Seite:Die Gartenlaube (1898) 0687.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

gerundeten Werkzeuge. Die breiten Einschnitte haben genau die Form von Schneiden, wie man sie an vorgeschichtlichen Bronzeäxten findet; man ist daher geneigt, die Höhlen der vorgeschichtlichen Bronzezeit zuzuschreiben. In einem mährischen Höhlenbau fand man einen Steinhammer, ein als Spitzhacke zugerichtetes Hirschgeweih und eine hölzerne Schaufel, also Funde, die auf eine noch ältere Zeit hindeuten, auf die sogenannte Steinzeit, in welcher die Metalle noch unbekannt waren.

Als Wohnungen haben die Höhlen offenbar nicht gedient, denn in keiner derselben fand man Spuren, die auf ehemalige Bewohner schließen lassen. Der Fußboden war stets sehr sauber, nirgends fand man Speiseüberreste und dergleichen, so daß man nicht einmal an eine vorübergehende Wohnstätte in Zeiten der Gefahr mit Bestimmtheit glauben kann. Als Wohnungen waren die kleinen, engen Kammern überhaupt ganz ungeeignet, weil sich beim längeren Aufenthalt mehrerer Personen in denselben die Luft bald so verschlechtern mußte, daß der Aufenthalt gesundheitsschädlich wurde. Ueberdies gewährten die Höhlen auch keinen sicheren Schutz. Denn die engen Gänge, welche die Verfolger abhielten, wurden natürlich für die Eingeschlossenen gleich gefährlich, sobald diese durch Nahrungsmangel oder durch eine Kriegslist der Belagerer gezwungen wurden, die Höhlen zu verlassen. Letztere konnten z. B. Wasser in die Luftlöcher gießen oder Rauch in die Höhlen verbreiten und dadurch die Darinbefindlichen zum Verlassen ihrer Zufluchtsstätte zwingen.

Viel wahrscheinlicher ist die Annahme, daß die Höhlenlabyrinthe Kultuszwecken dienten. Man führt zur Begründung dieser Ansicht an, daß die kleinen Nischen als Fackel- und Lichthalter, die großen dagegen zum Einstellen von Urnen gedient haben mögen. In der Decke vieler Gänge befinden sich enge röhrenartige Luftlöcher. Mitunter gehen diese Löcher auch von tiefen, in Mannshöhe angebrachten Nischen aus. Einige Forscher wollen in diesen Luftlöchern eine Art von Sprachrohr erkennen. Stellte sich ein Mann in die Nische und redete in das Sprachrohr, so wurde seine Stimme an der Oberfläche gehört; auf diese Weise sollen altheidnische Priester dem versammelten Volke ihre Orakelsprüche aus der geheimnisvollen Tiefe der Erde verkündet haben. Das sind jedoch ungenügend bewiesene Annahmen. Würde man in den Höhlenlabyrinthen Urnen oder Skelette finden, so könnte man sie mit Gewißheit für Grabstätten erklären. Man fand jedoch weder diese noch andere Spuren eines ehemaligen Gebrauches, nichts erinnert an das Vorhandensein von Menschen als nur der Rauch, der sich oberhalb der Lichtnischen an der Decke vieler Kammern befindet. Dieser Rauch rührt offenbar von Fackeln oder Lichtern her, die zur Erleuchtung der unterirdischen Räume dienten. Was jedoch die Menschen beim Licht ihrer Fackeln hier vornahmen, ob gute oder böse, ob religiöse oder weltliche Handlungen, das wird wahrscheinlich niemals vollständig aufgeklärt werden.


Schloß Josephsthal.
Roman von Marie Bernhard.

 (7. Fortsetzung.)


16.

Nun, Herr Hagedorn,“ brach der Rechtsanwalt nach längerer Zeit das Schweigen und sah seinen jungen in sich gekehrten Begleiter aufmerksam von der Seite an, „Sie haben mir etwas mitzuteilen?“

Hagedorn biß sich in die Lippe und atmete schwer. „Allerdings, das hätte ich wohl!“ sagte er gedrückt.

„Also, bitte! Was ist es?“

Der junge Mann blickte über seine Schulter zurück. Das stolze, hochragende Gitterthor des Parkes lag bereits ein ganzes Stück hinter ihnen. Da der Rechtsanwalt den Weg zur Walzmühle einschlug, so mußten sie die Lindenallee kreuzen und kamen alsbald auf freies Terrain, eine Art Feldweg, der sich zwischen niedrigen Hügeln und Weizenbreiten hinwand. Zur Walzmühle war es noch etwa zwanzig Minuten zu gehen, man gewahrte sie von hier aus noch nicht, da sie mehr im Thal lag und mehrere Wegkrümmungen sich dazwischen schoben.

„Sind Sie, Herr Justizrat,“ begann Raimund stockend, „der – der Mordaffaire irgendwie nähergekommen?“

„N – – ein,“ erwiderte der Gefragte in gedehntem Ton, zugleich mit einer Miene, als bereite ihm die Frage Verlegenheit. „Das heißt, wir glaubten bereits vor einiger Zeit, eine Spur gefunden zu haben, aber das war leider ein Irrtum. Eine außerordentlich unfruchtbare Geschichte für mich, wie für meine Herren Kollegen! So sehr wir alle wünschten, in der Sache weiter zu kommen …. wie die Dinge liegen, ist verzweifelt wenig Aussicht dazu!“

„Und Sie können mir nicht andeuten,“ fragte Hagedorn, „welcher Art die Spur war, die Sie gefunden zu haben meinten?“

„Nein,“ erwiderte Ueberweg ernst, „das kann ich nicht wohl, da es eben nichts als eine Hypothese war, die ebensogut richtig wie falsch sein konnte. Sie jetzt nachträglich aussprechen, das hieße, einen vielleicht ganz unschuldigen Menschen verdächtigen, einen Menschen noch dazu, dessen Aufenthalt zur Zeit nicht hat ermittelt werden können, den man also gar nicht auf die Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit dieses Verdachtes hin zu prüfen imstande war.“

„Und meinen Sie nun, Herr Justizrat,“ begann Hagedorn, nach einer Pause von neuem, „daß es die Pflicht eines Menschen ist, der zufällig ein Verdachtsmoment erfaßt hat, dieses der Justiz zu unterbreiten, auch wenn es kein Beweis genannt werden darf?“

„Ohne Zweifel hat der Betreffende diese Pflicht!“ Der Rechtsanwalt sprach sehr nachdrücklich und ruhig; er holte zugleich seine Cigarrentasche hervor und brannte sich eine Cigarre an, ein Verfahren, das sich seine näheren Bekannten sofort zu deuten gewußt hätten: er behauptete, bei der Cigarre besser zuhören und schärfer denken zu können.

Raimund beachtete das nicht, er lockerte mit der Rechten seinen Halskragen, wie wenn ihm derselbe plötzlich zu eng würde.

„Und doch weigerten Sie sich zuvor, dasselbe zu thun,“ sagte er endlich mit Anstrengung. „Sie meinten, es sei Ihnen unmöglich, einen vielleicht ganz unschuldigen Menschen zu verdächtigen.“

„So meine ich auch jetzt noch, ich muß dabei bleiben. Und wären Sie nicht in sichtlicher Erregung, Herr Hagedorn, so entginge Ihnen wohl nicht der gewaltige Unterschied in der Lage der Dinge: der Jurist hat andere Verpflichtungen als der Privatmann, welcher jedes Verdachtsmoment dem Juristen mitteilen soll, als Material, das die Justiz sich möglicherweise zunutze machen kann! Die Verantwortung des Juristen ist hundertmal größer als die des Privatmanns!“

„Sie haben recht!“ stieß Raimund abgebrochen hervor. „Wenn Sie aber wüßten, was der Entschluß mich kostet – bei meiner ganzen Naturanlage – und ich habe noch nie etwas Aehnliches in meinem Leben gethan! Es – sieht einer – Denunziation so verzweifelt ähnlich!“

Beschwichtigend legte ihm der Rechtsanwalt die Hand auf den Arm.

„Wohl kann ich mich in Ihre Lage versetzen – Sie kommen sich wie ein Angeber vor. Aber indem Sie der Justiz helfen, einen Schuldigen zu ergreifen, erweisen Sie nicht nur ihr, erweisen Sie gewissermaßen der ganzen Menschheit einen Dienst, denn sie darf mit Recht fordern, daß gemeingefährliche Elemente ausgesondert werden.“

„Und wenn es sich erweist, daß es der Schuldige gar nicht ist, daß ein Makel auf einen Menschen geworfen wird, ver vielleicht nur durch eine unglückliche Verkettung von Umständen bei der ganzen Sache beteiligt war?“

„Mein bester Herr Hagedorn, das Gericht geht bei dergleichen Dingen mit der äußersten Vorsicht zu Werke. Es müssen sich schon schwerbelastende Verdachtsmomente häufen, ehe es auch nur zur Untersuchungshaft kommt, welche freilich leider auch einen Unschuldigen einmal treffen kann.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0687.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2023)