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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Arbeitern, wenn er auch nicht gerade beliebt bei ihnen sei. Liebe sei übrigens auch in solchem Verhältnis ein ganz unnützer Artikel – Gebieter, die sehr beliebt wären, würden allemal von ihren Untergebenen übersehen und ausgenutzt – der Respekt sei die Hauptsache.

Cecil hatte hinzugefügt, die Herren hätten ihm mitgeteilt, daß ihr verstorbener Chef sie von Zeit zu Zeit in sein Haus gezogen, sie eingeladen habe, hin und wieder einen Abend bei ihm zuzubringen; man habe gespeist, politisiert, geplaudert, geraucht, es seien oft recht anregende Debatten gewesen. Cecil riet seiner Cousine, diese geselligen Abende nach einiger Zeit wieder aufzunehmen; sie und die Majorin könnten den Vorsitz führen, und es könne beiden Damen nichts schaden, wenn sie wirklich alle vier bis sechs Wochen einmal kaufmännisch gefärbte Gespräche mit anhörten. Er, der Vetter, wolle versuchen, die Herren möglichst gut zu unterhalten – er sei dafür, daß eine gewisse Verbindung zwischen der Besitzerin der Werke und dem Beamtenpersonal bestehe. Alix versprach gerne, nach Verlauf einer entsprechenden Frist die geselligen Abende von neuem einzuführen.

Ziemlich häufig war ihr, bald da, bald dort, der als Herr Neubert in den Werken angestellte Geheimpolizist Korty begegnet, und zwar immer in Begleitung von vier, fünf andern Arbeitern, von denen er einen oder zwei zutraulich unter den Arm gefaßt hatte, während er lebhaft mit den andern sprach. Er schien sich rasch beliebt gemacht zu haben, sein harmloses, glattes, knabenhaftes Gesicht war überall gern gesehen. Er hatte sich noch nie bei Alix melden lassen, konnte ihr also bisher nichts von Belang mitzuteilen gehabt haben; traf er sie inmitten der Kolonie, so grüßte er höflich mit den andern zugleich und ging weiter.

An schönen Tagen konnte man Alix in der Mittagsstunde häufig genug neben der Majorin durch die Kolonie wandern sehen, und solche Gelegenheiten wußte Oberingenieur Harnack zuweilen sehr gewandt zu benutzen, indem er, anscheinend ganz zufällig und wie mitten in voller Geschäftigkeit, aus dem Maschinenhaus, aus einem der Lagerräume, aus einer Abteilung der Dampfschneidemühle heraustrat, freudig überrascht stehen blieb, die Damen überaus höflich grüßte, zögerte – und schließlich im bescheidensten Ton die Frage stellte, ob er sich den Damen wohl in irgend welcher Weise nützlich machen könne, vielleicht wünschten sie einiges zu erfahren, worüber er Bescheid geben dürfe. Das traf sich denn wirklich auch oft genug so; zumal die Majorin, der in Josephsthal alles neu und interessant war, zeigte sich äußerst wißbegierig und war sehr eingenommen von Herrn Harnacks klarer, leicht faßlicher Darlegung der Dinge – sie meinte, hierin übertreffe er offenbar Mr. Whitemore, der fast nie Zeit und Geduld genug hatte, den Erklärer zu spielen, und, wenn er es einmal that, soviel technische Ausdrücke hineinmischte, daß man doch kaum die Hälfte von dem verstand, was er sagte.

Zuweilen, wenn Alix gegen Abend eine Stunde allein hinausfuhr, stieg sie in der Nähe der Schneidemühle aus, ging ein Stück am Fluß entlang und bog dann bei den Neubauten ein, um zu dem Häuschen im Schweizerstil zu kommen, neben dem sie an ihres Vaters Todestag gestanden und die ersten lindernden Thränen gefunden hatte beim Anhören jener schönen Musik. Sie bekam aber nichts mehr zu hören. Entweder lag das Häuschen still und dunkel da, oder es waren ein paar Fenster erleuchtet, aber kein Klang war zu vernehmen, auch kein Schatten an der dünnen Gardine zu sehen. Alix wußte noch heute nicht, wer der Klavierspieler gewesen war, und sie scheute sich auch, direkt danach zu fragen. – – –

Jetzt sind ihre Gedanken weitab von musikalischer Offenbarung und weichem Empfinden. Alix rechnet. Ihre rechte Hand, die so leuchtend weiß aus den Falten des schwarzen Kreppärmels hervorsteht, hält die Feder und fährt prüfend die ganze Zahlenreihe auf und nieder und nochmals auf und nieder, sie will sich auf keinem Irrtum betreffen lassen! Draußen wirbelt der Schnee herab. Die Bronzeuhr mit der Minerva – das junge Mädchen sitzt in ihres Vaters Arbeitszimmer – giebt zwölf Schläge an. Das ist Cecils gewohnte Zeit – gleich muß er hier sein! Alix schiebt ihre Papiere ein wenig zurück, sie ist mit ihrer Aufgabe fertig.

Leises Klopfen – der grauhaarige Diener steckt den Kopf herein.

„Mr. Whitemore läßt das gnädige Fräulein fragen, ob er die Ehre haben darf.“

„Ich lasse bitten!“

Das wiederholt sich jeden Tag um dieselbe Stunde genau so. Cecil läßt sich immer förmlich anmelden, Alix läßt jedesmal höflich bitten. Sie arbeiten zusammen, die beiden, sie besprechen alles Geschäftliche, aber sie sind einander in dieser ganzen Zeit innerlich um nichts näher gekommen. Wozu auch? Sie empfinden alle beide nicht das mindeste Bedürfnis danach.

Cecil erscheint, ein paar Papiere in der Hand – korrekt, gemessen, verständig.

„Guten Tag, Cousine. Wie befinden Sie sich?“

„Danke, ich bin gesund. Setzen Sie sich, bitte!“

Thank you!“ Cecil nimmt einen Stuhl und sieht die Blätter durch, die sie ihm hinreicht. Ein kleines Kreuzverhör schließt sich dieser Durchsicht an – Worte wie: Conto – Disconto – Valuta – Wechselaccept und so fort klingen hinüber und herüber. Der junge Engländer nickt: „Well! That will do!“ Mehr Lob erntet Alix nie. „Zu morgen also“ – er zieht ein paar Zettel aus der Tasche und giebt sie ihr. „Und hier – wollen Sie diese zwei Geschäftsbriefe einsehen? Der eine ist ziemlich belanglos, ich habe nur unsere Preise durchgesetzt, aber das war vorauszusehen! Der andere ist von Flottwell Brothers in New York und sehr wichtig, die neue Geschäftsverbindung ist angebahnt!“

„Freut mich für Sie! Sie wünschten sich das ja so. Ich gratuliere!“

„Danke! Ist mir in der That angenehm. Dann – dann – – sind hier noch – –“

„Nun?“ Alix sieht erstaunt auf. Ihr will’s scheinen, als ob Cecil etwas verlegen wäre, und das hat sie noch nie an ihm gesehen. Er pflegte auch sonst immer seine Sätze zu Ende zu sprechen!

„Sie äußerten neulich, Cousine, Ihr Vater habe wohl nie an einen raschen, frühen Tod gedacht, und ich pflichtete dem bei. Im Anfang der fünfziger Jahre – ganz gesund – vernunftgemäß lebend – wie hätte Onkel Hofmann an seinen Tod denken sollen? Dennoch hat er es gethan –“

„Ja, gewiß,“ fiel das junge Mädchen ein, „er hat ein Testament aufgesetzt, wie das vorsichtige Geschäftsleute oft in guten Jahren noch zu thun pflegen.“

„Ich meine nicht das. Es hat mich keinen Augenblick gewundert, ein Testament vorzufinden. Onkel Hofmann war viel zu vernünftig beanlagt, nach jeder Richtung hin, um einen so wichtigen, notwendigen Schritt zu versäumen. Aber in seinen Privatpapieren – ich nahm sie an mich, da Sie, Cousine, mich darum ersuchten – habe ich gestern abend, als ich sie zum erstenmal durchsah – ich hatte früher beim besten Willen keine Zeit dazu ..... da also habe ich – –“

Neues Stocken. Wahrhaftig, der besonnene, vernünftige Vetter ist verlegen!

„Habe ich also diesen Brief, an Sie gerichtet, vorgefunden. Bitte, wollen Sie die Aufschrift lesen und sich überzeugen, daß das Siegel unverletzt geblieben ist!“

„Bedarf es denn zwischen Ihnen und mir wirklich solcher nutzlosen Formalitäten, Cecil?“

„Bitte, das ist keine unnütze Formel – das ist gcschäftlich korrekt. Wollen Sie lesen –“

„An meine Tochter, Fräulein Alexandra von Hofmann. Nach meinem Tode zu öffnen und zu lesen.“

„Sie erkennen an, daß dies Ihres Vaters Handschrift ist?“

„Aber natürlich!“

„Und das Siegel?“

„Mein Gott, Cecil! Nun also, wenn Sie es ausdrücklich zu hören wünschen: das Siegel ist unverletzt geblieben!“

„Danke!“ Der Engländer stand so hastig auf, als habe er diese letzte Bestätigung kaum erwarten können.

„Sie werden nun lesen, und ich werde nun gehen!“

„Schon?“

„Ich habe – ja, ich habe viel zu thun, und Ihre Arbeit zu morgen finden Sie da auf dem Zettel verzeichnet. Guten Morgen, Alexandra!“

„Jagten Sie nicht gestern oder deuteten es wenigstens in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0551.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2022)