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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

den bescheidensten Ansprüchen, und da bei einem Besuche der gnädigen Frau Baronin nur dieses eine Zimmer in Betracht kommen kann – Frau Baronin können doch nur im Fürstenhause selbst absteigen, auch liegt das Zimmer auf dem gleichen Flur mit den Zimmern Seiner Durchlaucht –, so werde ich einem verläßlichen Menschen in Innsbruck sofort den Auftrag geben, bis zum Eintreffen der gnädigen Frau Baronin alles Nötige zu beschaffen, damit das Zimmer vollkommen würdig des zu erwartenden Gastes gestaltet werden kann. Da diese Aenderung ohne Wissen Seiner Durchlaucht ausgeführt werden muß, bitte ich gnädige Frau Baronin unterthänigst, meine Eigenmächtigkeit Seiner Durchlaucht gegenüber zu vertreten und vielleicht die Sache so darzustellen, als hätte ich mich von der gnädigen Frau Baronin nur deshalb für diesen delikaten und vertraulichen Auftrag gewinnen lassen, weil es sich um eine freudige Ueberraschung für Seine Durchlaucht gehandelt hätte.

Sonst habe ich Wichtiges nicht zu melden. Nur noch das Eine, daß Durchlaucht heute früh in Innsbruck mit Herrn von Sensburg zusammentrafen und selben sehr ungnädig behandelten, wofür sich Herr von Sensburg in gewohntem Takt mit doppelter Liebenswürdigkeit revanchierten. Hier in dieser menschenverlassenen Wildnis sind Begegnungen, welche die gnädige Frau Baronin interessieren und möglicherweise beunruhigen könnten, durchaus nicht zu befürchten.

Doch hatten wir heute abend, bei der Vorliebe Seiner Durchlaucht für einsame Spaziergänge, bereits einen kleinen Schreck zu überstehen. Durchlaucht hatten gegen sechs Uhr das Jagdhaus verlassen, wohl um sich etwas Motion zu machen, für halb acht Uhr war das Diner befohlen, aber es wurde acht Uhr, es wurde finster …“

Martin hielt im Schreiben inne und blickte zur Decke hinauf.

Dort oben waren die hin und her wandernden Schritte verstummt. –

Der Fürst hatte sich wieder zum Schreibtisch gesetzt, um seinen Brief zu vollenden.

„Ich sinne und sinne, aber mir will die Erleuchtung nicht kommen,“ schrieb er. „Arbeit! Ja! Mich sehnt nach ihr. Und nicht nur deshalb, weil ich von Jugend auf an sie gewöhnt wurde. Ich glaube doch wohl, daß sie fürs Leben eine Notwendigkeit ist, wie Luft und Freude. Aber da seh’ ich Dich lächeln, Du liebenswürdigster aller Residenzbummler, und höre Dein paradoxes Lieblingswort: Arbeit ist ein Fluch, das hat schon die Bibel gesagt, und das ist ein kluges Buch! Aber all Deinem schlendernden dolce far niente zum Trotz weiß ich doch, daß Du im Grunde Deiner Seele anders denkst. Das ist ja überhaupt Deine Art so: anders zu sprechen, als Du denkst – nein, so gesagt wär’s eine Unhöflichkeit – ich hätte schreiben sollen: anders zu denken, als Du sprichst! Aber mir gegenüber hast Du ja immer eine Ausnahme gemacht.

Thu’ es auch jetzt! Gieb mir einen Rat! Was soll ich beginnen, um aus meinem in die Irre geratenen Leben einen Zweck zu machen? Und giebt es für mich keine Arbeit, welche Ziel und Zweck hat – gut, so will ich das Zwecklose schaffen. Aber schaffen will ich. Nur schaffen! Und hätt’ ich auch keinen besseren Dank davon als einen müden Abend und einen festen Schlaf. Doch was soll ich? Ins Regiment zurück? Noch heute, wenn Krieg in Aussicht wäre! Aber für die Parade und den bewaffneten Frieden dienen? Nein! Oder soll ich mich ins Parlament wählen lassen? Ich wüßte nicht, für welche Partei, denn was ich politisch denke, verträgt sich mit keiner. In mir mischt sich der Absolutist mit dem extremen Republikaner. Ich müßte heute mit den Junkern stimmen und morgen mit den Sozialisten! Eine parlamentarische Unmöglichkeit! Nein, ich danke! Aber Holzhacken, wörtlich und bildlich genommen, kann ich doch nicht – dazu sind meine Hände nicht robust genug. Da wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als daß ich mich auf meine Scholle setze. Seinen Acker mit Verstand bewirtschaften und seinen Besitz bei gesundem Leben erhalten, das ist doch schließlich auch eine Arbeit, die ihren redlichen Zweck hat. Und auf meinen Gütern beschäftige ich ein paar hundert Menschen! Für die als Herr zu sorgen, ihr Dasein zu einem menschlich erträglichen, nach Möglichkeit zu einem behaglichen zu machen – ist das nicht auch ein Zweck? Dazu noch ein guter? Für die große Menschheit arbeiten zu wollen, ist Donquichoterie – aber meine paar hundert Leute daheim, das ist eine Menschheit im kleinen, und für die kann ich arbeiten.

Daheim? … Aber hab’ ich denn noch ein Daheim? Mein Haus in der Stadt ist mir verleidet. Und unser schönes Bernegg? Seine Mauern sind mir tot geworden, seit das Leben erlosch, das in ihnen wirkte – seit meine Mutter starb. Ich kann mir nicht denken, wie ich dort leben soll … ich, und allein! Das wirst gerade Du mir nachfühlen können. Ich weiß doch, wie hoch Du von meiner Mutter dachtest, als sie noch lebte, und welch’ ein ehrendes Andenken Du ihr über den Tod hinaus bewahrst. Wenn ich mit Dir plaudre von ihr, wird Dein spottendes Auge ernst und Dein sarkastisches Lächeln ein anderes, das völlig Deine Züge verwandelt.

Und vor Jahren, wenn Du mir von allem Lob das Beste sagen wolltest … weißt Du es noch? … dann sagtest Du zu mir: ‚Du Sohn Deiner Mutter!‘ Das Lob war unverdient. Wie viel hat meine Mutter mich gelehrt, und wie wenig hab’ ich gelernt von ihr! Was sie aus der Tiefe ihrer Seele gab, das hab’ ich nur äußerlich angenommen, und es fiel bei der ersten stürmischen Lebensprobe wieder ab von mir, wie die Patina von einer Bronze, die in neues Feuer kommt! Diese klare, ruhige Harmonie des Lebens, dieses stete Versöhnen und Sichbescheiden, diese willensstarke Fähigkeit, in allem Unglück noch ein Glück zu erkennen und eine Freude auch noch im bittersten Weh zu finden – das war dem Wesen meiner Mutter angeboren.

Sie hatte das, wie man Augen hat, mit denen man sieht, und Sinne, mit denen man fühlt. Und all dieses Stille, Ruhige floß von ihr auf den einsamen und verschüchterten Knaben über, aus jedem Druck ihrer linden, zärtlich führenden Hand, aus jedem Blick, der mit Liebe auf mir ruhte. Aber es wurzelte nicht in meinem Herzen, es war bei mir nur ein Angelerntes und war vergessen bei der ersten verwirrenden Frage, mit der mich das Leben prüfte!

Ob es wohl auch so gekommen wäre, wenn ich die Mutter nicht verloren hätte? Nein! Nein! Ihre lebende Nähe wäre mir ein Schutz gegen jeden häßlichen Aufruhr meines Blutes gewesen. Denkst Du noch an unseren alten Suttner, der früher auf Bernegg als Förster in der einsamen Hirschau diente? Im Jähzorn mißhandelte er seine Frau und seine Kinder und machte seinen Untergebenen den Dienst zu einer Marter. Da nahm ihn meine Mutter als Wildmeister des Parkes ins Schloß – und ihre Nähe, ihr Blick verwandelten den Wüterich in einen ruhigen Menschen. Hätte meine Mutter noch gelebt, ich weiß, es wäre nie geschehen, was ich jetzt, da ich mit allem Katzenjammer einer Menschenseele von diesem Rausch ernüchtert bin, mit Fäusten hinausstoßen möchte aus meinem besudelten Leben.

Aber als dieser Irrsinn meines Herzens begann, da ahnt’ ich ja nicht, wie er enden würde. Da war ein Fühlen in mir, als hätt’ ich das Heiligste, das Schönste und Herrlichste des Lebens gefunden. Und wenn ich zurückdenke an jene Zeit, an jenes selige Zittern und Hoffen, an den ganzen Feuersturm des ersten Gefühls, dann wird es mir schwer, zu denken: ich hätte bedächtig und besonnen meine glatte Straße gehen und mir ein angenehm temperiertes ‚Glück‘ mit ruhiger Ueberlegung schaffen können, um Sommer für Sommer als guter Mann meiner guten Frau kohlbauend auf meinem Gut zu sitzen und während des Winters in der Stadt keine Opernpremiere, keinen Rout und keinen Hofball zu versäumen.

Ach, Liebster! der Gedanke, daß solch ein ‚wohlgeordnetes‘ Glück mich hätte treffen können, weckt in mir ein gelindes Grauen – und dennoch steckt es in mir wie ein Gefühl der Klage, wie ein reuevoll schmerzliches Bedauern, daß es nicht so kam! Aber wenn ich es auch ‚so gut‘ gefunden hätte? Wäre dieses windstille Treibhausglück wohl auch von Dauer gewesen – bis zu einem sanften, in Gott ergebenen Lebensabend? Vielleicht hätte sich auch dann einmal in dunkler Stunde das Blut meines Vaters in mir geregt, um mit roher Faust die ganze gläserne Herrlichkeit in Scherben zu schlagen, irgend einem Unwert oder einer Häßlichkeit zuliebe?

Mein Vater! – – das Wort ist kalt für mich – ist mir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0012.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2023)