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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Ach, unk nicht, ’s ist wirklich nicht schön anzuhören! Lieber erzähl’ mir was von hier, von deinem Leben! Was macht dein Freund Hagedorn?“

Der Ingenieur zuckte die Achseln und machte finstere Augen. „Warum fragst du nach dem?“

„Nun – weil du mir von ihm damals in Hamburg erzählt hast, ihn deinen Dorn im Auge nanntest. Ist er noch hier? Aber er geht jetzt natürlich, nicht wahr?“

„Nein! Er bleibt!“

„Was der Teufel! Bleibt hier? Protegiert ihn wohl gar der englische Neffe, der hier jetzt am Ruder ist?“

„Er bleibt!“ wiederholte der Ingenieur als einzige Antwort.

„Na, also dann gehst du?“

„Nein, ich bleibe ebenfalls!“

„Bleibst ebenfalls?“ Reinhold goß sich den Rest aus der Sherryflasche in sein Glas und leerte es bedächtig. „Versteh’ ich nicht! Ist mir zu hoch! Redest wie ’ne Sphinx. Na, mußt ja wissen, warum du’s thust!“

„Du, du meintest wohl,“ begann der Aeltere zögernd, „wenn ich auch ginge, könnten wir beide, ich und du, es wieder mal zusammen an einem Etablissement versuchen? Oder – oder – Herr von Hofmann hätte dich allerdings nie hierher genommen – er wußte vieles von dir und leider nichts Vorteilhaftes! – aber jetzt, da er tot ist – – vielleicht, wenn ich mit Mr. Whitemore, vor allem mit …. mit …. ich meine, wenn ich für dich redete …. vielleicht, daß du jetzt hier, in der Kolonie Josephsthal, eine passende Stellung finden könntest!“

„Hier? – Ich? – Bist du verrückt?“

Das kam mit einer so unmotivierten Heftigkeit, mit einem so unverhohlenen Ausdruck des Entsetzens heraus, daß Wilhelm Harnack erschrak. Sein Bruder war aufgesprungen, hatte ihm die Frage gleichsam ins Gesicht geschleudert und blitzte ihn aus so verstörten Augen an, als sei ihm eine tödliche Beleidigung mit dieser Zumutung angethan worden. Auch der Aeltere hatte sich unwillkürlich erhoben, der leidenschaftliche Ausbruch seines Bruders war ihm unverständlich, bis ihn der Gedanke einigermaßen beruhigte, daß die große Menge des starken Weines jetzt doch ihre Wirkung übe und den jungen Menschen momentan unzurechnungsfähig mache.

„Wie kannst du so aufgeregt sein?“ sagte er beschwichtigend. „Ich meinte ja nur, wenn du dich um eine neue Stellung – du mußt doch irgend eine Beschäftigung –“

„Und ich sag’ dir, ich huste auf Stellen und Beschäftigung!“ Reinhold sprach immer noch in erregtem Ton. „Hab’ ich gar nicht nötig! Geld wie Heu! Brauch’ mich von keinem hochnäsigen Chef herumkommandieren zu lassen, um mich bei den verflixten Maschinen und Experimenten halb blödsinnig zu tüfteln. Hol’ alles der Henker! Sei du meinetwegen glücklich bei deinem Amtseifer und werde selbst zur Maschine …. ich thu’ nicht mehr mit! Ich hatte gehofft, ich würde dich loseisen können hier von deiner gepriesenen Kolonie Josephsthal –“

„Loseisen? Du – mich? Und warum?“

„Weil sich hier alles jetzt geändert hat – weil – oder fesselt dich blöden Schäfer etwa gar die ‚schöne Müllerin‘?“

„Von wem sprichst du?“

„Das weißt du doch alleine, also warum das Gefrage? Sie haben sie hier in der Gegend so getauft und nennen sie allesamt mit dem Namen, weil sie doch ihre fünf, sechs Mühlen geerbt hat.“ Er zog die zweite Flasche zu sich heran und goß sich ein. „Nun – also, mir kann’s recht sein – wenn sie so schön ist – – ihr Wohl!“

„Halt, halt – Reinhold! Sieh zu, was du thust! Das ist reiner Arrak!“

„Ach, mach’ doch keine Geschichten! Auch der thut mir nichts mehr! Das lernt sich alles, wenn man –“

Er vollendete nicht, trank ein paar tüchtige Züge und schüttelte sich.

„Scharf, aber thut doch gut! Ist dir wohl neu an mir, daß ich so viel vertragen kann? ,Es wächst der Mensch mit seinen höhern Zwecken!‘ Und vor allen Dingen werd’ ich dir etwas sagen, weiser Will –“ Reinhold knöpfte sich den Rock auf und fuhr sich mit dem Zeigefinger hinter den Hemdkragen, als würde es ihm zu warm im Zimmer – „merk dir’s: das waren kluge Leute, die den Wein und was zu der Sorte gehört, Sorgenbrecher nannten. Nämlich, das ist er wirklich! Kein probateres Mittel auf der Welt, um alle Quälereien hinter sich zu werfen!“

„Hast du denn so besonders viel Sorgen und Quälereien?“ fragte der Ingenieur und sah aufmerksam in das Gesicht seines Bruders, das sich lebhaft zu röten und oben an den Haarwurzeln kleine Perltröpfchen zu zeigen begann.

„Na, welcher Mensch hat die denn nicht? Bloß immer auf Rosen und Vergißmeinnicht durchs Leben zu tanzen, das ist doch am Ende nur wenigen beschieden. Und wenn man ein paar Flaschen von dem Sorgenbrecher im Leib hat – siehst du, dann kann man auch schlafen, fest und ungestört, und das will gleichfalls was heißen!“

„Seit wann schläfst du denn schlecht? Du mit deinen vierundzwanzig Jahren? Als wir zusammen drüben im Westfälischen waren, da hab’ ich dich des Morgens kaum aus dem Bett bekommen, hab’ dich mit Wasser anspritzen müssen! Und abends bist du mir oft mitten im Reden eingeschlafen. Ich bin so viel älter als du, aber wenn ich mich tagüber müde gearbeitet habe, dann fallen mir schon um Zehn, halb Elf die Augen zu –“

„Ja, ja, Prediger in der Wüste! Müde gearbeitet! Natürlich! Gilt wieder mir und meinem Nichtsthun! Triefst ja förmlich von Lebensweisheit! Aber die Zeiten ändern sich eben und mit ihnen die Menschen! Auch ich hab’ mich geändert –“

„Nicht zu deinem Vorteil, Hold, laß mich’s dir ehrlich sagen! So wie jetzt hab’ ich dich doch noch nie – – du trinkst jetzt nicht mehr. Reinhold, keinen Tropfen, sag’ ich dir! Gieb die Flasche her!“

Mit einem wüsten Lachen verbarg der Jüngere die Flasche hinter seinem Rücken.

„Glaubst wohl, ich lief’ wieder als zweijähriges Baby mit ’m weißen Kinderschürzchen herum, und der große Bruder Will wäre von den Eltern dazu gesetzt, mich zu bemuttern? Nichts da, Freundchen! Das Holdchen geht jetzt seine eigenen Wege, und kuriose Augen würdest du machen, wenn du zuschauen könntest, wie die manchmal aussehen!“

Er setzte statt des Glases die noch halbvolle Flasche an den Mund und trank. Wilhelm stürzte auf ihn zu und suchte ihm die Flasche zu entwinden. Er hatte starke, geschickte Hände und einen eisernen Griff. Mit einem halb unterdrückten Fluch ließ Reinhold endlich los, die Flasche zerbrach, stürzte zu Boden, und der scharfe Geruch des starken Arraks verbreitete sich rasch im Zimmer.

„Tölpel, der du bist! Was haben wir jetzt davon?“

„Besser noch so, als du hättest das Zeug in dich hineingegossen!“ entgegnete Wilhelm finster. „Hab’ ich dir mit der Flasche die Hand verletzt?“

„Pah, eine kleine Schramme! Nicht der Rede wert!“

„Gieb acht, daß nichts hineinkommt. Laß mich ein reines Tuch herumbinden!“

„Dummes Zeug!“ Der junge Mann riß einen feinen, hellseidenen Foulard aus seiner Brusttasche und wickelte ihn rasch um die Linke, deren innere Fläche einen blutenden Riß zeigte.

„Sei nicht eigensinnig, Hold!“ bat der Ingenieur jetzt in aufrichtiger Besorgnis. „Laß mich die Wunde wenigstens ansehen. Aus solchen anscheinenden Kleinigkeiten kann so leicht etwas Schlimmes entstehen. Wenn du etwas kaltes Wasser –“

„Hörst du nicht auf der Stelle mit dem Gefasel auf, so geh’ ich im Augenblick! Möchtest mir wohl gleich den berühmten Chirurgen der Kolonie Josephsthal herholen, damit er sein Kunststück an mir macht?“

„Doktor Petri ist ein tüchtiger Arzt, über den niemand zu spotten hat!“ sagte Harnack ernsthaft. „Wenn er den Baron Hofmann nicht hat retten können, so ist’s wahrhaftig nicht seine Schuld gewesen. Es war eben ein hoffnungsloser Fall!“

„Du – – du hast den Baron noch gesehen?“ fragte der jüngere Bruder stockend und halb widerwillig, die Augen beharrlich auf das seidene Tuch, das seine linke Hand umschloß, geheftet.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0618.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)