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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Halbheft 24.   1898.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahresabonnement (1. Januar bis 31. Dezember) 7 Mark. Zu beziehen in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Montblanc.

Roman von Rudolph Stratz.

 (3. Fortsetzung.)

10.

Auf dem schräg abfallenden Außenmarkte von Tanger zwischen dem oberen Stadtthor und dem hochgelegenen Hotel herrschte jetzt im Abenddämmern das ganze Jahrmarktstreiben des Donnerstags. Die Feuerfresser und Zauberkünstler heulten, die dumpfe Pauke der Schlangenbändiger klang dazwischen, in dem elektrischen Licht, das von der deutschen Gesandtschaft her bis hinauf zu den letzten Häusern flammte, tanzten in einem Ring von Zuschauern die weißflatternden Mäntel der Schaukämpfer in tollen Sprüngen auf und nieder, knieten die Kamelkarawenen stumpfsinnig im Schlamm und schoben sich zwischen den zu Hunderten gefesselt dastehenden jungen Stieren die weißen, tiefverschleierten Gestalten der Araberinnen behende zu dem seitlichen Gewimmel des Fisch- und Gemüsemarktes.

Auch in dem burgartig hoch und frei gelegenen Hotel war ungewohnt geräuschvolles Leben. Cook und Sohn hielten ihren Einzug. In ganzen Haufen türmten sich, von den maurischen Lastträgern aus dem Hafen herbeigeschleppt, die Gepäckstücke mit den angehängten Pappnummern, suchend und spähend wandelte Albion in jeder Erscheinungsform zwischen ihnen auf und ab und an drei Orten zugleich, in sieben Sprachen mit aller Welt verhandelnd, waltete der Impresario, ein breitschulteriger, energischer Italiener, seines Amtes.

Nur Deutsch verstand er nicht und entschlüpfte behend den Klagen eines älteren, hageren und straffen Herrn, dessen an sich schon rötliches Gesicht mit dem grauen Schnauzbart nun infolge des Zornes beinahe purpurfarben erschien. Da ihm der Leiter der Herde entgangen war, wandte er seinen vollen Grimm wieder dem ersten Opfer, einem maurischen Träger, zu.

„Du Jauner!“ stöhnte er atemlos. „Kerl … wo haste mein Jepäck? Der Teufel soll dich lotweise frikassieren, wenn du es nicht auf der Stelle beischaffst!“

Der Maure verstand kein Wort. Aber um sich der Situation gewachsen zu zeigen, raffte er seinen ganzen aus vier Worten bestehenden deutschen Sprachschatz zusammen.

„Gutten Tag, mein ’Err!“ verkündete er verbindlich, und ein Lächeln erschien auf seinem schwermütigen Gesicht.

„Ich jlaube, der Kerl macht sich noch über mich lustig. Das ist ein jemeinjefährliches Individuum! Wo mein Jepäck ist, will ich wissen! Hast du’s heraufjeschleppt oder ein anderer von euch Halunken?“

„Gutten Tag, mein ’Err!“ bestätigte der Maure lächelnd.

„Mein Jepäck … “ Der alte Herr schnappte, kirschrot im Gesicht, nach Luft und wies auf die herumstehenden Koffer.

„Oh, Sir want luggage?“ triumphierte der braune Geselle, der jetzt begriffen hatte. „Luggage is coming, Sir!“

„Ich verstehe kein Englisch, du Hundesohn!“ Der zornige Tourist ließ die Augen im Kreise rollen. „Mein Jepäck will ich!“

„Yes, Sir! Luggage is coming just now from the port!“

„Yes, Sir! Yes, Sir! Was soll mir das? Verrückt werde ich noch in diesem Land!“


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0741.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)