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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Hamburg nichts zu vergeben, mit 14000 Mann und 2500 Reitern und Belagerungsgeschütz in das Lager von Ottensen eingerückt, verlangt die Erbhuldigung, die Stadtschlüssel, die Aufnahme einer Besatzung von 2000 Mann und die Zahlung von 400000 Mark und wird im Weigerungsfalle die Stadt mit Feuer und Schwert verwüsten lassen.“

Eine kleine, schwüle Pause … dann tönte es wie der Todesschrei eines getroffenen Tieres von den Bänken der Dreißiger, es war Jastrams Stimme – und Snitger, in maßloser Entrüstung, faßte den Rat Paulli und stieß ihn zur Thür hinaus.

„Alles bewaffnete Volk auf die Sternschanze,“ brüllte Jastram, „Kampf mit den Schurken, mit den Dänen bis aufs Messer!“

Snitger stand wie betäubt, das Haupt auf die Hände gestützt, in der Fensternische und starrte auf den Marktplatz hinab, wo es sich unheimlich zu regen begann; denn wie die Splitter einer platzenden Bombe hatten sich die Gerüchte von der Botschaft im Volk verbreitet und die neugierigen Gaffer ins Herz getroffen.

Die große Mehrheit der Dreißiger hatte auf Snitger und Jastram geschworen; sie kannten ihre Verhandlungen mit den Dänen; jetzt standen sie tiefbetroffen und wußten nicht, was sie davon denken sollten. Doch stürmisch regte sich jetzt die kleine, sonst stets unterliegende Partei der Meurerischen; mit lautem Gezeter machte sie ihrem Ingrimm Luft; gegen Snitger und Jastram erhoben sich geballte Fäuste und das Geschrei von Verrat erfüllte die Luft: „Reißt ihnen den Bürgermantel herunter, den Verrätern! Nieder mit den Volksverführern!“ erklang es drohend von der rechten Seite, wo der Anhang des Meurer, die Oberalten und die wenigen Patrizier, die seinerzeit in den Ausschuß gewählt worden waren, so lange unter dem Drucke der Mehrheit geseufzt hatten.

Da trat der Bürgermeister Schlüter, begleitet von zwei Ratsmännern, in den Saal. Auch dem Rat war die Botschaft mitgeteilt worden und in ihm war es zu schleuniger Beschlußfassung gekommen. Die Anträge der Lüneburger, der Hannoveraner, der Brandenburger, mit ihren Truppen die Stadt zu schützen, wurden angenommen; die jetzt verschlossenen Thore sollten ihnen weit aufgethan werden. Die Dreißiger hörten schweigend, was der Rat ihnen verkündete, fügten sich in das Unvermeidliche und gaben einmütig ihre Zustimmung.

Nicht lange währte es, so donnerten die Geschütze von der Sternschanze und die dänischen Kanonen erwiderten. Jastram kämpfte wie ein Verzweifelter in den vordersten Reihen der Verteidiger und half die dänischen Sturmkolonnen von den Wällen abwehren. Doch bald ward ihm und Snitger kundgethan, daß sie ihrer Aemter im Kriegsrat entsetzt seien, und so ward ihr Arm gelähmt, wo es die Verteidigung der Stadt galt. Doch die Bürger wehrten sich tapfer auch ohne ihre Führung; der Kanonendonner um Altona her, von dem die Fenster klirrten, hatte alles Schreckhafte verloren; denn immer von neuem kam die frohe Botschaft, daß die stürmenden Dänen zurückgeschlagen wurden.

Noch fürchtete man einen Volksaufstand, wenn man die Hand an Snitger und Jastram legte; man wartete, bis die fremden Hilfstruppen herein waren. Das war Trommelschlag und Trompetengeschmetter von morgens bis abends; bunte Fahnen und Fähnlein und allerlei Rüstungen und Waffen. Lustig wehten die Federn von den breitkrempigen Filzhüten der Offiziere; mit herausforderndem Wesen, auf den Lippen ein übermütiges Lachen, mit keckem Marschschritt und jubelnder Musik rückten die Lüneburger ein wie im Triumph, als hätten sie das trotzige Hamburg in den Staub geworfen, und hinter ihnen kamen die brandenburgischen Reitergeschwader, einige von denen, die bei Fehrbellin des Kurfürsten Banner siegreich getragen und den Schweden aus dem Lande gejagt hatten. Jetzt hatte der Rat freies Spiel; wenn die Kanonen durch die Straßen rasselten, da war’s zu Ende mit dem Volkswillen, mit allem Gerede und allen Abstimmungen; mächtig hob die Ratspartei ihr Haupt. Schon trug das Nikolaikirchspiel darauf an, die Dreißiger zu kassieren; vor allem wurde kurzer Prozeß mit den Rädelsführern gemacht, Snitger und Jastram in ihren Wohnungen verhaftet und nach dem Winserbaum gebracht. Das war ein mildes Gefängnis; hier durfte auch Katharina den Gatten sehen und sprechen – doch kein Strahl der Hoffnung drang herein, man wußte, die Machthaber waren unerbittlich. Auch Meurer regte sich jetzt von draußen und verlangte Genugthuung und strenge Befragung und Bestrafung seiner Feinde. Milder Sinn war ihm fremd; er war ein stolzer rachsüchtiger Mann; grausam war die Parteiwut, die alle wilden Gelüste der Gemüter entfesselte. Und so ohnmächtig zu sein mit all ihrer innigen Liebe, mit der heißen Sehnsucht nach Rettung! – das brach dem jungen anmutigen Weibe das Herz. Sie log dem Geliebten noch einige Hoffnungen vor, an die sie selbst nicht glaubte: es werde zum Vertrag mit dem Dänenkönig kommen und der Dänenkönig werde seine guten Freunde schützen. Snitger dachte gering von der Dankbarkeit der Menschen und der Könige und seine Stirn entwölkte sich nicht. Unter Thränen nahmen sie Abschied voneinander. Noch an diesem Tage wurden die Gefangenen aus dem Winserbaum in die Fronerei geführt, in deren elenden Kojen man sie an Ketten legte. Da wurde niemand mehr zu ihnen gelassen, kein Zeuge einer so erbarmungslosen Behandlung, eines so bemitleidenswerten Zustandes.

Inzwischen bombardierten die dänischen Geschütze die Stadt, die auf der Sternschanze blieben nicht müßig und die Ausfälle der starken Hamburger Garnison thaten den Dänen großen Schaden. Es kam zu Verhandlungen, die sich in die Länge zogen, da der König eigensinnig bei seinen Bedingungen verharrte; doch er wurde andern Sinnes, als er erfuhr, der Kaiser habe Brandenburg, Hannover und Celle-Lüneburg die Exekution gegen ihn aufgetragen und die Schweden sammelten ein Heer; auch England und die Generalstaaten rüsteten, um die Stadt zu retten, durch deren Umschließung und Bedrohung ihre Handelsbeziehungen großen Schaden litten. Da stellte der König die Belagerungsarbeiten ein und schloß einen Vergleich mit der Stadt: sie mußte um Verzeihung bitten und die Kriegskosten bezahlen; alle Schiffe, Güter, Waren und Effekten, die er mit Beschlag belegt, gab er wieder frei. So groß war der Stadt Hamburg Geltung im Weltverkehr, daß aus den Stadthändeln Welthändel wurden und zuletzt die großen Mächte Europas den Ausschlag gaben.

Rat Paulli hatte inzwischen die Stadt verlassen mit des Rats Verwilligung; doch da er bald wiederkehren wollte, war Jngeborg mit ihren Mägden zurückgeblieben, um des Hauses Aufsicht zu führen – Jngeborg, die nordische Walküre – jetzt nur ein Schatten der stolzen kampfmutigen Jungfrau, aber bereit, zum Todesritt ihr Roß zu zäumen. Der Donner der Geschütze hatte aufgehört – schon hatte sie im Geiste ihre Landesgenossen mit siegenden Fahnen in die Stadt einrücken sehen – das war der Tag der Befreiung, der Rettung, des Glückes für Jastram und sie! Doch jetzt – diese durch die Straßen ziehenden buntfarbigen Söldnerrotten, aus allen Winkeln des Deutschen Reiches zusammengelesen. Feinde Dänemarks, Feinde ihres Jastram! Vergebens hatte sie versucht, zu dem Geliebten zu gelangen, die Wache des Winserbaums hatte sie zurückgewiesen! Sie hatte ja kein Recht auf ihn, und die Tochter des dänischen Residenten war böser Zettelungen verdächtig, wenn sie sich zu ihm drängte.

In stiller Verzweiflung hing sie ihren Gedanken nach – vor ihren Augen stand schwarzumhangen das Blutgerüst – und neben Jastram der Henker. Oft um Mitternacht noch schritt sie ruhelos durch das Haus, durch den Garten im leichten Nachtgewand, trotz der empfindlichen Kühle. Die Nachbarn glaubten ein Gespenst zu sehen und die Mägde baten sie fürsorglich, ins Haus zurückzukehren. Auf ihrer Lagerstatt hatte sie wüste Fieberträume – einmal erschien es ihr, als grüben die Totengräber tief und immer tiefer in die Erde, und da holten sie etwas heraus, eine Kiste – sie konnte nicht recht sehen, was sie enthielt: es funkelte darin wie Edelsteine – da tönte aber ringsum von Himmel und Erde der Ruf: „Jastram ist unschuldig!“

Ein sinnloser Traum ein wüstes Gebild der Phantasie! Sie erzählte ihn ihrer treuesten Magd Dagmar, welche aufmerksam zuhörte und dann ihre Herrin betroffen anstarrte. „Das ist nicht so tolles Zeug, wie Sie glauben. Das kann seinen rechten Schick haben, wenn man’s gehörig anpackt. Ich habe ja selbst gesehen, wie der Resident, Ihr Vater, dort unter der Linde im Garten eine Kiste vergrub – und vorher hatte ich ihn droben Akten und Papier einpacken sehen.“

Jngeborg stand wie im Bann ihrer Träume; sie hörte nichts als den Ruf: „Jastram ist unschuldig!“ Gewiß, in der Kiste lagen die Beweise seiner Unschuld! Das kam über sie wie eine Offenbarung. Sie raffte sich auf aus ihrer verträumten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0864.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2023)