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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

gab der Meinung Ausdruck, daß der junge Rechtsgelehrte, der nur der Wissenschaft lebte, „über seine künftige Bestimmung noch völlig unentschieden sei“.

Savigny war indes viel empfänglicher für die Liebe der Günderode, als ihre gemeinsame Freundin dachte; es sind Zeugnisse dafür vorhanden, daß er sich auch mit ernsteren Absichten ihretwegen trug, denn er holte bei seinem Freunde Creuzer Erkundigungen über die Verhältnisse der Freifrau von Günderode, Karolinens Mutter, in Hanau ein, und erst die erhaltenen Auskünfte dürften ihn zur Zurückhaltung bestimmt haben. Leicht ist sie ihm nicht geworden. Der Verkehr mit dem schönen, in all seiner Verschlossenheit, die ihr Savigny später vorwarf, immer anziehenden Mädchen hatte sich in den Sommermonaten 1799 schon recht lebhaft gestaltet. Man las gemeinsam Goethesche Dichtungen, und gewiß hat Savigny in dieser Zeit Einfluß auf den litterarischen Geschmack der Günderode genommen, wie er ihr auch später noch mit Ausleihen von Büchern behilflich war. Aber wenn sie auch nicht zusammenkommen konnten, so bewahrten sich diese zwei edlen Menschen doch ein reines Herz, und es blieb keine Bitterkeit in dem Mädchen zurück, das entsagen mußte. Er wiederum bewahrte vor ihr stets eine ritterlich galante Haltung, die sich bis zur wärmsten brüderlichen Teilnahme steigern konnte. Den Verleumdungen, die ihr vielfach zu teil wurden, schenkte er keinen Glauben.

Als er sich verlobte, ruhte er nicht, bis ein freundschaftliches Verhältnis zwischen seiner Braut und Karolinen angebahnt war. „Es müßte entsetzlich unnatürlich zugehen“ – schrieb er der Günderode im Herbst 1803 – „wenn wir beide nicht sehr genaue Freunde werden sollten. Sie glauben nicht, mit welcher Klarheit und Gewißheit ich einsehe, daß die Natur diesen Plan mit uns hat …“ Und er hielt zu ihr in den kritischsten Zeiten ihres Lebens, bis zu ihrem nur allzu frühen Tode.


2.

Karolinens Beziehungen zu Savigny wären schwerlich so dauernd geblieben, wenn nicht beide in Verbindung mit der Familie Brentano geraten wären. Savigny wurde im August 1799 mit Clemens Brentano in Jena bekannt, kurz nachdem er die Günderode verlassen und auf eine Reise nach Sachsen gegangen war. Durch Clemens lernte er dessen Schwestern kennen, deren älteste, Kunigunde, er 1804 heiratete. Die Günderode wurde um das Jahr 1801 mit der jüngeren Schwester Bettina befreundet, und diese Freundschaft muß als das größte Glück in dem kurzen Leben Karolinens betrachtet werden. Denn nachdem sie mit Mühe die Leidenschaft für Savigny überwunden hatte, geriet sie in schwermütige Stimmungen, die durch Kränklichkeit und Einsamkeit nur noch gesteigert wurden. Den Winter 1800 verbrachte sie wieder außerhalb des Stifts, bei ihrem Großvater in Butzbach, der durch den Tod seiner Frau vereinsamt war. Sie blieb mehrere Monate bei ihm, und die Briefe, die sie von Butzbach aus an Frau von Barckhaus richtete, zeigen uns die inneren Kämpfe eines jungen, nach Harmonie und Stärke strebenden Herzens, das einen Umgang und eine Thätigkeit vermißte, die es befriedigen könnten. Es fand sie weder im Stift noch außerhalb desselben. Aus dem Sommer 1800 stammt die folgende briefliche Aeußerung Karolinens: „Ich muß Dir nur gestehen, daß mir vor meiner Zurückkunft ins Stift beinahe bange ist, und daß ich es darum auch wieder verschieben werde, hinzugehen …“ Aber sie kehrte doch wieder dahin zurück, und da war es ein Glück, daß sie die Bekanntschaft Bettinens machte.

Wie dieser Verkehr zustande kam, das wissen wir nicht. Bettina erzählt zwar in „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“, die Günderode wäre zu ihr nach Offenbach gekommen und hätte sie aufgefordert, sie doch in der Stadt zu besuchen; doch setzt auch schon dieser Besuch in Offenbach eine vorhergegangene Bekanntschaft Karolinens mit der Familie Brentano voraus. Bettina, geboren in Frankfurt a. M. am 4. April 1785, war um fünf Jahre jünger als Karoline. Zu der Zeit, da sie deren Bekanntschaft machte, lebte sie mit ihren Geschwistern Lullu. Meline und Kunigunde bei ihrer Großmutter Sophie von La Roche, der einst viel gelesenen Romandichterin und Jugendfreundin Wielands, in Offenbach a. M. Ihre beiden Eltern waren gestorben, als Bettina noch ein Kind war. Die Mutter Maximiliane, deren Schönheit und Frische Goethe in der Wertherzeit so sehr entzückt hatten, starb schon 1793, wo sie erst 37 Jahre alt war, aber schon acht Kindern das Leben gegeben hatte. Der Vater, Pietro Antonio Brentano, ein nüchterner, aber umsichtiger und erfolgreicher Kaufmann in Frankfurt, war seiner Frau wenig später, 1797, nachgefolgt, nachdem er noch ein drittes Mal geheiratet hatte. Der älteste Sohn der Familie führte das Geschäft weiter. Aber es läßt sich leicht denken, daß die Geschwister unter der Aufsicht der guten alten Großmutter in wenig beschränkter Freiheit aufwuchsen. Unmittelbar nach dem Tode ihrer Mutter war Bettina zur Erziehung ins Kloster der Ursulinerinnen in Fritzlar gegeben worden, wo sie vier Jahre blieb, bis sie nach Offenbach zurückkehrte.

Sie war die begabteste von allen Schwestern, aber auch die unbändigste; in diesen jungen Jahren mehr Knabe als Mädchen, eine wilde Hummel, die auf alle Bäume kletterte, jede Mauer erstieg, mit ihren feurigen Augen die Leute anblitzte und aus ihrer Meinung kein Geheimnis machte. Wer ihr nicht gefiel, dem sagte sie’s ins Gesicht, mochte es eher grob als artig ausfallen. Von mädchenhafter Scheu und Zurückhaltung keine Spur, sprunghaft und launisch in ihren Stimmungen. Dabei aber doch von höchstem Seelenadel instinktmäßig geführt, überströmend von unbewußter Poesie, dämonisch geleitet von einer unsagbaren Sehnsucht nach Klarheit, Erkenntnis und großen Thaten. Ausdauer zu methodischen Studien fehlte ihr; der Schneckengang des gewöhnlichen Unterrichts langweilte sie; aber sie lernte in Stunden, was andere in Wochen, in Jahren kaum erlernen konnten, und sie war geistig früher denn als Weib gereift. Man konnte mit ihr vernünftig, ja tiefsinnig sprechen, indes sie im Handumdrehen wieder zum Kinde wurde. Nichts war Absicht oder vorbereitende Ueberlegung, alles Begeisterung, Eingebung, Offenbarung in ihr; sie wußte selbst noch nicht, wie schön oder wie tief sie sprach. Bequem war sie niemand; Feinde, die sie für vorlaut, kokett und frech hielten, hatte sie genug. Sie selbst war stark im Hassen, aber stärker doch noch in der Liebe. An wen sie sich einmal angeschlossen hatte, an dem hing sie treu mit der ganzen Macht ihres dämonischen Wesens, und wenn sie auch mit dem fortschreitenden Alter ihre ursprüngliche Naivität verlor: die Kraft zu lieben und sich zu begeistern bewahrte sich Bettina bis in ihr hohes Alter, mit dieser Kraft wirkte sie noch als Greisin auf ihre Zeitgenossen ein.

Als sich nun die wenig mehr als zwanzigjährige Günderode und die frühreife Bettina zusammenfanden, da entstand ein wundersames Ineinanderleben zweier Mädchen, die sich gegenseitig ergänzten. Denn wovon Bettina zu wenig hatte: den Sinn fürs Maß, für die äußere schöne Form im Leben sowohl wie in der Kunst, die weiblich keusche Zurückhaltung in der Mitteilsamkeit des übervollen Herzens, davon hatte Karoline fast zu viel. Diese ging z. B. in ihrer Verschlossenheit einmal so weit, ihrer intimen Freundin den Tod ihrer Schwester erst nach vielen Wochen mitzuteilen, sie mußte vorerst allein mit ihrem Schmerz fertig werden. Gemeinsam war beiden die Begeisterung für Poesie; aber Bettina wollte echt romantisch die Poesie nur erleben, sie war unerschöpflich in Erfindung neuer Sensationen, kein Abenteuer schreckte sie zurück, wenn es etwas versprach. Karoline hingegen war zurückhaltend und beschaulich; Schillers ästhetische Abhandlungen, die Bettinen wenig gefielen, boten ihr höchsten Genuß. Und gerade diese Ruhe, dieses gehaltene Wesen der Günderode übte durch seinen Kontrast einen unsäglichen Zauber auf die ewig bewegte Bettina aus. Karoline hatte Geist und Güte genug, um diesen Brausekopf zu verstehen und zu lieben. Bettinens Erziehung wurde durch die Günderode vollendet. Daher die unvergängliche Treue, mit der die jüngere und überlebende Freundin an der ältern hing.

Bettina hat von der äußeren Erscheinung der Günderode eine Schilderung entworfen, die wir nicht überschlagen dürfen. In „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ schrieb sie:

„Ihre kleine Wohnung (im Stift) war ebener Erde nach dem Garten; vor dem Fenster stand eine Silberpappel, auf die kletterte ich während dem Vorlesen; bei jedem Kapitel erstieg ich einen höheren Ast und las von oben herunter; sie stand am Fenster und hörte zu und sprach zu mir hinauf, und dann und wann sagte sie: ,Bettina, fall’ nicht‘; jetzt weiß ich erst, wie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0722.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2023)