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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Blumen hier gedeihen in Ihrer Pflege, sie sind schöner als die anderen dort oben und draußen im Wald.“

„Gewiß nicht. Sie sehen in der Blüte nur reicher aus, weil sie dichter stehen. Ich thue ja nicht viel mehr, als daß ich sie wachsen lasse.“

„Da sind Sie aber wirklich zu bescheiden. Und wie sehr diese Blumen die Pflege Ihrer Hand empfinden, kann ich Ihnen gleich beweisen. Hier …“ Ettingen nahm das kleine Rosensträußlein, das ihm Pepperl beim erlegten Hirsch gegeben, von seinem Hut, „ich habe ein paar Almrosen von dort oben mit heruntergebracht. Sehen Sie nur, wie klein diese Blüten sind und wie matt in ihrem Rot! Die sind ja mit den Almrosen, die Sie hier im Garten haben, gar nicht zu vergleichen. Wie groß und üppig die Kelche hier sind, wie feurig in der Farbe!“

Sie hatte zur Bank hinübergeblickt und lächelte, als sie seine Blumen sah. „Das ist richtig, ja. Aber der Unterschied kommt nicht von meiner Pflege, er liegt in der Gattung. Was Sie dort haben, das sind die gewöhnlichen Steinrosen, aber die meinen hier, das sind Edelrosen.“

„Edelrosen? So giebt es eine Aristokratie auch unter den freien Bergblumen?“

„Sie scheinen kein allzu eifriger Hochtourist zu sein, weil Sie diesen Unterschied nicht kennen. Sehen Sie …“ Lolo stellte die Kanne nieder, brach von den mit glühenden Blüten übersäten Rosenstauden einen der schönsten Zweige und kam zur Bank. „Der Unterschied ist am besten an den Blättern zu erkennen. Das Blatt der Steinrose hat mattes Grün und ist behaart, die Blätter der Edelrose sind glatt, von tiefem, wachsglänzendem Grün und auf der Unterseite braun angeflogen. Hier, vergleichen Sie nur …“ Sie reichte ihm das Rosenzweiglein und sagte dabei lächelnd: „Sie sind wohl erst kurz aus der Stadt gekommen? Und noch nicht lange in den Bergen?“

„Seit drei Tagen erst. Aber nun, mein Fräulein, da ich bereits Ihren Namen kenne …“

„Sie kennen meinen Namen?“

„Zur Hälfte hab’ ich ihn hier auf dem Baum gelesen … dann kam der Bub und grüßte Sie: Fräulein Petri! Da darf sich wohl auch Ihr dankbarer Gast Ihnen vorstellen: Ich heiße Heinz Ettingen.“

Sie nickte flüchtig, als wäre sein Name für sie etwas Nebensächliches – ein Name, den sie hörte, um ihn wieder zu vergessen.

„Und da leben Sie nun hier so allein den ganzen Sommer?“

„Den ganzen Sommer nicht, aber doch jede Woche ein paar Tage.“

„Aber in diesen paar Tagen sind Sie doch immer allein?“

„Heuer, ja, heuer bin ich allein,“ erwiderte sie leis und neigte das Gesicht.

„Daß Ihnen die Tage nicht zu lang werden, das begreif’ ich. Es ist ja so wunderbar schön hier. Jede Stunde muß Ihnen eine Fülle tiefer Eindrücke und reicher Gedanken bringen. Und doch … so einsam hier auszuhalten, dazu gehört für ein junges Mädchen ein seltener Mut.“

Das schien sie nicht zu verstehen. „Mut? Warum Mut?“ fragte sie verwundert. „Ist man nicht am sichersten, wenn man allein ist? Und was sollte ich denn hier zu fürchten haben? Der Sommer in den Bergen hat keine Gefahr, wenigstens hier in dieser Höhe nicht … und der Platz hier, auf dem mein Häuschen steht, ist sicher gegen Wildwasser. Lawinen und Schneestürme giebt es im Sommer nicht. Und eine Gewitternacht? Da sitz’ ich am liebsten dort auf der Thürschwelle und schaue hinaus in das Toben und Leuchten … und kann mich nicht sattsehen an den wundervollen Bildern, die jeder Blitz in der Finsternis lebendig macht.“

„Aber die Menschen, die der Zufall vor ihre Thüre führt? Und alle Menschen, mein liebes Fräulein, alle sind doch nicht gut!“

„Die Leute in der Gegend kennen mich, und ich kenne sie und weiß mit ihnen umzugehen … Und die fremden Touristen, die manchmal vor meine Thür kommen? Das sind nette, manierliche Menschen, mit denen ich gerne plaudere … wenn ich auch keine Sehnsucht habe nach der Stadt, so hör’ ich doch gerne von ihr erzählen. Und wer Freude an der Natur hat, der hat auch immer ein gutes Herz. Und wenn manchmal einer kam, der ein bißchen übermütig und ein wenig zudringlich wurde, weil er sah, daß ich allein war und jung bin und nicht häßlich …“

„Sehen Sie,“ rief Ettingen, und seine Stimme klang seltsam verändert, als hätte ihn plötzlich eine bange Sorge um dieses schöne, einsame Geschöpf befallen, „sehen Sie, das ist also doch schon geschehen!“

„Nicht oft!“ Sie blickte freundlich zu ihm auf, als hätte sie gefühlt, was aus dem Klang seiner Stimme redete. „Aber dann hab’ ich auch immer noch das rechte Wort gefunden, auf das sie hörten.“ Sie lächelte. „Nein! Ich habe nichts zu fürchten hier. Die einzige Sorge, die ich hier habe, geht nur meinen Garten an. Den, freilich, den haben sie mir manchmal bös geplündert, wenn ich ein paar Tage fort war. Wenn ihnen die Blumen nur Freude machten … in Gottesnamen! Ich hab’ mir wieder neue geholt von da draußen. Nur das Edelweiß … sehen Sie, dort auf dem Steinhügel, da hab ich ein paar Stückchen eingepflanzt … das Edelweiß ist im Wettersteingebirg so selten, und ich bekomme nur manchmal von den Jägern ein Stöcklein … aber ich kann mit aller Müh’ und Pflege kein Blümchen aufbringen. Kaum guckt ein Sternchen heraus, da ist’s schon wieder weg … mitgenommen von einem, der’s gefunden hat. Da muß ich mir eben denken: wer drunten im Thal das weiße Sternchen auf seinem Hut herumträgt, hat vielleicht an ihm noch größere Freude, als ich sie gehabt hätte. Nein! Sonst hab’ ich hier nichts zu fürchten. Und es ist so schön hier, so schön! Und ich bin auch nicht allein. Hier wohnt mein Erinnern mit mir, als wär’ es noch immer ein Wirkliches, und jeder neue Tag hier ist für mich eine neue Freude, die mein stilles, einfaches Leben reich macht.“

Ettingen betrachtete sie schweigend, gefesselt von dem Reiz dieses ruhigen Lächelns, von dem reinen und schönen Glanz dieser stillen, tiefen Mädchenaugen. Und dann sagte er plötzlich:

„Wie glücklich, Fräulein, wie glücklich sind Sie in Ihrem guten Glauben, in Ihrer furchtlosen Freude, in Ihrer reichen Einsamkeit!“

„Glücklich? Ja, ich war es … und ich bin es!“

Ein leichter Windhauch, wie sanftes Sonnenatmen, strich über den blühenden Garten hin, und durch die Zweige des Harfenbaumes ging ein leises Flüstern. Doch die Glocken tönten nicht.

Ettingen blickte zu den Wipfeln hinauf, als hätte er sich im stillen gefragt: „Warum klingen sie nicht?“ Und da gewahrte er, was er bisher noch nicht gesehen hatte: daß an einem der Stämme ein kleines Bild mit hölzernem Dächlein angebracht war, nach Art jener „Martertäfelchen“, die das Landvolk zu frommem Gedächtnis an Stellen errichtet, an denen ein Unglück geschah oder eine wunderbare Rettung sich vollzog.

„Ein Bild?“

Ettingen erhob sich, um das hochhängende Bildchen besser betrachten zu können.

Das kleine Gemälde war wohl von Schnee und Regen schon übel zugerichtet, doch in Zeichnung und Farben noch deutlich zu erkennen. Man merkte gleich, daß die kundige Hand eines geschulten Malers dieses Bildchen geschaffen hatte, obwohl es ganz den steifen, naiven Stil und die grellen Farben der ländlichen Marterbildchen zeigte – es sprach beabsichtigter Humor aus dieser Anlehnung an den bäuerlichen Kunstgeschmack. Die Landschaft war trotz aller Karikatur ganz unverkennbar: dieser blaue Kreis, das war der Sebensee, diese giftgrünen Zungen, das waren die Almgehänge und Latschenfelder, diese gelben Zuckerhüte stellten die beleuchtete Sonnenspitze und ihre Nachbarberge vor, und diese sieben grüngefransten Spieße, die an die Bäumchen eines Nürnberger Spielzeugkastens erinnerten, das waren die sieben Wipfel des Harfenbaumes. In seinem Schatten kniete ein bärtiger Mann mit steifgefalteten Händen und einem schwebenden Kreuzlein über dem Scheitel. Vor ihm stand, mit segnend ausgestreckten Händen und von einem Heiligenschein umgeben, die Gestalt eines Weibes, das an Genoveva denken ließ, denn die gelösten Haare umhüllten gleich einem Mantel den streng und keusch gezeichneten Leib, dessen einziger Schmuck ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0078.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2023)