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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

können, daß sie sich solche Antipathien, wie die gegen ein Paar allzu ausdrucksfähiger Augen, nicht durchgehen lassen dürfe und daß ihre jetzige Unterredung ja auch nichts Unangenehmes sei: er wünscht einen Beamten zu entlassen, sie wünscht, ihn zu behalten, und da sie die Herrin von Josephsthal ist, so hat sie ja die Macht, ihren Willen durchzusetzen, und das kann ganz einfach mit wenigen Worten, ohne Erregung geschehen!

Also lächelt Alix ganz verbindlich, geht dem Ingenieur ein paar Schritte entgegen und bietet ihm die Hand. Diese weiße, kühle Hand wird hastig genommen und an zwei zuckende, heiße Lippen gepreßt, die viel zu lange darauf ruhen – oder spielt Alix’ Voreingenommenheit ihr hier wieder einen Streich?

„Willkommen in Josephsthal, Herr Ingenieur!“ sagt sie freundlich, weist ihm einen der breiten Eichensitze in der rechtsgelegenen Fensternische an und setzt sich ihm gegenüber. „Sie haben sich im Interesse der Dampfschneidemühle einer großen Mühe und Strapaze unterziehen müssen und dafür sind wir, mein Vetter und ich, Ihnen Dank schuldig!“

„Baroneß sind allzu gütig! Für eine Pflicht, die man in seinem Beruf erfüllt, darf man sich nicht loben und danken lassen!“

„Und Sie sind mit dem Erfolg Ihrer Bemühungen zufrieden? Ich muß hinzufügen“ – Alix lächelt ein wenig –, „daß ich absichtlich eine so allgemeine Ausdrucksweise wähle, weil ich meines Vetters Erklärungen über diesen berühmten Motor und seine Bedeutung ganz und gar nicht verstanden habe.“

„Wenn ich mir erlauben dürfte, Baroneß einige Erläuterungen zu geben – vielleicht wäre ich glücklicher. Mr. Whitemore spricht ein sehr korrektes Deutsch, zu korrekt vielleicht, um immer leicht verständlich zu sein, und, so fließend Baroneß englisch reden, wären da die technischen Ausdrücke vielleicht eine Klippe. Wer über ein so rasches, leichtes Verständnis verfügt, wie Baroneß dies bei den verschiedensten Gelegenheiten bewiesen haben –“

Alix machte eine abwehrende Handbewegung. „Das ist viel zuviel gesagt, Herr Ingenieur! Sie verstehen es, faßlicher und populärer zu sprechen als mein Vetter, und nehmen sehr viel Rücksicht auf mich und meine Unkenntnis, daher gelingt es mir, Ihren Auseinandersetzungen meistens zu folgen … meine eigene Befähigung ist, fürchte ich, auf diesem Gebiet recht schwach. Wenn Sie so freundlich sein wollen, später, wenn auch Frau von Sperber zugegen ist, uns einen kleinen Vortrag über den neuen Motor zu halten, so würden wir Ihnen sehr dankbar sein. Für jetzt komme ich nur auf meine Frage zurück: sind Sie mit dem Stand der Dinge zufrieden?“

„Im großen und ganzen ja, mein gnädiges Fräulein!“

„Dann wollen wir gleich zu der Angelegenheit übergehen, um derentwillen ich Sie zu mir herüberbitten ließ!“

Harnack verneigte sich. Ueber seine dunklen Züge glitt es wie eine Wolke hin.

„Was ich Ihnen über Herrn Hagedorn zu sagen wünsche, wird Sie nicht unvorbereitet finden,“ fuhr Alix fort und sah ihrem Gegenüber mit der sicheren Unbefangenheit, die so gut zu ihrer äußern Erscheinung stimmte, ins Gesicht. „Mein Vetter Cecil hat Ihnen gewiß meine Ansicht schon mitgeteilt.“

„Mr. Whitemore hat das allerdings gethan, aber gewissermaßen nur provisorisch, ich habe in letzter Instanz doch auf eine Erklärung aus Baroneß Hofmanns eigenem Munde gewartet.“

„Ganz gewiß. Dazu waren Sie berechtigt. Sie sind der spezielle Vorgesetzte meines – meines Verwandten; da erledigt sich die Sache am besten zwischen Ihnen und mir. Sie halten ihn für keinen tüchtigen Beamten?“

„Da Baroneß mich offen fragen, fühle ich mich veranlaßt, ebenso aufrichtig zu antworten. Nun denn – – nein! Der betreffende Herr ist für den Posten eines Buchhalters, den er bekleidet, so ungeeignet wie nur möglich. Er ist nachlässig und unzuverlässig, er giebt sich mit hundert Nebendingen ab –“

„Was sind dies für Nebendinge, wenn ich fragen darf?“

„Er macht Musik bis in die halbe Nacht hinein, er unternimmt stundenlange Ausflüge auf seinem Zweirad in die Umgegend, er begehrt oft Urlaub, um zu Konzerten, zu Musikfesten zu fahren, er besucht die Arbeiterfamilien, angeblich, um soziale Studien zu betreiben –“

„Angeblich? Halten Sie ihn nicht für wahrheitsliebend?“

„Ich möchte mir darüber kein Urteil erlauben – oder doch nur ein bedingtes! Der Herr ist alles andere eher als ein Geschäftsmann – ich halte dafür, daß er durch und durch Phantast ist, der sich mit utopischen Ideen trägt und darüber das Nächstliegende versäumt. Daß solche Naturen es mit der Wahrheit nicht allzu genau nehmen, pflegt nur zu häufig vorzukommen.“

„Sie meinen, sein Beruf wäre ihm unsympathisch –“

„Ohne allen Zweifel!“

„Wer weiß, durch welche Verkettung von Umständen er dazu gezwungen worden ist! Kennen Sie sein Vorleben, die Verhältnisse, aus denen er hervorgegangen ist?“

„Nein, Baroneß! Ich trage auch kein Verlangen danach!“

„Das wäre aber wichtig, um diese anscheinende Nachlässigkeit – Unzuverlässigkeit – dies Abschweifen zu andern Dingen, die ihn seinen geschäftlichen Pflichten entfremden, gerecht zu beurteilen. Vielleicht – hat man ihm den Beruf aufgezwungen –“

„Möglich! Jedenfalls füllt er ihn nicht annähernd aus! Wenn Leute von solcher offenbaren Unfähigkeit, die auch nicht einmal ein Hehl daraus machen, sondern noch eine Art Trumpf darein setzen, offenkundig mit dieser Unfähigkeit zu prahlen, längere Zeit hindurch einen Posten von immerhin nicht ganz geringer Verantwortlichkeit bekleiden dürfen, so schädigen sie den Betrieb, bei welchem sie angestellt sind, geben ihrer Umgebung ein schlechtes Beispiel und müssen entfernt werden.“

„Ich muß mich wundern, Herr Ingenieur, daß Sie alles dies nicht längst meinem Vater gesagt haben.“

„Diesen Vorwurf hab’ ich erwartet, Baroneß – aber nicht verdient! Wenn ich offen sprechen darf –“

„Darum bitte ich!“

„Ihr Herr Vater, Baroneß, war ein geradezu genialer Geschäftsmann – überall zu Hause, in allen Sätteln gerecht und begabt mit einem Ueberblick, der ihn zum Leiter eines so kolossalen Unternehmens berufen machte. Eben weil aber dies Unternehmen unter seiner geschickten und glücklichen Hand wuchs und wuchs, konnte es ihm nicht mehr möglich sein, jeden einzelnen Beamten zu überwachen und in seinen Leistungen genügend zu beurteilen. Ihm dies zu sagen, wäre eine schwierige, bedenkliche Sache gewesen.“

„Mr. Whitemore gegenüber haben Sie geäußert, die Rücksicht auf das verwandtschaftliche Verhältnis Herrn Hagedorns zu meinem Vater hätte Ihnen, dem letzteren gegenüber, Schweigen auferlegt.“

„Das ist richtig. Ich habe es für angezeigt gehalten, Baroneß, Mr. Whitemore gegenüber die volle Wahrheit zu sagen.“

„Und ist es wahr,“ fuhr sie fort, „daß Sie Herrn Hagedorn ohne weiteres, aus eigener Machtvollkommenheit, jetzt, nach dem Tode meines Vaters, die Stellung kündigten?“

„Baroneß – wenn ich Sie dadurch beleidigt haben sollte –“

Alix zog die Brauen hoch, und um ihre schöngeschwungenen, vollen Lippen bildete sich der hochmütige Zug, der sie nach Professor Laurentius’ scherzhafter Aeußerung der Diana von Versailles so ähnlich sehen ließ.

„Ich bitte, Herr Ingenieur!“ sagte sie abweisend.

Harnack atmete mühsam und fuhr mit gepreßter Stimme fort: „Ich glaubte, nach dem Ableben meines Prinzipals befugt zu sein, einem nachlässigen Beamten eine Warnung zu erteilen, an die sich die Drohung schloß, seiner Thätigkeit würde, falls er sich nicht änderte, in Josephsthal bald ein Ziel gesetzt sein!“

„Worauf Sie ihm sofort einen Teil dieser Thätigkeit aus der Hand nahmen!“

„Wer hat dies zu Ihrer Kenntnis gebracht, meine Gnädigste?“

„Herr Hagedorn selbst!“

„Ah! Er hat mich bei Ihnen angeklagt?“

„Sie müssen ihn in der That sehr wenig kennen, wenn Sie ihm derartiges zutrauen. Er hat nicht einmal mir gegenüber Ihren Namen genannt! Ich habe ihn ausgefragt, und auf meine ausdrückliche Aufforderung hat er mir geantwortet!“

„Jedenfalls also,“ sagte der Ingenieur und stand auf, „habe ich des gnädigen Fräuleins Entschließungen in dieser Angelegenheit abzuwarten.“

„Ja, wenn ich bitten darf!“ Alix erhob sich ebenfalls. „Ich kann und ich will einen Verwandten unseres Hauses nicht eher aus seiner Stellung entlassen, als bis sich für diese Maßregel dringende Gründe ergeben, die auch meiner eigenen Beurteilung zugänglich sind.“ Diesmal reichte sie ihm nicht die Hand. Mit einer leichten Neigung ihres stolzen Köpfchens entließ sie ihn.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0583.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2022)