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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Verfassung brachte. Ohne Störungen, zum Teil recht schwerer Natur, ging es jedoch auch in der Folgezeit nicht ab. Im Sommer 1893 war der Fürst so krank, daß man das Schlimmste zu fürchten begann; aber noch einmal brach seine starke Natur sich Bahn durch alle Schmerzen, und der beinahe Achtzigjährige faßte neuen Lebensmut und neue Lebenskraft.

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Fürst Bismarck im Jahre 1891.
Nach einer Photographie im Verlag von Strumper & Co. in Hamburg.

Erst der am 27. November 1894 in Varzin erfolgende Tod seiner innig geliebten Frau, die sich ihm in den Jahren nach seinem Rücktritt in ihrer ganzen Charakterstärke als treueste Gesinnungsgenossin bewährte, ließ in ihm selbst eine Sehnsucht nach dem Tode aufkommen, welche von Jahr zu Jahr zunahm. Er begann sich immer einsamer zu fühlen in dieser Welt. Immer seltener ergriff er das Wort, um seinen Rat geltend zu machen für die weitere Schicksalsgestaltung des Vaterlandes; immer häufiger wurden die Nachrichten aus Friedrichsruh von einem erschreckenden Rückgang im Gesundheitszustand des „Einsiedlers im Sachsenwald“. Sie beruhten auf Wahrheit. Und als im Oktober vorigen Jahres sich Ohnmachtsanfälle von anhaltender Natur einstellten, da wuchs in dem Kreise der Eingeweihten die bange Ahnung des nahenden Endes. Der letzte Anfall hatte die ganze Familie, die auf das Schlimmste gefaßt war, um ihn versammelt. Aber noch einmal gelang es den Bemühungen Schweningers, die Sorgen zu verscheuchen; Donnerstag, den 28. Juli, war eine Besserung eingetreten, welche dem Fürsten erlaubte, bei Tisch zu erscheinen. Lebhaft und gut gelaunt, nahm er an der Unterhaltung teil, und nach der Mahlzeit griff er nach langer Zeit wieder zur Pfeife. Als er dann am Abend ernstlich gemahnt wurde, sich niederzulegen, antwortete er im Scherze: „Mein Gott, soll ich schon schlafen gehen?“ Die Familie und Schweninger hielten schon aufatmend auch diesen Anfall für gebrochen und der letztere glaubte daher, dem Ruf zu einem Patienten in Sachsen folgen zu können. Doch in seiner Abwesenheit trat plötzlich eine starke Verschlimmerung ein. Die besorgte Familie rief telegraphisch den abwesenden Arzt dringend zurück. Aber als er am Sonnabend, dem 30. Juli, in später Abendstunde in Friedrichsruh wieder eintraf, hatte der Leidende beinahe den schweren Todeskampf überstanden.

Fürst Bismarck starb umgeben von den Seinen. Als seine Tochter bei einem der letzten Anfälle der ihn bedrückenden Atemnot seine Stirn trocknete, sagte er leise: „Danke, mein Kind“ – dies waren seine letzten Worte. Es war nahezu elf Uhr, als er entschlief. Schweninger, der ihm noch die Atmungsbeschwerden hatte lindern können, konstatierte erschüttert den Tod. Der Fürst lag, wie er zu schlafen pflegte, leicht mit dem Kopf nach links geneigt. Der Gesichtsausdruck war friedlich und mild. Kindesliebe gab dem Toten eine weiße Rose in die Hand, wie er eine solche an sich genommen hatte aus der Fülle des Blumenflors, der nach dem Hingange seiner Frau deren Sarg geschmückt hatte.



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Der Blinde von Dausenau.

Novelle von Paul Heyse.


Vor etlichen Jahren hatte mir mein Arzt, um mir die Nachwehen einer hartnäckigen Influenza vom Halse zu schaffen, eine Kur in Ems verordnet.

Nur mit Widerstreben hatte ich mich in die Verbannung schicken lassen, obwohl der berühmte Kurort, als ich früher einmal bei einer Fahrt durch das waldige Lahnthal an ihm vorüberkam, mit den blanken Häusern und zierlichen Kirchtürmen zwischen schattigen Parkanlagen mich sehr einladend angelacht hatte. Aber Badeorte, mögen sie noch so anmutig gelegen sein, haben für meine Vorstellung immer etwas Unheimliches, nicht so sehr der Kranken wegen, die dort auf Schritt und Tritt an das vielfache Elend der armen Menschheit erinnern, – tragen doch die meisten den Schimmer der Hoffnung auf dem Gesicht, der selbst die blässesten Leidensmienen verklärt –; die gesunde einheimische Bevölkerung erregt mein Mißbehagen, da ich in all den guten Bürgern nur Gastwirte, Kellner und Hausknechte zu sehen glaube, die außer der „Saison“ keinen eigentlichen Lebenszweck haben. Scheinen sie doch in der That, sobald der letzte Kurgast abgezogen ist, in eine Art Winterschlaf zu versinken und sich in ihre Häuser zurückzuziehen, wie Spinnen, wenn der Herbstregen die letzte Fliege weggeschwemmt hat, verdrossen in ein warmes kleines Loch kriechen, dort die Langeweile der nahrungslosen Wintermonate zu verträumen. Erst die neue Frühlingssonne lockt sie aus ihren Verstecken wieder hervor. Die Hausbesitzer der Badeorte öffnen die Fenster ihrer möblierten Zimmer, sonnen die Betten, waschen die Vorhänge und fegen den Winterstaub aus allen Winkeln und Gängen, wie die betriebsamen Spinnen sich eifrig daran machen, neue zierliche Netze zu weben.

Ich weiß zwar, dies ist eine übertriebene Vorstellung. Auch in Badeorten verkürzt man sich während der geschäftslosen Jahreshälfte die Zeit mit allerlei Lustbarkeiten, so gut wie andere Kleinstädter, vielleicht nur noch besser, da man aus den Wassern der Quellnymphe hinlängliches Gold dazu gewaschen hat. Immerhin erscheinen die Straßen verödet, an vielen Fenstern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0593.jpg&oldid=- (Version vom 16.6.2022)