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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

den er in der Hand hielt, drücken wollte – schwapps – da streckte der Junge seinen Arm verlangend nach einem der lockenden Gegenstände aus, da rief die Kleine ein begehrliches „Haben – Haben!“ – und um die Aufnahme war es geschehen.

Dies alles, das mich allmählich in einen Zustand versetzte, der nicht mehr sehr ferne von Raserei war, brachte ihn auch nicht einen Augenblick aus seiner Gemütsruhe, und als ich nach einigen vergeblichen Versuchen, seinen verzweifelten Anstrengungen mit der Macht meiner väterlichen Autorität zu Hilfe zu kommen, ihm mein Bedauern aussprach, daß ihm trotz seiner aufrichtigsten Bemühungen noch nicht eine Aufnahme gelungen wäre, erwiderte er sehr befriedigt, daß er deren bereits vier gemacht habe – zwar wie sie bei der allerdings nicht zu leugnenden Unruhe der Kinder ausgefallen seien, müsse der Erfolg lehren.

*  *  *

Es war abends.

Ich kam heute zum erstenmal innerlich befriedigt und in gehobener Stimmung aus dem Bureau nach Hause. Das große Werk war ja gethan, der schwere Wurf schien gelungen.

Selbst meine größte Furcht, die Kinder könnten sich einmal über die Besuche bei dem Photographen verplappern und so meiner Frau das ängstlich gehütete Geheimnis doch noch enthüllen, zeigte sich ganz unbegründet.

Den Kindern war der eigentliche Zweck ihres Besuches, über den ich natürlich nicht zu ihnen gesprochen hatte, völlig verschleiert geblieben. Sie erzählten zu Hause sehr viel von Tante Müller und dem lieben Onkel, der ihnen all die schönen Vögel und andere herrliche Spielsachen gezeigt und den sie recht bald wieder besuchen wollten.

Auch ich war sehr erfüllt von der großen Liebenswürdigkeit des Kollegen den Kindern gegenüber, meine Frau konnte von dem wahren Sachverhalt nichts ahnen. Niemand war glücklicher als ich.

Doch wie sagt Wallenstein?

 „Frohlocke nicht,
Denn eifersüchtig sind des Schicksals Mächte –
Voreilig Jauchzen greift in ihre Rechte.“

Ein Brief! – Ich öffne.

 „Sehr geehrter Herr!
Bei der Unruhe Ihrer lieben Kinder ist von den sämtlichen Aufnahmen leider nicht eine ganz nach Wunsch ausgefallen. Ich muß daher um eine neue Sitzung ersuchen, jedoch spätestens für morgen, da ich sonst nicht imstande wäre, die gewünschten Probebilder bis zum Feste zu liefern.

Hochachtungsvoll ergebenst der Ihre  
K. Brand, Photograph.“ 

Die Worte tanzten und flimmerten vor meinen Augen – die Stunde war gekommen, wo ich beinahe so weit war, meinen eifrig verfolgten Plan endgültig aufzugeben.

Ich konnte meinen aufgeregten Zustand nicht verhehlen, und so kam es, daß meine besorgte kleine Frau mich ernstlich ins Gebet nahm und mich auf Ehre und Gewissen bat, ihr den Anlaß meiner wachsenden Gemütsverstörung zu sagen, die ihr nun mit jedem Tage peinlicher und unerträglicher würde.

Wie gerne hätte ich gesprochen, ihr mein ganzes beladenes Herz geöffnet – aber nein, das ging nicht – noch nicht!

So wählte ich den einzigen möglichen Ausweg: eine Erkältung vorschützend, legte ich mich ins Bett.

Aber erquickenden Schlaf fand ich nicht – wüste Träume störten ihn.

Mit Hähnen und Puppen, Papageien und Katzen tanzte und sang und sprang und gestikulierte vor mir der Photograph. Und als ihm alles das nichts half, da gab er mir eine große Marionette in die Hand, und ich mußte nun alles mitthun und mit ihm tanzen und singen und springen und gestikulieren, bis wir mit einem Male zu Fall kamen und ich laut aufschrie und in Schweiß gebadet erwachte und meine kleine Frau sich über mich beugte und „Du bist krank, ernstlich krank“ mit ihrer lieben, besorgten Stimme zu mir sprach, die mir wie eine Erlösung ins geqnälte Herz drang.

*  *  *

Als ich am nächsten Mittag nach Hause kam, hörte ich, daß meine Frau zum Arzte gefahren wäre und das Essen daher später bestellt hätte.

Da faßte ich einen verzweifelten Entschluß.

Ich hieß das Mädchen eine Droschke holen, las mir die Kinder in ihren ältesten Kleidern vom Fußboden auf, wo sie gerade einen ergrimmten Kampf zwischen Katze und Hund aufführten, zog ihnen ungeschniegelt und ungebügelt ihre Mäntel über, packte sie in die Droschke – und fort ging’s zum Photographen!

Natürlich traf ich im Empfangssalon, in dem die Kinder ausgezogen wurden, eine befreundete Familie und mußte mich tausendmal wegen des Aussehens der Kinder entschuldigen, ohne dieses selber damit ändern zu können. Auch dem Photographen sprach ich zaghaft mein Bedauern aus; doch der sagte lächelnd: „Das thut ja gar nichts – absolut gar nichts,“ und ehe ich mich’s versah, hatte er in der einen Hand eine Bürste, in der anderen einen Kamm und brachte das Haar der Kinder auf eine Weise in Ordnung, daß ich nichts so sehnlich wünschte, als mein Kindermädchen für einige Tage bei ihm in die Lehre zu schicken. Er machte dem Jungen einen tadellosen Scheitel und arrangierte mit einer Kunstfertigkeit, über welche nur sehr geübte Friseure verfügen, den Lockenkopf der Kleinen.

„Aber diese schrecklichen Kleider?“ fragte ich kleinlaut. „Thut nichts – gar nichts,“ sagte er sehr gleichmütig und ging an sein Werk.

Und wunderbar – sei es, daß die Kinder bereits an ihn gewöhnt waren, sei es, daß sie sich in ihren Alltagskleidern viel ungezwungener und natürlicher gaben als in dem hohen Festtagsstaate – die Aufnahme ging viel glatter von statten als das erste Mal, und als wir nach Hause kamen, hatte ich das weitere Glück, meine Frau noch nicht heimgekehrt zu finden. – – – – 000000000000000

Weihnachtsabend!

Dreimal bereits war ich im Laufe des Tages beim Photographen gewesen. Er war überhäuft mit Arbeiten – aber endlich, in letzter Stunde hatte ich meine Probebilder erhalten und eilte, den schwer errungenen Schatz am Herzen bergend, glückselig nach Hause.

Der Lichterbaum strahlt – unsichtbar, aber fühlbar doch fliegt der Weihnachtsengel durch die Luft – würziger Duft erfüllt die Stube.

Die Kinder, denen wir bereits aufgebaut haben, jauchzen und frohlocken über ihre Sachen – am meisten über die beiden krähenden Hähne, die „Onkel Müller“ ihnen zum Andenken an die unvergeßliche Stunde mitgesandt hatte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0824.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)