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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Jetzt sind wir beide nach alter Ueberlieferung an der Reihe.

Meine kleine Frau läßt es sich nicht nehmen, mir zuerst zu bescheren, obwohl ich bereits vor Ungeduld brenne und mit aller Kraft an mich halten muß, ihr mein Geschenk nicht gleich zu überreichen.

Die liebe, kleine Frau! Was für reizende Sachen sie mir aufgebaut hatte, wie fleißig sie für mich gearbeitet und sich gemüht hatte!

Und doch lag immer noch so etwas Unaussprechliches, Geheimnisvolles auf ihrem Antlitz.

„Und nun,“ sagte sie, nachdem ich meiner Freude und Dankbarkeit einen vielleicht etwas zerstreuten Ausdruck gegeben, „du Unzufriedener – hier noch eine kleine Ueberraschung – vielleicht freut sie dich mehr als alles andere!“

Ich weiß nicht, welch eine dunkle Ahnung plötzlich über mich kommt, als sie mir jetzt ein kleines Paketchen überreicht – ich weiß nur, daß ich da etwas in den Händen halte, was mir so wunderbar bekannt, so verwebt mit der innersten Geschichte meiner letzten Tage vorkommt.

Ich fasse Mut, nehme alle Kräfte zusammen und öffne!

Und siehe – vor mir liegt das wohlgetroffene Porträt meiner beiden Kinder, fast genau so umschlungen sich haltend, wie ich sie in Wirklichkeit so lange qualvolle Minuten gesehen.

Und beide glänzend im feinsten Sonntagsstaate: der Junge in dem blauen Sammetjackett, die Kleine in dem feinen gestickten Kleidchen, das ihr Tante Heim als Patengabe geschenkt.

„Ich wollte dich überraschen! Aber leicht war es wahrhaftig nicht. Weißt du noch damals, als du mir gerade dazwischen kamst und ich dir einredete, wir gingen zur Tante Heim? Und nichts hast du gemerkt, gar nichts – du lieber, kluger Mann! Aber sieh sie nur ordentlich an! Sind sie nicht reizend?“ fährt sie fort, in Thränen lächelnd.

„Reizend – ganz reizend!“

Mehr vermag ich nicht vorzubringen – meine kleine Frau schiebt es auf meine Rührung und ist zufrieden.

Ich aber fasse sie bei der Hand, führe sie an ihren Weihnachtstisch, nehme von ihm ein Päckchen, ganz ähnlich wie sie mir soeben eines gegeben, und überreiche es ihr schweigend.

Sie öffnet – ein Schrei fliegt über ihre Lippen, sie starrt die Bilder an – sprachloser noch als ich die ihrigen – erst nach langer Zeit findet sie Worte:

„Aber Mann – Mann – in diesen Kleidern?!“

Das ist das erste, was sie voller Entsetzen hervorbringt.

Da ist es um mich geschehen. Ich kann ihr nicht weiter bescheren. Ich erzähle ihr erst meine ganze, lange, verzweifelte Leidensgeschichte.

Sie horcht auf – sie schüttelt den Kopf – sie lächelt – sie lacht – selbst das Entsetzen über „diese Kleider“ haben meine Worte vertrieben. Und das will bei einer Mutter viel sagen.

„Du armer, armer Mann!“

Und sie fällt mir um den Hals und küßt mich mit einer Innigkeit, wie sie es acht Tage nicht gethan hat.

Aber die Kleider?!

Sie sieht die Bilder wieder und wieder an, sie vergleicht sie mit den ihren.

„Wunderbar –“ sagt sie endlich, „trotz der Kleider gefällt mir dein Bild viel besser ja vielleicht gerade wegen der Kleider. Die Kinder sehen hier so anders aus wie auf meinem – viel weniger feierlich. Weißt du, Mann – ganz so, wie ich sie immer vor mir sehe in der Kinderstube, so natürlich und so reizend dabei! Mann, Mann – das hast du wunderschön gemacht, obwohl ich dir eigentlich böse sein sollte, mich so zu kompromittieren vor dem Photographen und allen Bekannten – was sollen die nur von mir denken! Aber – von diesen Bildern bestellen wir zwei Dutzend – von den anderen nur wenige!“

Endlich komme ich dazu, ihr weiter die Bescherung zu zeigen. Aber sie lächelt immer dazwischen, und immer aufs neue muß ich erzählen, und immer aufs neue lacht sie hellauf und freut sich wie ein Kind.

Ich habe nie einen so schönen Weihnachtsabend verlebt wie diesen, nie meine liebe kleine Frau so ausgelassen und liebevoll gesehen, und so fand ich mich denn für meine Leiden unter dem strahlenden Christbaum reichlich belohnt.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0825.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2023)