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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


„Spielen Sie auch Klavier, mein Herr?“ wandte sich die Majorin Sperber indessen an Hagedorn. Es war eine bloße Höflichkeitsphrase – etwas mußte sie doch mit diesem plötzlich hergeschneiten jungen Mann, der ihr eben vorgestellt worden war und der dicht neben ihr stand, sprechen.

Er fühlte das auch heraus und bejahte in aller Kürze die Frage, aber Alix hatte sich rasch umgewandt.

„Sie müssen mir ein paar Fragen beantworten. Giebt es viele musikalische Elemente hier in der Kolonie Josephsthal?“

„Viele? Nicht daß ich wüßte! Die Frau des Oelmühlendirektors singt, ein Techniker geigt, und ein anderer bläst die Clarinette … dann noch …“

„Ich meine: spielt niemand Klavier?“

„O doch! Ingenieur Groß, dort hinten bei den Wasserwerken wohnt er – ganz tüchtiger Pianist sogar –“

„Und wer von den Herren wohnt unten am Fluß in dem kleinen Schweizerhaus, wo die vielen Neubauten sind?“

„Das kleine Schweizerhaus ist mein Domizil, Baroneß!“

„Ah, dann habe ich Sie spielen hören – es war damals, als … es hat mir wohlgethan.“ Das stolze junge Gesicht bekam einen weichen Ausdruck, die Stimme klang unsicher. „Sie spielten Walther von Stolzings Lied: ,Am stillen Herd, in Winterszeit!‘“

„Ah, das! Mein Liebling aus den ‚Meistersingern‘!“

„Auch meiner! Musizieren Sie häufig?“

„So oft ich kann. Wenn ich das nicht hätte –“ Hagedorn stockte plötzlich, das rasche Wort schien ihn zu gereuen. Wie kam er, ein Buchhalter Alexandras und bisher ihr völlig unbekannt, dazu, ihr Bekenntnisse irgend welcher Art ablegen zu wollen!

„Ich bin an ein sehr geselliges, abwechselungsreiches Leben bei meinen Pflegeeltern in Frankfurt gewöhnt gewesen,“ sagte Alix, die einen Augenblick darauf gewartet hatte, ob der junge Mann seinen Satz beenden würde. „Dagegen wird mein hiesiges Dasein sich sehr still und einförmig abspinnen, und Frau von Sperber und ich müssen bestrebt sein, aus eigenen Mitteln etwas zu unserer Zerstreuung zu thun. Mit der Musik, die wir beide lieben und pflegen, ist schon viel gewonnen – kommt nun noch mein Reitpferd dazu –“

„Ah!“ Wieder glänzten Hagedorns Augen auf. „Baroneß sind auch Reiterin?“

„Mein Vater hielt darauf, daß ich reiten lernte, und ich bin ihm dankbar dafür.“

„Und Ihr Reitpferd? Welche Rasse, wenn ich fragen darf?“

„Arabische Schimmelstute. Fünf Fuß vier Zoll – dreijährig – war noch nicht völlig auf Damenpferd zugeritten, als ich sie kaufte – ich hab’ meine liebe Not mit ihr gehabt!“

„Gnädiges Fräulein haben sie selber zugeritten?“

„Natürlich! Ich wollte sie mir doch in die Hand gewöhnen, aber ich habe viel Geduld üben müssen, sie ist unglaublich empfindlich und scheut leicht!“

„Solch’ nervöses Temperament ist schwer zu besiegen! Ist es Ihnen gelungen?“

„Ganz wohl noch nicht. Als ich sie endlich so weit hatte, daß sie mir einigermaßen nachgab, galt es, sie an die Kameradschaft mit ihresgleichen zu gewöhnen – wir vom Reitklub wollten doch gern miteinander Ausflüge unternehmen. Das nahm aber ,Primrose‘ sehr übel, sie zeigte sich so unliebenswürdig, kapriziös und ungesellig, daß ich ihr mit Stangenzaum und Peitsche mehr als eine scharfe Lektion geben mußte.“

„Aber das half?“

„Eine Zeit lang – ja! Jetzt, da ich sie so lange nicht geritten habe, wird sie mir, fürchte ich, wieder sehr aus der Hand gekommen sein. Sie sind auch Pferdeliebhaber oder wohl gar Kenner?“

„Früher war ich ein heißer Sportsman, ich habe bei mehr als einem Herrenreiten einen Preis erzielt.“

„Davon müssen Sie mir gelegentlich mehr erzählen, dafür interessiere ich mich. Sie müssen kommen und sich ,Primrose‘ ansehen, sobald sie hier angelangt ist!“

„Wenn Baroneß gestatten, komme ich schon früher, noch ehe ,Primrose‘ ihren Einzug gehalten hat.“

„Sie sollen mir willkommen sein! Ist nun jedes Mißverständnis beseitigt?“

„Einstweilen – ja!“

„Wie vorsichtig ausgedrückt!“

„Diese weise Vorsicht liegt gar nicht in meiner Beanlagung, die Natur hat es absolut versäumt, mich damit auszustatten. Wenn man aber immer von neuem Erfahrungen macht, welche zur Vorsicht mahnen, wäre man ja ein Narr, wenn man nicht endlich sich fügen wollte!“

„Gut also – Sie werden kommen!“

„In jedem Fall!“

„Und im Amt bleiben?“

„Da mein direkter Vorgesetzter nicht imstande ist, die beabsichtigte Palastrevolution herbeizuführen und mich zu stürzen, so bleibe ich, so lange es meinem indirekten Chef beliebt, mich zu dulden!“ Es wurde mit lächelnder Feierlichkeit gesagt, während Hagedorn, der den grauen weichen Filzhut schon lange heruntergezogen hatte und in der Hand zerdrückte, sich tief und ceremoniell verbeugte. Auch Alix mußte lächeln, als sie ihn mit verbindlichem Kopfneigen entließ.

„Meine gnädigste Frau – Baroneß Hofmann – –“ Noch ein respektvolles zweimaliges Grüßen, und der junge Mann war mit einem Satz auf dem Zweirad und sauste in einem elegant genommenen Bogen davon.

„Das ist ja ein gewandter und sehr hübscher Mensch, liebe Alix!“ sagte Frau von Sperber, indem sie beifällig hinter ihm dreinsah. „Wo in aller Welt haben Sie den aufgelesen?“

„Unten in der Dorfstraße, wo nur seine Geschicklichkeit ihn davor bewahrte, einen kleinen Jungen, der ihm in den Weg lief, zu überfahren. Er ist übrigens auch ein Verwandter von mir – das heißt, ich meine, dieser Herr Hagedorn, nicht der Junge!“

„Danke für gütige Aufklärung!“ Beide Damen lachten. „Aber kommen Sie herein, Alix, die Luft ist doch recht frisch, Sie könnten sich erkälten!“

„Bewahre!“ Das Mädchen sah mit großen Augen zum blauen Himmel hinauf, dehnte die Brust und atmete tief. „Wir haben ja den schönsten Frühling heute!“

„Wer weiß, wie lange? Was meinte denn dieser Herr Hagedorn damit, als er vom direkten und vom indirekten Chef sprach?“

„Mit dem direkten meinte er Herrn Ingenieur Harnack, der ihn aus seiner Stelle vertreiben will, und mit dem indirekten mich, die ich ihn behalte!“

„Ach so! Aber – aber, mein liebes Kind, glauben Sie denn nicht, daß – Ihre Intelligenz und Ihren guten Willen in allen Ehren! – daß Harnack die Tüchtigkeit oder Untauglichkeit eines Beamten, vermöge seiner Kenntnisse und Erfahrungen, viel besser beurteilen kann als Sie?“

„Wenn sich’s allein um Tüchtigkeit und Kenntnisse handeln würde – dann ohne alle Frage! Aber Ihr gepriesener Harnack, für den meine liebe Frau von Sperber offenbar ein faible hat –“

„Alix! Mein Gott, der Mann giebt sich so viel Mühe, uns alles hübsch zu erklären, und das gelingt ihm doch auch –“

„Gewiß gelingt ihm das, und Mühe giebt er sich redlich – wer wollte das bestreiten? Aber bei alledem ist er ein Mensch mit sehr ausgeprägten Sympathien und Antipathien –“

„Und da meinen Sie nun, Herr Hagedorn wäre ihm antipathisch? Aber warum denn nur in aller Welt?“

„Das habe ich noch nicht herausgefunden – aber die Antipathie ist vorhanden, darauf wette ich.“

„Mir ist sie rätselhaft. Ich habe von dem Herrn ja nur einen flüchtigen Eindruck gehabt, aber der war außerordentlich günstig. Ein flotter, bildhübscher Mensch von auffallend guten Manieren. Was für eine Stellung bekleidet er denn hier?“

„Er ist – Buchhalter!“

„Er hat das Air eines Künstlers. Und Sie möchten sich natürlich über diesen – diesen – Vetter – – ist er das?“

„Wenn Sie so wollen – ja! Unsere Mütter sind richtige Cousinen gewesen!“

„Nun, Alix, vielleicht finden sich noch mehr Vettern für Sie in Josephsthal ein. Zwei hätten wir ja schon! Ich wollte sagen: Sie möchten sich nun über diesen neuen Vetter ein eigenes Urteil bilden –“

„Ja, das möchte ich, und mit gutem Recht, wie ich meine!“

„Entschieden! Ich meine das auch! Und einstweilen sind Sie entschlossen, ihn zu behalten?“

„Ja – ich behalte ihn!“ – – – (Fortsetzung folgt.)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0558.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2022)