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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Er sagt, daß Ihr Gepäck unterwegs ist, Herr Major!“ tönte die tiefe Stimme einer die Terrasse heraufsteigenden schwarzgekleideten Dame, und zu dem Wirte gewendet fuhr sie in fließendem Französisch fort: „Haben Sie Ihr Versprechen gehalten und Zimmer für mich und meine Schwestern reserviert? Ja! Nun, dann ist’s ja gut! Einen Augenblick, Herr Major!“ sie verfiel wieder in Deutsch. „Ich will nur den Soldaten ihren Bakschisch geben!“ Sie winkte die beiden weißbärtigen Turbanträger heran und reichte jedem ein Fünf-Peseta-Stück. „Verdient habt ihr’s eigentlich nicht!“ erklärte sie dabei stirnrunzelnd in spanischer Sprache, welche die beiden alten Kerle einigermaßen radebrechten, und entließ die Stirn und Brust zum Dank berührende und ein „molto gracias“ kauderwelschende bewaffnete Macht.

Der Major sah sie staunend und bewundernd an. „Wieviel Sprachen verstehen Sie eigentlich?“

„Ach … wenn man so viel in der Welt herumgekommen ist wie ich!“ Die Gouvernante schüttelte ihm zum Willkommen die Hand. „Und wie ist es Ihnen ergangen seit San Sebastian?“

„Fragen Sie nicht!“ Der grauköpfige Herr sank, nachdem er auch Klara und Hilda begrüßt, auf einen Koffer nieder. „Es ist furchtbar! Nie wieder! Solch’ eine Cooksche Rundreise sollte man als Strafverschärfung für Vatermörder einführen! Ich bin froh, wenn ich ohne einen Anfall von Tobsucht nach Deutschland zurückkomme!“

„Ja, warum brechen Sie denn die Reise nicht ab!“

„Ich hab’ ja vorausbezahlt!“ Er starrte vor sich hin und der Zorn rötete wieder sein Gesicht. „Mein schönes Geld … und wofür? Ebensogut könnte man von den Heringen Eintrittsgeld erheben, ehe man sie in die Tonne verpackt und auf die Eisenbahn giebt. So rolle ich seit vier Wochen durch die Länder. Kein Mensch, nein, ein Frachtstück, das beliebig oft ein- und ausgeladen wird, wie es dieser breitschulterige Lümmel da, der italienische Impresario, angiebt. Der reine Rundreisekoffer! Ich wundere mich nicht, wenn sie mir an der Grenze den Leib aufknöpfen und meine Eingeweide durchsuchen. Und dieses Reisen in Spanien … meine lieben, guten Fräulein …. Sie haben das nicht so durchgemacht …“

„Wir waren auch in Granada, Cordova und …“ begann die Gouvernante. Aber der alte Herr war jetzt im Zug.

„Diese Eisenbahnen!“ wiederholte er, und ein wildes, bitteres Lächeln spielte unter seinem eisgrauen Schnauzbart. „Sie sind ja immer nur mit dem Expreßzug gefahren? Nicht wahr? Nun eben! Von dem Expreßzug kann man sagen wie der olle Galilei: ,Und er bewegt sich doch!‘ Langsam, aber sicher! Allerdings eingepfercht … na, Sie wissen ja, was die Spanier alles an Handgepäck mitnehmen … ich habe jeden Augenblick erwartet, daß sie auch noch einen lebenden Kampfstier, einen Palmbaum oder ein Pianino in dem Gepäcknetz verstauen … Aber sonst alles … alles, von der Sprungfedermatratze bis zur Schwiegermutter, vom Säugling bis zur Badewanne, alles muß mit auf die Reise!“

„Schließlich kommt man doch an!“ sagte die Gouvernante.

„Mit dem Schnellzug, ja! Aber steigen Sie mal in den gewöhnlichen Zug. Sie sitzen und warten, Stunde um Stunde. Er geht nicht fort. Allenfalls zuweilen so ein schwaches krampfhaftes Zittern und ein heiserer Pfiff. Es wird Abend. Es wird Morgen und wenn Sie zum Fenster hinaussehen, stehen noch dieselben Bettler und Krüppel und Gassenbengel draußen wie gestern und Sie haben höchstens zwei, drei Schritte Terrain gewonnen und merken: das ist keine Eisenbahn, sondern ein Asyl für Obdachlose, die es sich da mit Kind und Kegel und allem Hausrat in den Coupés für den Sommer bequem machen!“

„Wenn das schon die gewöhnlichen Züge sind,“ sagte die Gouvernante, „dann möchte ich wohl erst die gemischten sehen!“

„Die andalusischen Bummelzüge?“ Der alte Herr schrie auf und zog die Augenbrauen hoch. „Die stehen allerdings nicht still. Sie gehen unaufhaltsam rückwärts, wie es ja gar nicht anders sein kann. Und was ist das erst gegen die Provinz Murcia? Dort sollen ganze Wagen voll Passagiere verkehren, die seit Jahrhunderten zu Mumien eingetrocknet sind. Ich würde mich nicht wundern, wenn dort noch die Mammuts zwischen den Schienen weiden und die Lokomotive von Waldmenschen aus der Tertiärzeit gelenkt wird!“

Er brach erschöpft ab und trocknete sich die Stirne. Seine Freundin lächelte. „Sie sollten öfters drauflos wettern, Herr Major!“ sagte sie. „Sie haben zu viel Galle in sich aufgesammelt!“

„Ich muß ja! Wenn kein Mensch da ist, der mich versteht! Die ganze Karawane besteht ja nur aus Engländern und Amerikanern! Fluche ich, so sagen diese fischblütigen Geschöpfe nur: ,Oh indeed!‘ oder ,Oh yes!‘ und bestellen sich einen neuen Whisky mit Soda. Oder haben Sie je gehört, daß ein Engländer einem Menschen widersprochen hätte? Nie! Sie sind stets derselben Meinung. Prüfen Sie irgend jemand aus dieser Herde hier! Nehmen Sie ihn beiseite und erzählen Sie ihm, die Sonne sei froschgrün und der Himmel krebsrot – was wird er antWorten? ,Oh yes!‘ – Ich schwör’ es Ihnen!“

„Sie sollten lieber allein reisen!“

„Ja, das sagen Sie, Sie Weltumseglerin! Wenn Sie jetzt in China landen, sind Sie gleich zu Hause, fragen den nächsten Mandarinen auf mongolisch nach dem Weg und haben sich nach zwei Stunden in Peking so mollig eingerichtet wie in Ihrem Dresdner Stübchen. Aber ich? Mit meinem lahmen Bein. Und wo ich keine fremde Sprache kann – denn das Französisch, das ich vor vierzig Jahren im Kadettenkorps gelernt hab’, das ist auch schon ein bißchen eingerostet. Und dann überhaupt: früher hat mir der Dienst nie Zeit gelassen, zu reisen, und jetzt, wo ich endlich das Ziel meiner Sehnsucht erreiche, jetzt ist mir das alles so ungewohnt. Ich fühle mich so einsam und verlassen. Es kommt mir alles so spanisch vor in Madrid und Cadix und all den verwünschten Orten …“

„Da bliebe ich eben an Ihrer Stelle zu Hause.“

„Zu Hause!“ sagte der alte Herr traurig, „da ist’s öde und leer. Sie wissen ja, meine gute Frau ist tot. Meine Töchter sind verheiratet, an Lieutenants in Lothringen und Ostpreußen. Da kann ich auch nicht hin. Nein, glauben Sie mir: verwitwet und pensioniert in einem Jahr, das ist ein bißchen hart. Und ich hab’ so ’ne Sehnsucht, die Welt zu sehen – schon seit meinen Fähnrichsjahren. Nur mal ’raus aus dem Kram, eh’ man ganz grau und alt wird – das ist jetzt mein einziger Gedanke. Aber auf die Weise geht’s nicht, mit dieser Hammelherde von Cook und Sohn und dem ewigen Kommando: ’rin in die Kirchen! ’raus aus den Kirchen! ’rin ins Museum und wieder ’raus und in die Eisenbahn! Nein. Ich müßte mit einem guten Freund in der Welt herumbummeln, so hübsch gemütlich und ohne Hast, mit einem gleichgestimmten Menschen, der das Reisen versteht und erfahrener ist als ich!“

„Das wäre freilich das Beste!“ sagte die Gouvernante knapp. „Uebrigens, da kommen Ihre Koffer!“

„Meine Koffer erkennen Sie wieder?“ Der Major erhob sich mühsam. „Das ist eigentlich höchst – höchst schmeichelhaft für mich!“

„Kaum! Die Koffer haben sich mir eingeprägt, weil ich auf der ganzen Welt noch nie so unpraktisches Gepäck gesehen habe!“

„Stimmt!“ seufzte der alte Herr. „Stimmt auffallend. Uebrigens ist die Hälfte schon weg. Verloren und gestohlen. Neu hinzugekommen ist nur eine Unmenge falsches Geld, das man mir gegeben hat. Wer mich nur sah, der griff in die Tasche und wurde seine bleiernen Pesetas los. Aber wenn ich sie jetzt weiter in Verkehr bringen will, dann beißen die Kerle hinein, merken, daß sie von Blei sind, und lachen mich aus! Nein – das ist schon eine trübe Reise!“

„Nun, vielleicht wird die nächste besser!“ sagte die Gouvernante, und ein strenges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, während sie mit dem alten Herrn die Flurtreppe hinaufstieg. „Komm’ mit, Hilda, nach unseren Zimmern sehen! Du bleib nur unten, Klara, du machst doch nur malerisches Durcheinander statt uns zu helfen!“

*  *  *

Die blonde Malerin hatte den Zuruf der ältesten kaum gehört. In Gedanken verloren saß sie da und schaute auf das Treiben des Außenmarktes zu ihren Füßen hinab. Immer noch klangen da die dumpfen Cymbeln des Schlangenbeschwörers, wie riesige weiße Kampfhähne schnellten und sprangen die Schaufechter durch die Luft und schwer wandelnd zog in langer Reibe eine Kamelkarawane aus Fez heran. Aber allmählich verlor sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0742.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)