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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

und die Grete wirklich und leibhaftig zu sehen sind, gerade so wie sie der Herr Maler heute morgen da vorn hinstellte und durch die königliche Belohnung von fünfzig Pfennig zwei Stunden lang zum unverdrossenen Ausbarren bewog! Daß diese beiden sich infolgedessen auch bereits mit zur Kunst rechnen, zeigt Gretens koloristischer Verschönerungsversuch an Michels roten Backen und dessen andachtsvolles Stillehalten unter ihrem Pinselstrich. Der Herr Maler wird beim Zurückkommen wohl froh sein, daß die kleine Naturkünstlerin nicht seine Leinwand zum Feld der Thätigkeit erwählte! Bn.     

Deutschlands merkwürdige Bäume: die Zwerg- oder Krüppelbuche bei Königslutter. (Mit Abbildung.) Ungefähr 100 m seitwärts von der Straße, welche die beiden braunschweigischen Städte Königslutter und Schöppenstedt miteinander verbindet, findet man in dem Forstorte „Huckethalskopf“ des Forstbezirks Königslutter eine Zwerg- oder Krüppelbuche. Dieselbe steht inmitten eines jüngeren Bestandes, und Fachmänner schätzen ihr Alter auf 150 bis 160 Jahre. Die Höhe des Baumes beträgt etwa 9 m, der Umfang des Stammes 2,30 in und die Länge desselben 2,20 m. Der Durchmesser der Krone mißt 13 bis 14 m. Das Wachstum der Buche ist verhältnismäßig gut und kräftig. Schon der Stamm zeigt Verkrüppelung, besonders aber haben die jüngeren und die jüngsten Zweige und Aeste die Neigung, miteinander zu verwachsen oder zu verkrüppeln. Bode.     

Deutschlands merkwürdige Bäume: die Zwerg- oder Krüppelbuche bei Königslutter.
Nach einer Aufnahme von Max Burchard in Braunschweig.

An dem „Thore des verlorenen Sohnes“ der Kathedrale in Toledo. (Zu dem Bilde S. 533.) Die „Puerta del Niño Perdido“ ist eines der acht Thore, welche in die Kathedrale von Toledo führen. Diese Pforte stammt aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts und bildet einen prächtigen Rahmen zu unserem Bilde. Bis ins einzelne sorgfältig und naturgetreu hat der Maler den mächtigen Thorflügel mit den kunstvoll gearbeiteten Eisennägeln, die steinerne, reichverzierte Umrahmung der inneren Thüre und den mit dem Osterpalmzweig geschmückten Balkon dargestellt.

Gleichgültig schreitet das junge Mädchen an den Bettlern vorbei; es giebt ihrer ja so viele in Toledo, daß es unmöglich wäre, auf alle zu achten. Zudem blicken die dunklen Augen so traumverloren in die Ferne, als weilten die Gedanken der von der Andacht Kommenden weit von hier. Daß wir eine echte Tochter Spaniens vor uns haben, zeigt die schwarze Spitzenmantilla, die glücklicherweise nur in Madrid von dem modernen Hut verdrängt wird. Das reiche Haar beinahe bedeckend, fällt sie in schönen Falten auf Schultern und Rücken herab. Charakteristisch ist die Vereinigung von Rosenkranz, Fächer und Gebetbuch in der linken Hand des jungen Mädchens. Ohne Fächer würde keine Spanierin je das Haus verlassen. Sie bedient sich seiner auf die anmutigste Weise und verwendet ihn sowohl zum Gruß, wie zu einer fein ausgebildeten Zeichensprache, welche der Glückliche, dem sie gilt, wohl zu deuten weiß.

Die Alte, vermutlich die Dienerin, trägt die Mantilla weniger kokett auf dem ergrauten Haar. Von dem großen bunten Shawl wird sie sich auch im Sommer nicht trennen. Wie das schwarze Seidenkleid bei den Damen, ist bei den Frauen der arbeitenden Klasse der wollene Shawl beliebt und gebräuchlich. Das Mütterchen hält einen Feldstuhl im Arm. Die müden Beine erlauben ihm nicht mehr das lange Stehen und Knieen, und Bänke oder Stühle giebt es in den spanischen Kirchen nicht. Mitleidig reicht es der anscheinend blinden Bettlerin ein Geldstück, vielleicht weiß es aus eigener Erfahrung, wie weh der Hunger thut.

In ganz Spanien giebt es wohl keine Kirchenthür, an welcher nicht mehrere Bettler, Blinde, Lahme und Krüppel die Hand ausstrecken. Da heißt’s, Kleingeld und besonders Geduld haben.

Madrazo zeigt uns auf seinem Bilde nicht die Aermsten der Armen, und zeichnet sich hierin vorteilhaft vor vielen seiner Kollegen aus, die mit besonderer Vorliebe das Abstoßende und Schreckliche darstellen. C. v. R.      

Phyllis. (Zu dem Bilde S. 537.) In den Hirtengedichten der griechischen und römischen Dichter, die, wie Theokrit und Vergil, das Landleben besangen, ist Phyllis ein beliebter Name für zartempfindende Schäferinnen, welche ihre Lämmer im Pinienschatten zwischen Myrtenbüschen weiden. Als später die Nachahmung der griechischen und römischen Kunst in Frankreich und Deutschland zur Wiederbelebung der Hirtenpoesie führte, da wurde auch der Name Phyllis wieder oft gebraucht und manch ein Dichter feierte in seinen Liedern die eigene Geliebte als griechische Schäferin und nannte sie Phyllis. In besonderer Blüte stand diese Vorliebe in der Rokokozeit: zur Mode von Versailles gehörten Schäferspiele und Maskenfeste, zu denen sich die Damen vom Hof als Hirtinnen kostümierten. Den größten Vorteil hat von dieser Mode die Malerei gehabt, und auch heute noch benutzt sie diese anmutigen Motive. Heinrich Lossow führt uns eine solche Rokokoschäferin vor; sie ist auf dem Wege zu einer Begegnung mit dem Geliebten, sei es zu einem einsamen Stelldichein oder zu einem fröhlichen Feste, wo sie ihn treffen wird; sie hat sich festlich angethan, Blumen in den Zopf geflochten, und so schreitet sie des Wegs einher, von ihrem kleinen Liebling begleitet, dem sie zärtliche Blicke zuwirft.

Auf der Terrasse der Ebernburg. (Zu dem Bilde S. 541.) Zu den Nebenflüssen des Rheins, die an romantischem Reiz ihrer Ufer mit dem Hauptstrom wetteifern, gehört die Nahe, welche bei Bingen ihre frische Flut mit der des Rheines vereinigt. Dies gilt vor allem von der Umgebung der beiden benachbarten Badeorte Kreuznach und Münster am Stein, deren vorzügliche Solquellen alljährlich von zahlreichen Kurgästen aufgesucht werden. Die landschaftliche Schönheit des Nahethales zeigt sich hier in ihrer reichsten Entfaltung; besonders ruhmreiche historische Erinnerungen knüpfen sich an die Burgtrümmer, welche hier, auf steilen Porphyrfelsen thronend, einander gegenüber liegen. Von ihnen gewiß die berühmteste ist die Ebernburg, deren Ruine sich westlich vom Rheingrafenstein über Münster und dem Einfluß der kleinen Alsenz in die Nahe erhebt. Als Franz von Sickingens festes Schloß gewährte sie in den Stürmen der Reformationszeit so manchem kühnen Vorkämpfer der evangelischen Lehre gastliche Aufnahme und kräftigen Schutz gegen seine Widersacher. Als Gast seines mächtigen Freundes Franz von Sickingen schrieb hier Ulrich von Hutten seine Klagschriften an Karl V und an die Deutschen aller Stände. Auf der Ebernburg schmiedete er in Gemeinschaft mit dem tapferen Burgherrn jene kühnen Pläne, die auf eine Wiedergeburt des Deutschen Reiches im Geiste der nationalen Unabhängigkeit und der „christlichen Wahrheit“ abzielten. Seit 1889 steht auf halber Höhe des Berges das schöne Cauersche Denkmal, welches das heldenhafte Freundespaar in lebensvoller Gestaltung verkörpert. Die „Herberge der Gerechtigkeit“, wie Hutten dankbaren Sinnes die Ebernburg nannte, ist unter den Kartaunenschüssen späterer Belagerer längst verfallen; aber ihr Ruhm blieb haften an ihren Trümmern, und über diesen Trümmern erhob sich dann ein neuer zinnengeschmückter Bau, der jetzt als Herberge denjenigen dient, welche der Ruhm der schöngelegenen Stätte hinauflockt. Pietätvoll wird in dem Gasthaus das Andenken an jene große Zeit gepflegt; man findet in seinem Innern die Bildnisse Sickingens, seiner Frau Hedwig, Ulrichs von Hutten, sowie allerlei Reliquien. Aber nicht nur zu historischem Rückblick, nicht minder zum Ausblick auf das herrliche Landschaftsbild, das rings um den Berg sich ausbreitet, ladet der Aufenthalt ein. Eine Aussichtsterrasse mit schattigen Ruhesitzen bietet Gelegenheit, diesen Genuß mit behaglicher Rast bei erquickendem Trunk zu verbinden. Aus nah und fern strömen daher an schönen Sommer- und Herbsttagen die Besucher herbei, um sich des entzückenden Aufenthalts zu erfreuen, und oft wird der Kurgast aus Münster oder Kreuznach, der bald auf der Ebernburg heimisch wird, Zeuge, wie sich unter den Bäumen der Aussichtsterrasse fröhliche, echt rheinische Geselligkeit in ähnlicher Weise entfaltet, wie es unser Bild darstellt. Die Landschaft im Hintergrund desselben zeigt uns das Alsenzthal, links überragt von den Trümmern der Feste Altenbaumburg, die einst als Stammsitz des alten Raugrafengeschlechts berühmt war.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0547.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2022)