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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Nun können Sie denken, fuhr die Frau fort, was für ein Aufsehen das im Dorf gemacht hat. Die Einen nahmen Partei für den Firmian, zumal sie sich ungern das Freibier und die sonstigen Hochzeitsfreuden entgehen ließen, die Schadenfrohen, die der reichen Schlafhaube das Mädel nicht gegönnt hatten, hielten zu dem Veit, der übrigens keine Aufmunterung brauchte, sondern im stillen entschlossen war, um jeden Preis den andern auszustechen und die Johanne für sich zu behalten.

Was in Firmian vorging, erriet niemand. Die meisten dachten, seine zahme Gemütsart werde ihn auch diesmal dahin bringen, zurückzutreten und auf das Mädel zu verzichten. Denn bis zum neuen Jahre einen neuen Menschen anzuziehen konnte er nicht wohl hoffen. Er hielt sich, wenn er nicht auf dem Felde zu thun hatte, in seiner Kammer eingeschlossen, vermied auch im Hause, so viel es ging, dem Vater unter die Augen zu kommen, der ihm beständig mit stachligen Reden und offenbaren Schimpfworten zusetzte, daß er sich von einer wetterwendischen Dirne und einem hergelaufenen Lumpen so schmachvoll behandeln ließ, und nur die Mutter, die aber im Hause nichts zu sagen hatte, schlich heimlich zu ihm und suchte ihm mit Weinen und Bitten das Herz aufzuschließen. Auch gegen sie aber verriet er mit keinem Wort, was er brütete.

Bis es denn eines Tages schrecklich ans Licht kam.

*      *      *

Die alte Frau schöpfte eine Weile Atem und zog den wollenen Shawl dichter um ihre gichtgeschwollenen Kniee. Dann sagte sie:

Ja, lieber Herr, wer hätte sich das träumen lassen, von diesem Firmian, dieser „Schlafhaube“! Aber stille Wasser sind tief.

Ich selbst wußte, seit ich zuletzt mit meiner Pate gesprochen hatte, nicht das Geringste von allem, was indessen auf dem Dorf geschehen war, nicht einmal, daß der Veit sich wieder gezeigt hatte. Als der zur Hochzeit bestimmte Sonntag herangekommen war, dachte ich nicht anders, als daß nun die Dinge ihren Lauf haben würden, der mir so sehr gegen den Strich ging, und als ich mich mittags mit meinem Mann zu Tische setzte, sagte ich: Jetzt ist’s geschehen, Martin, und sie muß ausessen, was sie sich gekocht hat. Ich danke nur Gott, daß ich nicht dabei zu sein brauche, wenn sie zum erstenmal als junge Frau neben dem langweiligen Menschen den Löffel in die Suppe taucht.

Mein Mann, der auch an der Johanne hing, wie an einer eigenen Tochter, sagte: Vielleicht geht’s doch besser aus als du meinst. Dir wäre keiner gut genug für sie gewesen. – Ich wußte aber, er redete anders, als er dachte; ihm that’s ebenso leid wie mir, daß sie nun für unsern Franz verloren war.

Nun, wir hatten kaum abgegessen, da kam eine Bekannte von mir aus dem Dorf ins Zimmer gestürzt und war noch ganz auseinander von dem Schrecken und nur zu mir in die Stadt gelaufen, daß ich der Mutter der Johanne zu Hilfe kommen möchte, die mit ihrem schwachen Kopf sich nicht zu raten und zu helfen wußte.

Denken Sie, was geschehen war.

Am Morgen nach dem Gottesdienst war die Johanne mit anderen Mädchen aus der Kirche getreten. Die Buben standen schon draußen auf dem kleinen Friedhof, unter ihnen der Veit. Der tritt lachend nach seiner übermütigen Manier auf das Mädel zu, macht seine militärische Reverenz und bietet ihr ein paar rote Nelken an, die sie auch ohne weiteres nimmt und vorne in ihren Brustlatz steckt. Gesprochen haben sie weiter nichts miteinander. In demselben Augenblick schiebt der Firmian, der zuhinterst bei den Buben gestanden hatte, die Vorderen beiseite, tritt auf den Veit zu und sagt ihm mit rollenden Augen und heiserer Stimme, er habe ein Wörtchen mit ihm zu reden. So viel du willst, sagt dieser und streicht sich den kleinen Schnurrbart, indem er den anderen zuzwinkert. Alle merken gleich, daß es mit dem Firmian nicht ganz richtig ist, und wollen den Veit abhalten, sich hier an dem heiligen Ort mit ihm einzulassen. Der aber war seinem Feinde schon gefolgt, bis an die Mauer des Gottesackers, da bleiben sie stehen, und man hört den Firmian in den andern hineinreden, erst ganz leise, dann immer hitziger, zuletzt wie er ganz rasend wird und schreit: Ich verbiete dir, mit meiner Braut überhaupt noch ein Wort zu reden! Gleich heute machst du, daß du weiter kommst, und wenn du dich jemals wieder hier im Dorf blicken läßt, schieß’ ich dich über den Haufen, wie einen tollen Hund!

Oho! sagt der andere, dazu gehören zwei, mein Lieber. Wenn die Johanne mir nicht das Maul verbietet, hat kein Mensch dreinzureden. Du hast einen Rausch, Freundchen, du kannst nicht viel vertragen. Geh’ heim und leg’ dich aufs Ohr! – und noch ein paar so anzügliche Reden.

Der Firmian wird weiß im Gesicht wie die Friedhofsmauer. Es schien, er wollte noch was sagen, aber er keuchte bloß wie einer, der ersticken will, und auf einmal hörte man zwei Schüsse, rasch nacheinander und sah, wie der Veit mit blutbespritztem Gesicht, die Arme durch die Luft schlagend, zusammenbricht und vornüber auf die Grabhügel hinsinkt.

Heilige Mutter Gottes – Veit! hört man die Johanne rufen, und sie will wie eine Verzweifelte zu ihm hinstürzen, aber eine Ohnmacht raubt ihr die Kraft, sie fällt besinnungslos ihren Kameradinnen in die Arme, die schaffen sie eilig nach Hause. Den Firmian, der mit einem blöden Lachen ganz ruhig dasteht, packen gleich einige der Buben, und er läßt sich auch geduldig abführen. Andere trugen den Veit in die Kirche; der Bader war gleich zur Hand, er konnte aber nichts machen. Die erste Kugel hatte die Brust nur gestreift, die zweite aber die Stirn getroffen und steckte noch in dem Schädel.

Als ich zu meiner Gevatterin hinauskam, fand ich, wie Sie denken können, das ganze Dorf in Aufruhr. Den Thäter hatte man schon von Polizeiwegen festgenommen und ins Gefängnis gebracht. Sein Opfer lag noch vor der Kirchenthür auf einer Bahre; der Wirt, bei dem er logiert hatte, hatte die Leiche nicht in sein Haus nehmen wollen.

Die Johanne konnt’ ich nicht sehen. Sobald sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie alle, auch die Mutter, aus der Kammer getrieben und sich eingeriegelt. Auf keine Bitte oder Frage gab sie Antwort.

Ich blieb die Nacht und den folgenden Tag draußen, dann mußte ich wieder in mein Haus zurück, ohne das Begräbnis abzuwarten, zumal ich auch meine Pate nicht zu sehen bekam. Ich hörte dann, erst nachdem der Veit bestattet war sei die Johanne wieder zum Vorschein gekommen, aber stumm und starr wie ein gemaltes Bild, habe auch das Haus seitdem nicht verlassen und sich um den Stall und die Feldarbeit nicht mehr gekümmert. Nur um die Mutter, die der Schrecken aufs Krankenlager geworfen, habe sie sich gesorgt und nachts bei ihr gewacht, doch immer ohne ein Wort zu reden.

Dann, als die Sache vors Gericht kam, mußte sie freilich als Zeugin den Mund aufthun, gestand auch, sie fühle sich schuldig, da sie dem Veit Hoffnungen gemacht habe, trotzdem sie mit seinem Mörder versprochen gewesen sei. Daß sie selbst straflos ausging, wollte sie erst nicht glauben und sagte dem Firmian alles Gute nach, mehr als sie selber für wahr halten mochte. Das half aber so wenig als die Rede des Verteidigers, der die geminderte Zurechnungsfähigkeit behauptete und seinen Klienten überhaupt als schwachsinnig hinstellen wollte. Damit kam er aber nicht durch. Denn der Firmian selbst blieb dabei, er habe die That mit vollem Bewußtsein gethan, den Revolver nur zu dem Zweck gekauft, den verhaßten Menschen aus der Welt zu schaffen, wenn er nicht gutwillig sich selbst aus dem Wege räumte. Und wenn er jetzt geköpft würde, sei’s ihm ganz recht; denn ohne das Mädel könne er doch nicht weiterleben.

Die Geschworenen schienen sich aber zu erbarmen, und er wurde nicht des Mordes, sondern nur des Totschlags schuldig befunden, und statt zum Tode zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Er hörte den Spruch an, ohne eine Miene zu verziehen. Nur als die Johanne, die selbst wie eine verurteilte arme Sünderin dagesessen hatte, auf ihn zuging, ihm die Hand hinhielt und etwas zu ihm sagen wollte, stieß er einen dumpfen Laut aus, in sein fahles Gesicht schoß das rote Blut, und mit beiden Armen wehrte er sie ab, als ob sie eine Pestkranke wäre. Dann ließ er sich ruhig abführen.

(Schluß folgt.     )


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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0027.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)