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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Der andere verbeugte sich mit äußerster Knappheit und trat ein. Es sah nicht sehr ordentlich in dem Zimmer aus, aber heiter und freundlich, und das Ganze hatte einen künstlerischen Anstrich. Auf dem Fensterbrett stand ein reichblühender weißer Rosenstock, rechts und links daneben auf den Dielen erhoben sich üppige, mit rosigen, mandelduftenden Blüten übersäte Oleanderbüsche in großen Kübeln; ein Kelchglas mit abgeschnittenen Blumen schmückte den Schreibtisch, auf dem allerlei Photographien in Moraständern und Makartrahmen umherstanden. Die ganze dunkle Platte des Flügels war mit gebundenen und ungebundenen Notenheften bedeckt; beschriebene Notenblätter, über die ein Stift quergelegt war, lagen dazwischen, ganze Stöße von Noten waren unter dem Klavier aufgeschichtet. Von den Wänden sahen überall größere und kleinere Büsten berühmter Tonkünstler herab: der bedeutende Beethovenkopf mit der Löwenmähne, das scharfgeschnittene Profil Chopins, die schlichten Züge Schumanns und Schuberts, und Mozarts sonniges Antlitz. In einem kleinen Käfig aus Weidenruten, wie ihn die Kinder flechten, hüpfte eine Schwarzamsel umher, die jetzt, da das Klavier verstummt war, sich verpflichtet glaubte, die Stille zu unterbrechen, und ein paar volle melodische Locktöne zum besten gab.

Der Blick des Eintretenden überflog den lichten, sonnendurchfluteten Raum, der ein so ganz anderes Gepräge trug wie seine eigene nüchterne, peinlich geordnete Häuslichkeit. Was er hier sah, schien ihm Spielerei und Firlefanz, nichts weiter – und auch die Bücher dort hinten im Glasschrank mochten den Geschmack ihres Eigentümers widerspiegeln und nichts von dem enthalten, was eines ernststrebenden Mannes würdig war.

Die blauen und die dunklen Augen tauchten ineinander und maßen sich, wie vor dem Kampf. Diese beiden Männer, so grundverschieden in ihrem ganzen Typus wie in ihrer Lebensauffassung, waren einander von der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft unsympathisch gewesen, und sie hatten beide kein Hehl daraus gemacht.

Raimund wies stumm auf einen in seiner Nähe stehenden Stuhl. Harnack lehnte den Sitz ab und blieb stehen.

„Ich bin zu Ihnen gekommen,“ brach er endlich das Schweigen, „um Sie zu fragen, ob es wahr ist, daß Sie bei Gericht eine Anzeige gegen meinen Bruder erstattet haben, der zufolge man ihn wegen Mordverdachtes in Haft genommen hat.“

Raimund zuckte zusammen.

„Wer hat Ihnen das gesagt?“ fragte er nach einer Pause mit bedeckter Stimme.

Harnack warf den Kopf hoch.

„Darauf kommt es nicht an; die Thatsache genügt wohl. Ist sie wahr?“

In dem offenen Gesicht des jungen Mannes malte sich Schreck und Mitleid. Wenn dieser Mann seinen Bruder liebte – und sie hatten ihm gesagt, daß er dies that! – welches mußten seine Empfindungen sein gegenüber demjenigen, der ihn der Justiz auslieferte, ihn ihr wenigstens verdächtig machte? Hätte er schweigen sollen? Aber der Justizrat hatte ihm ausdrücklich gesagt, daß man ohnehin auf den jüngeren Harnack Verdacht geschöpft hatte, daß man ihn seit geraumer Zeit suchte – er hatte nichts weiter gethan als den Ort angegeben, wo der Gesuchte mutmaßlich zu finden sei. Und Ueberweg hatte ihm so dringlich seine Verpflichtung dazu klargemacht.

„Ist es wahr?“ wiederholte der Ingenieur mit harter Stimme.

„Ja!“ entgegnete Raimund fest, und ehe noch der andere weiterzusprechen vermochte, setzte er hastig, sich fast im Sprechen überstürzend, hinzu: „Hören Sie mich! Ich kenne Ihren Bruder nicht, habe ihn nie gesehen, ich habe nicht den geringsten persönlichen Verdacht gegen ihn. Aber dieser Verdacht ist von verschiedenen Seiten gehegt worden, auch die Justiz hatte ihn bereits gefaßt. Der Ermordete war mein Oheim, sein Tod ließ mich nicht gleichgültig, der Fingerzeig wurde mir gegeben, der Auftrag mir erteilt – was blieb mir zu thun übrig, wenn ich mein Gewissen –“

Er kam nicht weiter.

„Ihr Gewissen?“ Harnack stieß es hart und höhnisch hervor. „Mußten Sie sich gerade bei dieser Gelegenheit darauf besinnen?“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Daß ich Sie für einen feigen Denunzianten halte – weiter nichts!“

Raimund war sehr bleich geworden, seine Augen blitzten gleich geschliffenem Stahl.

„Ich nehme Rücksicht auf Ihre Gefühle als Bruder. Aber gehen Sie nicht zu weit! Wählen Sie Ihre Ausdrücke besser! Es ist mir wahrlich nicht leicht geworden, zu sagen was ich wußte – ich habe mit mir gerungen –“

Der Ingenieur ließ ein heiseres spöttisches Lachen hören.

„Ihr Ringen hat zu einem guten Resultat geführt! Man hat meinen Bruder in Untersuchungshaft genommen, auf Ihre Denunziation hin – meinen Bruder, der unschuldig ist – unschuldig sein muß, denn er war zur Zeit des Mordes in Amerika!“

„Wenn sich das nachweisen läßt, ist seine Unschuld klar am Tage, und er wird sofort aus der Haft entlassen!“

„Für sein ganzes Leben mit einem Makel behaftet, durch einen – Schurken!“

Raimunds Rechte zuckte empor und umspannte die Hand, die sich zum Schlag gegen ihn erhob, mit starkem Griff um den Knöchel.

„Nun ist’s genug! Auf diesen Schimpf giebt’s nur eine Antwort. Doch nicht hier – – “

Mit ganz leiser, tiefer Stimme hat er gesprochen, aus seinem Gesicht ist jeder Blutstropfen gewichen, eine eigentümliche wilde Schönheit liegt über den entfärbten Zügen. Seine Rechte hält noch immer die Hand des Ingenieurs umspannt und drückt sie nieder.

„Gut denn!“ sagt Harnack und sieht unter den zusammenstoßenden Brauen hervor finster auf seinen Gegner. „Lassen Sie mich los! – Wann? Und wo?“

Raimund zieht seine Hand zurück und zuckt die Achseln.

„Es ist mir alles gleich. Bestimmen Sie!“

„Bei den Kesseltannen? Früh um fünf Uhr – und morgen?“

„Meinetwegen!“

„Ich werde Ihnen noch heute abend jemand schicken –“

„Auch Sie hören noch von mir im Lauf dieses Abends!“

Es wird kein weiteres Wort, kein Abschiedsgruß mehr zwischen ihnen gewechselt. Draußen fällt die Thür ins Schloß, Raimund ist allein. Er schüttelt ein klein wenig den Kopf, dreht sich um und schließt mechanisch die Klappe der Klaviatur. Die letzten Takte des Schumannschen Intermezzos, das er gespielt, klingen in ihm nach – – und ihm ist, als wäre es vor Tagen gewesen, daß er das gespielt. Sein Blick streift über die Büsten an den Wänden – goldene Sonnenstrahlen umspielen Beethovens Titanenhaupt, küssen Mozarts jugendfroh lächelnden, weichen Mund. Sie tanzen auch über die auf dem Piano hingestreuten Notenhefte hin, auf den losen Blättern, über denen der Stift sorglos hingeworfen liegt, wie eben aus der Hand gelegt – seine neueste Komposition, mehr als zur Hälfte vollendet, „Frühlingsphantasie“ hatte er sie genannt – und wie sie ihm leicht und schön und mühelos entstanden war nach der letzten Unterredung mit seinem Vater! Die hatte jene ganze Mißstimmung, die ihm sein Bekenntnis dem Justizrat gegenüber geschaffen, fast ganz beseitigt – er hatte wieder komponieren können – nein, komponieren müssen, die Harmonien drängten sich ihm förmlich auf, es sang und klang in ihm – war doch in sein Leben seit Jahren zum erstenmal wieder ein Hoffnungsschimmer gefallen, der ihm zeigte, es könne doch noch eine Zukunft für ihn geben, und dieser Hoffnungsstrahl war ihm entglommen, bald, nachdem er das Weib gefunden hatte, das er liebte!

Wie grenzenlos er sie liebte und für sich ersehnte, das durchschauerte ihn jetzt wieder, da alle Fibern in ihm angespannt waren, jeder Nerv wie unter dem Hochdruck seiner Gefühle in ihm erzitterte. Er sah sie vor sich – zum Greifen deutlich! – aber nicht nur das schöne, stolze Gesicht, die schlanke Gestalt, die sein Staunen, sein Entzücken gewesen war, schon beim erstenmal, da er sie sah – auch ihr Lächeln, ihr Zustimmen oder Abwehren, das rasche Verständnis in ihren Augen, die warme Anteilnahme – alles, was ihm von ihrer Seele sprach. – – – Eine Zukunft in seiner Kunst – und dies Mädchen! Wohl war es Vermessenheit von ihm gewesen, das zu denken, denn noch lag sein neuer Beruf und das, was er in ihm schaffen, leisten wollte, wie hinter einem Schleier, der lockt, verheißt, aber immer noch verhüllt! Gesetzt auch, sie empfand mehr für ihn als freundschaftliche Zuneigung …. durfte er vor sie, die gefeierte Schönheit, die verwöhnte Erbin, hintreten und sagen: „Ich glaube

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0732.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2023)