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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

glücklich ich in der damaligen Zeit war, weil alles, auch das Geringste, sich als Erinnerung von Genuß in mich eingeprägt hat; – sie war so sanft und weich in allen Zügen wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn sie lachte, so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes, gedämpftes Girren, in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprach; – sie ging nicht, sie wandelte, wenn man verstehen will, was ich damit auszusprechen meine; – ihr Kleid war ein Gewand, was sie in schmeichelnden Falten umgab, das kam von ihren weichen Bewegungen her; – ihr Wuchs war hoch, ihre Gestalt war zu fließend, als daß man es mit dem Worte schlank ausdrücken könnte; sie war schüchtern-freundlich und viel zu willenlos, als daß sie in der Gesellschaft sich bemerkbar gemacht hätte....“

Und fast gleichlautend äußerte sich Bettina in dem von der „Gartenlaube“ 1868 mitgeteilten Gespräch mit Max Ring, zu dem sie noch sagte: „Das meiste und beste, was ich geworden bin, habe ich der Günderode zu danken … Ihr ganzes Wesen war verkörperte Poesie, sie selbst eine begabte Dichterin. Ihre Verse klangen, wenn sie las, wie eine fremde Sprache, die ich mir erst übersetzen mußte, aber sie waren reich an sinnigen Gedanken. Weit größer aber als ihre poetische Begabung war ihre philosophische und wissenschaftliche Bildung. Sie wollte mich Philosophie lehren und drang darauf, daß ich mich an ein logisches Denken gewöhnen sollte, wie sie auch in allen übrigen Dingen auf eine gewisse Ordnung hielt, weshalb sie mir mein zerfahrenes und wildes Wesen zum Vorwurf machte …“

Durch Bettina lernte die Günderode deren um zehn Jahre älteren Bruder Clemens Brentano kennen, der schon damals sich durch einen Roman („Godwi“) und durch Gedichte rühmlich bekannt gemacht hatte und noch zu Lebzeiten der Günderode mit seinem Freunde Arnim die Sammlung deutscher Volkslieder „Des Knaben Wunderhorn“ (1805) herausgab. Zu der Zeit stand Brentano in voller Gärung, kaum fertig mit seinen Universitätsstudien. Der echte Bruder Bettinens, war auch er eine impulsive Natur, ohne die Kraft, sich zu regieren. Genial veranlagt, hatte er, gleich der Schwester, den Hang, immerfort über sich selbst zu grübeln, sich selbst zu bespiegeln, die eigenen Phantasiegebilde zu zersetzen und also nie mit sich fertig zu werden, zu keiner Befriedigung zu gelangen. Auf die Günderode machte der schöne und so reich begabte junge Dichter zuerst einen großen Eindruck, wie er überhaupt stark auf Frauen wirkte. Auch sie blieb Clemens nicht gleichgültig; aber zu der Zeit fühlte er sich noch zu jung, um sich schon binden zu lassen. Von Karolinen hat Bettina ein nicht gerade vollkommenes Gedicht „An Clemens“ in ihrem Buche „Günderode“ gedruckt, das ihn als die Verkörperung der Poesie feiert.

Es blieb jedoch nicht lange bei diesem Enthusiasmus. Die Günderode mußte bald erkennen, daß sie den Dichter vom Manne trennen mußte. Brentano nahm es mit der Treue zu den Frauen nicht sehr genau, und der übermütige Ton, den er ihr gegenüber anschlug, konnte unmöglich von ihr ertragen werden. Es kam zwar zu keinem völligen Bruch, wohl mit Rücksicht auf Bettina; aber Karoline ließ Clemens nicht im unklaren, wie sie über ihn denke. In dem einzigen ihrer Briefe an ihn, der bisher bekannt geworden ist, schrieb sie ihm (am 10. Juni 1804) ganz entschieden: „Meine Beziehung zu Ihnen ist nicht Freundschaft, nicht Liebe, meine Empfindung bedarf daher keines Verhältnisses, sie gleicht vielmehr dem Interesse, das man an einem Kunstwerk haben kann; aber verworrene, mißverstandene Verhältnisse könnten mir dies Interesse trüben.“ Das war deutlich genug. Karoline konnte ihm nicht in die Augen sehen, sie fand seinen Blick „verzehrend“. Bettina selbst scherzt im „Frühlingskranz“ über die ewige Verliebtheit ihres jungen Bruders, der in jedem Städtchen ein ander Mädchen verehrte. Brentanos Benehmen gegen die Günderode war denn auch später nicht entfernt so ritterlich und teilnahmsvoll wie das seines Schwagers Savigny. In den an sie selbst gerichteten Briefen lobte er ihre Gedichte; in Aeußerungen gegen andere sprach er mit viel weniger Anerkennung von ihnen, und auch über ihren Charakter fällte er voneinander abweichende Urteile. Er war eben kein zuverlässiger Freund.


3.

Die Günderode strebte nach dem Höchsten in der Kunst. Allein ihre dichterische Begabung stand nicht auf der Höhe ihres Ehrgeizes. Was sie als Weib so anziehend und liebenswürdig machte, ihr mehr passives, bescheiden sich zurückhaltendes als sich persönlich vordrängendes Naturell, das mußte sie als Künstlerin auf ein kleines Gebiet der Kunst beschränken. Sie hatte nur zur Lyrik Talent, weniger zur Erzählung, noch weniger zum Drama, wiewohl sie sich mehrfach darin versuchte. Ihr fehlte Gestaltungskraft, der Sinn für Handlung und theatralische Wirkung, um es im Drama oder in der Erzählung zu großen Leistungen bringen zu können. Dazu kam noch ihre Neigung zur Philosophie, ihr Hang, großen allgemeinen Begriffen nachzugehen, der sich aus ihrer Existenz wohl begreifen läßt. Wie unbefriedigt lebte sie dahin! Schön, jung, begabt, wie sie war, mußte sie einsam verkümmern. Wo sie geliebt hatte, wurde sie enttäuscht. Dabei war ihre Gesundheit zart und häufig gestört. Was Wunder also, wenn sie sich aus der Wirklichkeit in das Reich der Ideen flüchtete und am liebsten über das Geheimnis des Todes nachdachte oder den Gegensatz von Tod und Leben, von Gegenwart und Vergangenheit betrachtete. In der Betrachtung des Ewigen suchte sie Trost für ihr unbefriedigtes Herz, im Kultus der Ideen eine Erhebung über das Irdische. Im Grunde erschien ihr die Liebe einzig und allein als der wahre Zweck alles menschlichen Lebens. In dem Gedichte „Der Franke in Aegypten“, das auch Brentano als ein vollendetes bezeichnete, sprach sie es aus. Alles schon hat der Franke versucht, um die Sehnsucht seiner Seele zu stillen:

„Ins Gewühl der Schlachten
Warf ich durstig mich,
Aber Ruhm und Schlachten
Ließen traurig mich:
Der Lorbeer, der die Stirne schmückt,
Er ist’s nicht immer, der beglückt.“

Auch die Wissenschaften befriedigten ihn nicht, bis er endlich das Mädchen findet, das er lieben kann:

„Nicht an fernen Ufern, nicht in Schlachten,
Wissenschaften, nicht an eurer Hand,
Nicht im bunten Land der Phantasien
Wohnt des durst’gen Herzens Sättigung.
Liebe muß dem müden Pilger winken,
Myrten keimen in dem Lorbeerkranz,
Liebe muß zu Heldenschatten führen,
Muß uns reden aus der Geisterwelt.“

Und die Liebe ist das Thema ihrer Poesie in den verschiedensten Variationen. Die trüben Erfahrungen ihres Herzens spiegeln sich in ihren Gedichten. In einem derselben „Ariadne von Naxos“ ruft sie aus:

„Betrogner Liebe Schmerz soll nicht unsterblich sein!
Zum Götterlos hinauf mag sich der Gram nicht drängen,
Des Herzens Wunde hüllt sich gern in Gräbernacht.“

Es ist die eigene Ironie ihrer Lebenstragödie, daß sich dieses Gedicht selbst in ihrem Schicksal bewahrheiten sollte. Sie hat blutigen Ernst mit ihrer Meinung gemacht. Und da es uns hier nicht auf eine eigentlich litterarische Würdigung der Günderodeschen Dichtungen ankommt, so verlassen wir das dünne Bändchen ihrer Muse, wie es uns in der schon so selten gewordenen Quartausgabe von Friedrich Götz in Mannheim (1857) vorliegt, und wenden uns zum letzten Kapitel ihres Lebensromans, der mit Friedrich Creuzer erlebten Tragödie.


4.

Friedrich Creuzer (geboren am 10. März 1771 in Marburg, gestorben am 16. Februar 1858 in Heidelberg) war seit dem Frühjahr 1804 in Heidelberg Professor der Philologie. Von Haus aus unbemittelt, hatte er sich mit größtem Fleiß bis zu der schönen Stellung eines Universitätslehrers emporgearbeitet und noch als Privatdocent in Marburg die um dreizehn Jahre ältere Witwe des Professors Leske, Sophie, geheiratet. Er war ein hervorragender Gelehrter, der in der deutschen Wissenschaft vom klassischen Altertum eine epochemachende Stellung einnahm. Den Zusammenhang der alten Religionen und Philosophiesysteme mit dem ganzen Leben der Völker und ihr Verhältnis zum Christentum zu erkennen, das war sein wissenschaftliches Ziel. Er hat in seiner langen akademischen Laufbahn anregend nach vielen Seiten hin gewirkt. Männer wie Savigny (der ihn auch in seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0723.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)