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Kriege berühmt gewordenen Feldmarschalls Graf Johann Philipp Cratz von Scharfenstein, der, von Tilly bevorzugt, von Wallenstein aber gehaßt, schließlich das kaiserliche Heer verließ und zu den Schweden übertrat. Später gefangen genommen, wurde er nach Wien gebracht und dort enthauptet. Von dem Amtmann Anton Cratz von Scharfenstein ist aus dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts ein eigenartiger Bericht erhalten. Er betrifft eine Reihe von Abenteuern, die der Ritter im Laufe eines Jahres erlebt haben soll und die damals am Rheine viel Aufsehen erregten. Sie bilden eine geschichtlich beglaubigte Tragikomödie des Aberglaubens und gewähren uns so recht den Einblick in die unbeschreibliche Leichtgläubigkeit der weitesten Kreise in der düsteren Zeit der Hexenprozesse. Der ausführliche Bericht über die wundersamen Erlebnisse des Amtmanns von Stolzenfels ist in dem „Rheinischen Antiquarius“ abgedruckt. Wir geben ihn zunächst im Auszuge wieder.

Es war am Allerheiligenabend des Jahres 1589. Anton von Scharfenstein saß ermüdet von der Jagd bei einem Becher guten Weins, als plötzlich laut und heftig an die Schloßpforte geklopft wurde. Bald darauf trat der Türmer ein mit der Meldung, es sei ein Bote der Aebtissin zu Marienrod da; sie lasse bitten, ungesäumt ins Kloster zu kommen, keine Entschuldigung, welche es auch sei, würde angenommen. Obwohl dem Ritter das Verlangen höchst ungelegen kam, wagte er doch nicht, es abzulehnen, ließ sein Pferd satteln und begab sich in Begleitung eines Reitknechts, Namens Martin, auf den Weg. Es war finstre Nacht, die nur etwas durch die schwache Mondsichel erhellt wurde; denn man hatte junges Licht. Später bedeckte Gewölk den Himmel, und der Amtmann ritt mit seinem Begleiter in völliger Dunkelheit weiter. Sie hatten ihrer Meinung nach den Waldsaum erreicht, als sie zwischen den Bäumen ein großes, hell erleuchtetes Gebäude sahen. Verwundert hielt Scharfenstein sein Pferd an und wandte sich fragend an den Knecht. „Was kann’s anders als das Kloster sein,“ entgegnete dieser. Das schien dem Ritter in Anbetracht des kurzen Weges eine Unmöglichkeit; dennoch verhielt es sich so. Die Klosterpforte wurde geöffnet, und Martin blieb bescheiden beiseite, während sein Herr in den vordern Hof einritt. Huberta, eine Laienschwester, stand, eine Leuchte in der Hand, zu seinem Empfange bereit. Was den Ritter aber sehr wunderte, war, daß die Fenster des Klosters alle hell erleuchtet waren. Um schnellere Erklärung des sonderbaren Vorganges zu finden, schwang er sich rasch vom Pferde, warf die Zügel dem nächsten Klosterknechte zu und eilte die Stiegen hinan, zum Refektorium. Neue Ueberraschung! Ein seltsames Geräusch schallte ihm entgegen, ein Gemurmel und Summen wie von tausend Stimmen, als gälte es, ein großartiges Fest zu begehen! Rasch reißt Scharfenstein die Thür zum Refektorium auf; aber geblendet und überrascht bleibt er wie angewurzelt auf der Thürschwelle stehen und sieht, was er weder erwartet hat noch erklären kann: in strahlendem Glanze liegt der weite Raum vor ihm. Festlich geschmückte Menschen wogen in buntem Getümmel umher.

Seines Hauskleides unter den geputzten Menschen sich fast schämend, suchte der Ritter zu der Aebtissin zu gelangen. Aber vergebens! Glaubte er seinem Ziele nahe zu sein, so drängte sich ein Strom Menschen vor ihn, daß er Not hatte, sich aufrecht zu erhalten. Als er wieder einmal im Begriff war, die Aebtissin anzureden, wurde er von einem Strudel erfaßt und fand sich schließlich im Nebensaale. Dort saß an langer, festlich gedeckter Tafel eine zahlreiche Gesellschaft. Die gefüllten Becher kreisten umher. Eben wollte eine dem Ritter bekannte Dame, die Jungfrau von Merl, den Becher an die Lippen führen, als sie den von Scharfenstein gewahrte. Schnell sprang sie auf, eilte mit den Worten „Willkommen, mein Cratzchen“ auf ihn zu, in der unverkennbaren Absicht, ihren Gruß durch eine Umarmung zu bekräftigen. „Dies wäre mir,“ berichtete nachmals ganz treuherzig Anton von Scharfenstein selbst, „unter andern Umständen so unlieb nicht gewesen, aber vor den vielen Menschen mich küssen zu lassen, das wollte mir nicht recht anstehen. Die rechte Hand hielt ich ihr also wie abwehrend entgegen, während ich mit der linken, warum, weiß ich nicht, in die Tasche fuhr und einen Bündel welke Kräuter, Raute und dergl., so ich darin trug, erfaßte. Augenblicklich schwand alles wie ein Trugbild. Fort waren der glänzende Saal, die festlich geputzte Menge, die köstlichen Speisen und die silbernen Geschirre. Auf schmutzigem, altem Holztische flackerte eine kleine Oellampe.“ Erschreckt suchte der Ritter zu fliehen und gewann glücklich die Schwelle des Refektoriums. Da stand plötzlich wieder Jungfrau Merl vor ihm, schöner und lieblicher als je. In süßem Gekose hing sie sich an seinen Arm und drängte ihn sanft zum nächsten Fenster hin, das sie hastig öffnete. Nun schien die zarte Gestalt zu wachsen, sie dehnte und reckte sich zu Riesenhöhe empor, erfaßte den Scharfensteiner mit eisernem Griff und schleuderte ihn durch das geöffnete Fenster in die dunkle Nacht hinaus. Dabei, heißt es in seinem eignen spätern Berichte, habe ihn die Besinnung verlassen; nur sei es ihm mehrmals vorgekommen, als schleiche er über ein ungeheures Wasser, in steter Gefahr, zu versinken.

Als er wieder zu sich kam, ging eben die Sonne auf, und er sah sich mitten in einer Heide, die an einer Seite von ziemlich kahlen Bergen begrenzt war. „Dorthin,“ erzählt der Scharfensteiner, „lenkte ich meine Schritte, da ich zwischen den Bergen Rauch aufsteigen sah. Plötzlich sprengten aus der Ferne mehrere Reiter auf mich zu, ihnen vorauf ein großer Mann in einer mir fremden Kleidung. Ich eilte ihm entgegen, um nach Auskunft über die Gegend zu fragen, als zwei seiner Begleiter von den Pferden sprangen und mich zu Boden schlugen. Dabei hörte ich einigemal den Ausruf ,Gaur‘.“ Wie lange er dagelegen, wußte der Ritter nicht, aber nach und nach fing die Sonne an heiß zu werden, und der Unglückliche erhob sich und wankte weiter einem Dorfe zu. Dort wurde er nicht viel besser empfangen, und ebenso ging es auch in den nächsten Tagen, so daß es ihm kaum gelang, kümmerlich sein Leben zu fristen. Zuletzt fiel er einer Räuberbande in die Hände, welche ihn in eine Höhle schleppte. Daselbst blieb er eine Zeit lang, und die Räuber brachten ihm währenddessen die Elemente ihrer landesüblichen Kochkunst bei, natürlich unter aufmunternder Anwendung von Prügeln und allerhand sonstigen Mißhandlungen. Ebenso lernte er ihre Sprache, die sich nachmals als die türkische erwies. Ein Liedchen, das er dort häufig hörte, hat er später mit an den Rhein gebracht. Das Höhlenleben nahm nach einiger Zeit ein böses Ende für die Räuber. Sie wurden von der bewaffneten Macht in ihrem Zufluchtsorte belagert und mußten sich, da es ihnen an Wasser fehlte, ergeben. Der Scharfensteiner fand insofern Gnade, als er nach der nächsten Stadt in die Sklaverei verkauft wurde. Dort ging er aus einer Hand in die andere und kam zuletzt nach Konstantinopel in das Haus des Großveziers. Daselbst mußte er anfangs im Garten arbeiten, brachte es aber mit der Zeit bis zum Obergärtner. Als solcher erregte er das Interesse einer Dame des Harems, die in dem Obergärtner einen Abendländer erkannte. Sie vertraute ihm, daß auch sie das Kind einer christlichen Mutter sei, und beide verabredeten einen Plan zur Flucht. Schwer ist es, sich vorzustellen, wie dieser hätte ausgeführt werden können; auch kam man gar nicht so weit, denn der Plan wurde verraten. Was aus der Dame geworden, wird nicht gesagt. Dem Scharfensteiner aber wurde die Wahl gestellt, entweder zum Islam überzutreten oder den Tod zu erleiden. Wie er nachmals erzählte, habe er sich ohne Schwanken für letzteres entschieden. In einem feuchten Kerker mit schweren Ketten belastet, harrte der Verurteilte des letzten Tages und schlief ermattet ein. Als er wieder erwachte, fühlte er einen lebhaften Wind und hörte Pferdegewieher. Er sprang auf und sah sich zu seinem Erstaunen im Freien, ohne Ketten, am Ufer eines großen Stromes. Hände und Füße schmerzten ihn aber aufs äußerste, da sie von den Ketten wund gerieben waren. Um den Hals fühlte er noch einen schweren eisernen Ring. Er that nun mehrere Schritte vorwärts und kam zu einer kleinen Treppe. Hier erkannte er zu seinem größten Erstaunen, daß er sich beim Königsstuhl zu Rhens am Rheine befand. Ein Pferd, dem seinigen ähnlich, aber abgemagert und in kläglichem Zustande, war in der Nähe an einen Pfeiler angebunden. Er nahm es beim Zaume und gelangte mühsam zu dem nahen Stolzenfels.

Es war am Allerseelentage 1590, als Anton Cratz von Scharfenstein dort wieder eintraf. Ein Jahr war vergangen seit seinem Ausritt zum Kloster Marienrod. Man hielt ihn längst für tot; denn die umfassendsten Nachforschungen hatten keinerlei Anhaltspunkte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0050.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2023)