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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Fuß untergräbt und in irgend einer Gewitternacht wieder ein paar solcher Kolosse unter donnerartigem Krachen zusammenbrechen, den Felsgrund mit Trümmern besäend. H. M.     

Das Kaiser Wilhelm-Denkmal in Stuttgart. (Mit Abbildung.) Unmittelbar nach dem Tode Kaiser Wilhelms I trat im März des Jahres 1888 eine Anzahl von Bürgern in Stuttgart zusammen, um die Errichtung eines würdigen Denkmals für den glorreichen Führer Deutschlands in der großen Zeit seiner Erhebung in Anregung zu bringen. Ein Komitee wurde gewählt, und das Ehrenpräsidium übernahm Prinz Wilhelm von Württemberg, der auch als König nach seiner im Jahre 1891 erfolgten Thronbesteigung die Arbeiten zur Errichtung des Denkmals mit Rat und That förderte. Nicht nur die Stadt Stuttgart, sondern das gesamte Land Württemberg beteiligte sich an den Sammlungen, und als die Mittel gesichert waren, wurden mehrere Preisausschreiben veranstaltet. Man einigte sich schließlich dahin, den Entwurf von Prof. W. v. Rümann und Prof. Friedr. Thiersch in München zur Ausführung zu bringen. Als Aufstellungsort wurde der schöne von Baumanlagen umrahmte Karlsplatz in Stuttgart bestimmt. Den Guß besorgte die kunstgewerbliche Werkstätte von Paul Stotz in Stuttgart, während die Granitarbeiten das Granitwerk Blauberg lieferte.

Am 1. Oktober dieses Jahres wurde das Kaiser Wilhelm-Denkmal im Beisein des Königs und der Königin feierlich unter Kanonendonner und Glockengeläute enthüllt. Eine vieltausendköpfige Festversammlung füllte den Platz, Abordnungen aller Stände waren vertreten, das Militär marschierte mit Fahnen und Standarten auf, die Krieger-, Turn- und andere Vereine waren erschienen, und, von ihren Lehrern geleitet, nahmen gegen 10 000 Schulkinder an der erhebenden Feier teil.

Das Denkmal macht einen überaus schönen und harmonischen Eindruck. Sein mächtiger Unterbau besteht aus Granit; an der Vorderseite ruhen zwei Löwen, während an der Rückseite zwei schlanke Obelisken emporragen; auf ihnen sind mit goldenen Lettern Daten eingetragen, die an die ruhmreichen Siege vom Jahre 1870/71 und an die Gründung des Deutschen Reiches erinnern. In der Mitte des Unterbaues ruht ein Sockel aus Granit, mit dem Reichswappen geschmückt, und hoch oben steht das eherne Reiterstandbild des Heldenkaisers.

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Das Kaiser Wilhelm-Denkmal in Stuttgart.
Nach einer Photographie von O. Hirrlinger in Stuttgart.

Kaiser Wilhelm I ist in einfachem Interimsrock und langem Mantel dargestellt, der Helm deckt sein Haupt, seine Linke hält die Zügel und die Rechte stützt sich auf die Hüfte. Das prächtig modellierte Pferd schreitet langsam aus mit wehendem Schweife. In seiner Gesamtheit wirkt das Denkmal überaus vorteilhaft. Da ein Uebermaß an Nebenschmnck vermieden wurde, tritt das Hauptstück, die Reitergestalt, um so mächtiger und ausdrucksvoller hervor.

Am St. Leonhardstag in Tölz. (Zu dem Bilde S. 744 und 745.) Uralt heilige Bräuche aus sagenhafter Vorzeit leben auf, wenn sich am 6. November in Tölz die Bauern der Landschaft zu ihrer berühmten Wagenprozession auf den Kalvarienberg vereinigen. Den alten Germanen schon war die Höhe ein heiliger Berg; an die Stelle der Opferstätte, auf welcher man seinen Besitz an Rossen und Herden dem Schutze Wotans empfahl, ist die Kapelle getreten, in welcher nun auch schon seit unvordenklicher Zeit Sankt Leonhard als Schutzpatron von Pferd und Rind verehrt wird. Naive Religiosität in inniger Mischung mit weltlichem Behagen giebt diesem kirchlichen Fest einen ganz besonders anziehenden Reiz. Es ist eine reiche fruchtbare Gegend dort oben in dem bayrischen Alpenvorland an den Ufern der Isar, mit stattlichen Gehöften. Und der Vollbauer, der mit den vier besten seiner Gäule seinen altehrwürdigen Leonhardswagen bespannt, welcher nur an diesem Tag in Gebrauch kommt, legt für die Fahrt nicht nur seinen Sonntagsstaat an, er steckt auch manch harten Silberthaler in den Beutel; denn es ist ihm eine Ehrenpflicht, nach der Rückkehr von der Fahrt sein Gesinde reichlich zu bewirten. Mit feierlichem Ernst besteigen in der Frühe die Dirndln, mit ihrem besten Schmuck über dem seidenen Fürtuch, den Wagen; aber nach dem Gottesdienst wandelt sich der Leonhardstag für alle in fröhliche Lustbarkeit, und bei dem Tanz, der das Fest krönt, gelangt so mancher stille Herzenswunsch zur Erfüllung, an welche früher oder später sich wohl gar eine Hochzeit schließt.

So ein Leonhardswagen, wenn er zur Fahrt bereit steht, ist an sich schon eine Sehenswürdigkeit. Die Längswände der festgefügten „Truhe“ sind schön bemalt; auf dem hellblauen Grund sieht man Scenen aus dem Leben des Landmanns und Heiligenbilder, von gereimten Sprüchen umgeben. Wie die reichgeschirrten Pferde an Schopf und Mähne mit Zweigen und Bändern geschmückt sind, so ist auch der Wagen rings mit frischem Grün besteckt und mit Blumengewinden umhangen. Auf mancher „Truhe“ finden sich kunstreiche Nachbildungen von Kapellen oder dem Kalvarienberg. Mit leuchtenden Farben aber belebt sich der Wagen, wenn die Frauen und Mädchen in ihren kleidsamen Trachten ihre Plätze einnehmen. Die Burschen kommen auf ein Trittbrett am Ende des Wagens zu stehen oder geben diesem zu Pferd das Geleit. Die Führung übernimmt der Hofbauer selbst; er lenkt vom Sattelgaul aus seine Rosse. In der Hauptstraße von Tölz treffen sich die Wagen und ordnen sich zum Zuge. Ein Herold mit Banner reitet voraus, dem die Kaleschen der Geistlichkeit und des Magistrats folgen. Während der Priester vor der St. Leonhardskapelle den Segen spendet, fährt ein Wagen nach dem anderen an ihm vorüber. Die Zahl derselben beläuft sich bis auf siebzig. Diese Einsegnung wird von allen Beteiligten mit Gesängen und Gebeten begleitet. Ist das sich daranschließende Hochamt vorüber, so beginnt ein allgemeines Begrüßen. Auf dem Platz vor der Kirche, wo die Wagen jetzt halten, stehen Buden mit Erfrischungen. Die Flaschen kreisen unter den Männern; alt und jung trinkt sich zu. Dann geht’s unter heiteren Gesprächen und lustigem Peitschengeknall hinunter nach Tölz, wo die Wirtshäuser in festlichem Schmuck der Gäste harren. Schnell füllen sich die Räume, und oft sehen sich die zuletzt Anfahrenden genötigt, zunächst auf dem Wagen zu bleiben und dort den ersten Erfrischungstrunk entgegenzunehmen. Der Leonhardswagen auf dem Bilde von Friedrich Prölß, das unser Holzschnitt auf S. 744 und 745 wiedergiebt, befindet sich in der Einfahrtshalle eines Tölzer Wirtshauses. Das eine der Mädchen, mit dem weißen Adlerflaum auf dem Hut, hat soeben einen frisch gefüllten Maßkrug von einem ihr befreundeten Burschen gereicht bekommen und plaudert vergnügt mit ihm, während die neben ihr stehende Schwester ungeduldig nach ihrem Schatz ausschaut. Die gegenübersitzende Freundin ist noch von andächtiger Stimmung umfangen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0771.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2023)