um eine so bedeutende Geldsumme handelte. Der Termin der Ablieferung war genau im Notizbuch angegeben: der achtzehnte Februar – – ebenso die einzelnen Nummern der Wertpapiere, hinterher die Bemerkung: sofort nach eigenhändiger Ablieferung persönlich einzutragen! – Der Direktor der Oelmühle, seit fünfzehn Jahren Ihres Herrn Vaters Beamter, ein durchaus zuverlässiger Mann, ist am Morgen des achtzehnten Februar um neun Uhr zehn Minuten per Telephon durch Herrn von Hofmann benachrichtigt worden, sich kurz vor zwölf Uhr mittags zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0522.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2022)