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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

weiteren Vorträgen ließ er sich, trotz stürmischen Beifalls, nicht herbei. Wie er spielte? Es läßt sich nicht schildern, und nur zwei Empfindungen waren es, die mir nachträglich kamen: die erste war die, daß ich seine Abneigung gegen den ihm vom Schicksal aufgezwungenen Beruf ganz begriff, die zweite war der brennende Wunsch, die ganze übrige Gesellschaft, alle, ja alle ohne Ausnahme, vor die Thür zu setzen, um dies einzig geartete Spiel voll auf mich wirken und ungestört in mir ausklingen lassen zu können. ,Sehr gastfrei und human,‘ wirst Du sagen, aber daran dachte ich natürlich in dem Augenblick nicht!

Ich hätte eben von drei Wirkungen sprechen müssen, die dies Spiel auf mich ausübte – die dritte war jedenfalls die folgenschwerste. Sie brachte mich zu dem schon seit längerer Zeit in mir schlummernden, jetzt aber feste Gestalt annehmenden Entschluß, ihm, der so schwer gekämpft und gelitten hat, der täglich noch kämpft und leidet, helfen, thatkräftig helfen zu wollen. Ich habe Dir Raimunds Lebensgeschichte in flüchtigen Umrissen skizziert, man muß ihn aber selbst kennen und sprechen – – – man muß ihn vor allen Dingen spielen hören, um ihn ganz zu verstehen. Ich kann nicht vor ihn hintreten und ihm sagen: „Ich will für Deinen alten Vater sorgen, bis Du selbständig bist in Deiner Kunst, und ich will Dir die Mittel geben, daß Du dies Ziel erreichst!“ – Er würde das nie annehmen, kaum von seinem besten Freund, geschweige denn von einer Dame.

Daher muß ich versuchen, ein wenig Schicksal zu spielen: ich habe einen Plan, eine Idee – weiß noch nicht, ob sie sich realisieren läßt; ich sende aber diesen Brief an Dich nicht früher ab, als bis ich Dir über irgend ein wenn auch noch so geringfügiges Resultat, und wäre es das erste kleine Glied einer langen Kette, berichten kann.

Von Vetter Cecil und von Oberingenieur Harnack soll ich Dir auch mehr erzählen! Gute Seele, seit wann bist Du denn dem Wahn verfallen, es müßten sich alle Männer in mich verlieben? Das war doch früher in Frankfurt nicht, im Gegenteil, Du hast dort für notwendig gehalten, mich sehr oft vor Einbildungen zu warnen, und gebeten, mich nicht beständig als Prinzeß Turandot zu fühlen. Du denkst wohl, weil hier kein junges weibliches Wesen ist, das weiter in Betracht kommen könnte, müßte mir die allgemeine Verehrung zu Füßen gelegt werden! Bitte sehr, Frau Maria! Kolonie Josephsthal hat weibliche Wesen aufzuweisen, noch dazu junge und hübsche, die sich recht gut neben Deiner ,Aeltesten‘ sehen lassen können! Scherz beiseite, ein paar von den Direktoren haben Töchter, die wohl einem Mann gefallen mögen, und wenn also Vetter Cecil und Herr Harnack wollten –

Uebrigens, mit Vetter Cecil hat’s keine Gefahr! Der will entschieden nicht, weder mich, noch sonst irgend ein hiesiges Mädchen. Hat er sein Herz in England gelassen, oder hat er überhaupt keines, das sanfteren Regungen zugänglich wäre …. hundert Jahre könnten wir zusammen leben (Gott bewahre uns beide davor!), ohne daß unsere Herzen auch nur einen wärmeren Schlag thäten!

Aber ich will nicht undankbar sein! Der gute Cecil steht trefflich der Kolonie Josephsthal vor – was finge ich an ohne ihn? Wie er sich zu den Arbeitern stellt, das bekomme ich nicht heraus – er spricht nicht darüber, und auch die Beamten sind vorsichtig in ihrem Urteil; ich mag sie auch nicht geradezu ausforschen. Daß unsere Leute in der Kolonie Josephsthal nicht schlecht gestellt sind, daß sie, bei vernünftigem Lebenswandel und wenn das Unglück sie verschont, bestehen können mit dem, was sie verdienen, das, Liebste, hab’ ich einsehen gelernt, und es ist mir, wie Du Dir sagen wirst, ein großer Trost. Für schlimme Ausnahmefälle muß freilich noch besser vorgesorgt werden, und das soll geschehen!

Reg’ Dich nicht auf und ängstige Dich nicht, Maria, wegen des anonymen Briefes – ich wollte, ich hätt’ Dir nichts davon geschrieben, aber Du weißt, ich kann Dir nichts verschweigen. Nein, ich habe kein weiteres derartiges Schreiben mehr bekommen! Ob mich der Inhalt des damaligen Briefes nicht verstört und nervös gemacht hat, willst Du wissen? Gar nicht, Liebste! Oder doch nur in der ersten halben Stunde. Kalt’ Blut und seinem Stern vertrauen, ist meine Devise. Du kannst deshalb ruhig sein – ich bin nicht tollkühn, nicht einmal leichtsinnig; ich reite oder fahre nie mehr allein aus, und selbst auf meinen Wanderungen durch den Park begleitet mich ein großer schottischer Wolfshund, den Vetter Hagedorn in meinem Auftrag für mich hat kommen lassen; er heißt ,Rebell‘, macht aber, wenigstens mir gegenüber, seinem Namen keine Ehre, sondern hat sich wunderbar rasch an mich gewöhnt. Ich bin ganz gern mit Rebell allein. Oft überkommt mich jetzt etwas, das ich in Frankfurt eigentlich nie gekannt habe: das Lebensgefühl möchte ich es nennen, aber so erhöht und so gesteigert, daß es deutlich ins Bewußtsein tritt. Die Empfindung, jung und gesund und thatkräftig zu sein, giebt mir ein schwellendes Kraftgefühl, stolz und dankbar zugleich. Ich nehme es nicht hin, wie etwas, das sein muß, worauf ich Anspruch habe, im Gegenteil, ich sehe eine Bevorzugung darin! In Frankfurt bin ich doch auch jung und gesund gewesen, aber ich habe es nicht so intensiv empfunden wie hier, trotz alles Schweren und Traurigen, das ich kürzlich erlebt. Es muß das Landleben sein, der innige Zusammenhang mit der Natur, den ich bisher nie erfahren habe, und nun dieser – dieser einzig schöne Frühling!

Wenn ich mit Cecil rechne oder ihm meine Aufgaben vorlese, wie blick’ ich dann sehnsüchtig über sein wohlzugestutztes Engländerhaupt hinüber durchs geöffnete Fenster in meinen geliebten Park, dessen frisch ergrünte Wipfel mir wie mit Händen zu winken scheinen! Er ahnt nichts von solchen Gedanken, der vortreffliche Vetter, und wenn er es thäte, würde er sie für ,deutsch durch und durch‘ halten. Daß er einen ähnlichen Hinweis auf seine und meine Person im Nachlaß meines Vaters gefunden hat, wie ich ihn fand, davon bin ich überzeugt. Wenn wir gelegentlich unter vier Augen sind – es geschieht fast nie, denn bei den Unterrichtskursen ist jetzt auch immer Frau von Sperber, die etwas profitieren möchte, dabei! – merke ich manchmal, daß er mit dem Entschluß ringt, mir irgend etwas zu sagen, was ihm peinlich ist und schwer fällt. Daß aber dies ,Etwas‘ keine Liebeserklärung ist, dafür lege ich getrost meine Hand ins Feuer!

Anders und viel bedenklicher steht es freilich mit dem andern, nach dem Du Dich so teilnehmend erkundigst – mit Harnack! Ich habe einen durch vielfache Erfahrung geschärften Blick in gewisser Beziehung, und so wußte – fühlte ich es in den ersten fünf Minuten unseres Beisammenseins: hier ist eine Leidenschaft für Dich vorhanden! Sie ist seitdem gewachsen und nimmt zuweilen eine besorgniserregende Gestalt an. Der Mensch ist wie ein Vulkan, dessen Glut mit äußerster Gewalt niedergehalten wird. Ich schrieb Dir, daß er und Vetter Hagedorn sich, solange sie geschäftlich miteinander in unvermeidliche Berührung kamen, beständig rieben und reizten, daß Harnack sehr eigenmächtig vorgegangen war. Ich schrieb Dir auch, daß ich meine Mißbilligung seiner Handlungsweise ihm gegenüber nicht zurückhielt und daß ihm, bei seinem raschen, heißen Temperament und seinem stark entwickelten Selbstbewußtsein, die Kündigung schon auf den Lippen schwebte … und er sie dennoch nicht aussprach, weil ich es ihm angethan habe und er keine Trennung von mir ertragen würde. Ich sah das alles – mußte es sehen, und kann nicht umhin, den Mann, der mir von allen Seiten so gerühmt wird, der sich und seine ungewöhnliche Intelligenz und Tüchtigkeit so ganz in meine Dienste stellt und mir Vorteile und Ansehen mehren hilft, zu bedauern. Aber mehr nicht, Maria! Von Mensch zum Menschen spricht nichts bei mir für ihn, ich fühle mich immer unbehaglich in Harnacks Nähe, und – ich kann es nicht ändern – diese dunklen Augen, die oft mit einem so unverhohlen begehrlichen Ausdruck auf mir ruhen, beleidigen mich geradezu. – – –

Die zwei feindlichen Mächte, Raimund Hagedorn und der Oberingenieur, sind jetzt räumlich und auch sonst getrennt, ein Zusammenstoß mithin ausgeschlossen, und bei meiner Abendgesellschaft grüßten sie einander, als gebildete Männer, die sie sind, mit kalter Höflichkeit, um sich weiterhin konsequent zu meiden … dennoch merkte ich, wie Harnack unausgesetzt den Beobachter spielte, und namentlich, als Raimund am Flügel saß, fing ich einen Blick auf, der mich innerlich erzittern ließ! Ich bin sehr auf meiner Hut in meinem Benehmen, dem Ingenieur gegenüber, immer höflich und von gleichmäßiger Freundlichkeit, nie eine Spanne darüber; er wäre ein Narr, wenn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0668.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2023)