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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


„Emmerich Petri hat er g’heißen. Aber d’ Leut’, die haben halt allweil g’sagt: der Maler-Emmerle. In der ersten Zeit, wie er von der Münchnerstadt zu uns da ’raus ’kommen is und hat sich draußen in der Leutasch das Häusl ’kauft, da haben d’ Leut’ schon diemal ein bißl g’lacht über seine g’spaßigen Sachen. Aber nachher, ja, da haben s’ ihn fein gern mögen! Er is aber auch ein lieber, guter Mann g’wesen!“

„Er war ein Künstler?“

„Ein Kienschtler? Ah na! Gott bewahr’! Der is schon was Bessers g’wesen!“ beteuerte Pepperl, denn nach ländlicher Anschauung verstand er unter „Kienschtler“ nur die „Seiltanzler“ und „Kamödispieler“. „Wissen S’, ein Taferlmaler is er g’wesen … ein Marterl hat fein keiner net schöner malen können als wie der Herr Petri. Und die Heiligen, die er an d’ Häuser hing’malen hat, die schauen fein nobel aus. Und für ihm selber, da hat er diemal auch so Bildln g’malen … kleine und endsgroße …“

„Und Sie haben solche Bilder von ihm gesehen?“

„Aber freilich! Hängen ja draußten in sei’m Häusl noch alle Stuben voll. Sie, Herr Fürst, die Bildln, die müssen S’ Ihnen einmal anschauen!“ Pepperl kicherte lustig vor sich hin.

„Was da für narrische Sachen dabei sind! Am liebsten hat er allweil die jungen Buben g’malen, und völlig nacket … aber bloß in der oberen Hälft’,“ wieder kicherte Pepperl, „und statt die menschlichen Füß’ hat er ihnen allweil Gaisbockhaxln hing’malen. Und Rösser hat er g’malen mit Mannsbilderköpf’! Und Tigerkatzen mit Frauenzimmerg’sichter. Und Weibsbilder mit Karpfenschwanzln statt die Füß’! Und lauter so verruckte G’schichten …“ Pepperl schüttelte sich vor Lachen. „Gleich hinwerden könnt’ man vor lauter Gaudi, wann man so was anschaut!“

Auch Ettingen lächelte. Kentauren, Faune, Tritonen und Sphinxe – und dazu der Kunstverstand des guten Praxmaler-Pepperl: in diesem Kontrast lag eine Komik, der auch die ernste Stimmung Ettingens nicht zu widerstehen vermochte. Aber es widerstrebte ihm, noch weitere Fragen zu stellen. Schweigend trat er zum Tisch, warf die schon welk gewordenen Steinrosen über den Zaun und schmückte seinen Hut mit der Edelrose, die ihm Lolo Petri gereicht hatte.

Praxmaler riß die blauen Augen auf, als hätte er etwas ganz Unerhörtes erlebt, und stotterte:

„Aber, Duhrlaucht! Mar’ und Josef! Die Blümeln, die S’ da wegwerfen … das is ja der Bruch für ’n Hirsch!“

„Dieser Zweig gefällt mir besser!“

Pepperl schwieg; doch er schüttelte den Kopf und sah seinen Herrn von der Seite an. Daß es einen blühenden Zweig auf Erden geben konnte, der einem Jäger besser gefiel als der grüne Bruch für einen Vierzehnender – das war für ihn etwas völlig Neues und Unverständliches.

Ettingen setzte den Hut auf und griff nach dem Bergstock.

Da sagte der Jäger, als hätten seine Gedanken eine jähe Schwenkung gemacht: „Ja, schauen wir, daß wir heimkommen. Der Herr Kammerdiener wird eh’ schon auf der Paß liegen!“

Sie gingen zum Zaunthürchen, Pepperl mit langen Schritten voraus, während Ettingen zögernd folgte. Lächelnd blickte er noch einmal über die blühenden Beete hin und empor zu den still gewordenen Wipfeln des Harfenbaumes, die mit ihrem goldig umleuchteten Grün hinaufstiegen in das reine Blau des Himmels.

„Welch ein schöner, einzig schöner Morgen! Wie diese Luft sich atmet! Wie leicht und froh man sich fühlt … als ginge man einer großen Freude entgegen!“

Abermals schüttelte Pepperl den Kopf. Und nun seufzte er sogar. Denn er – in seinem verantwortungsvollen Herzen war der Gedanke an das „unb’hütete dumme Gansl“ wach geworden – er ging einer schweren Sorge entgegen.

Während sie dann schweigend auf schmalem Pfad über das Latschenfeld hinunterstiegen, fuhr der Jäger plötzlich aus seinen Gedanken auf und murmelte: „Was is denn das g’wesen jetzt?“ Er spähte über die Latschen hin.

„Was haben Sie?“ fragte Ettingen.

„G’wesen is mir, als hätt’ ich wen g’hört in die Latschen drin. Ich muß mich aber dengerst ’täuscht haben. Es rührt sich nix mehr.“

Sie schritten weiter und verschwanden im Schatten des nahen Waldes. Als ihre Schritte verhallt waren, rauschte es in den Latschen, und aus den Zweigen tauchte langsam das bleiche Gesicht Mazeggers auf.

Eine Weile stand der Lauschende unbeweglich und blickte mit funkelnden Augen gegen den Wald hinunter; in hartem Lächeln preßte er die schmalen blutlosen Lippen zusammen. Dann wand er sich langsam durch die dichten Büsche auf den Pfad hinaus. Hier legte er Büchse und Bergstock ab, kniete auf den Boden nieder und nahm mit zitternder Vorsicht aus seinem Rucksack ein blühendes Edelweißstöcklein hervor, dessen Erdballen mit einem Taschentuch umbunden war. Er entfernte das Tuch, kniff mit den Nägeln ein paar welk gewordene Blätter fort, schöpfte mit der Hand von dem Wasser, das neben dem Pfad in dünnem Faden sickerte, und besprengte den dürr gewordenen Wurzelballen und die erst halb entwickelten weißgrünen Blütensterne. In Unruhe und dennoch geduldig wartete er fast eine halbe Stunde, bis sich die schmachtenden Pflänzchen wieder erholt hatten und frisch erschienen.

Dann erhob er sich und stieg zum See hinunter. Als er den Waldsaum erreichte, spähte er mit heißen Augen ringsumher. Nun schlug ihm brennende Röte über das bleiche Gesicht, und hastig lehnte er Bergstock und Büchse an einen Baum.

(Fortsetzung folgt.)


Ein Kostümfest des Vereins Berliner Künstler.

Von Gustav Klitscher. 0 Mit Illustrationen von W. Pape.


Ein regnerischer, naßkalter, abscheulicher Winterabend. Vor dem schönen neuen Heim des Vereins Berliner Künstler in der eleganten Bellevuestraße fährt Wagen auf Wagen vor, und in dem vom elektrischen Licht hell durchfluteten Vestibül sammelt sich eine dichte Schar sonderbar vermummter Gestalten. Aber allmählich fallen die Hüllen, und aus den häßlichen Puppen schlüpfen buntfarbige, prächtige Schmetterlinge aus. Der merkwürdige Ritter in goldstrotzendem Wams mit Cylinder, Regenmantel und Gummigaloschen wird zum Tannhäuser, losgelöst von Kapes und Kapuzen stehen plötzlich in strahlender Schöne minnigliche „Frouwen“ da. Und nun geht’s vorwärts – in den Frühling hinein! Ein „Maienfest zur Zeit der Hohenstaufen“ soll gefeiert werden, so lautet die Einladung, und der Mai ist’s wirklich, der uns jetzt grüßt mit Maienlust und Maienfröhlichkeit. Wir steigen die große Mitteltreppe hinauf, deren grünender Pflanzenschmuck alle trübe Winternot vergessen läßt, und treten dort, wo sich sonst der Oberlichtsaal der Gemäldeausstellung befindet, in eine Frühlingslandschaft am Rhein. Unter einer mächtigen Eiche ist ein Wirtschaftszelt aufgeschlagen, ringsum grünende Berge, im Hintergrunde aber fällt der Blick auf Pfalz Caub und die Feste am Ufer. Und in der lachenden Aue tummelt sich eine fröhliche Menge in Trachten des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, alle Stände, jedes Alter, Männlein und Weiblein im bunten Gemisch. Da sind Ritter in Kettenhemd und Sturmhaube, Edelherren in Sammetrock und Seidenmantel, Bürger und Bauern. Fahrendes Volk singt Schelmen- und Liebeslieder und bittet die Zuhörer um eine Gabe (vgl. die untere Abbildung S. 81); ein Quacksalber naht, der berühmte Doktor Eisenbart in Person, und preist seine Mixturen an, Narren und Possenreißer, alle sind sie da, und dazwischen in schönem Kranz Frauen und Mägdelein die Fülle. Und alle wollen maienfröhlich sein, als sollte der Sänger jener Tage, Herr Walther von der Vogelweide, noch einmal Recht behalten, wenn er sagt:

„Jetzt im Maien mögt ihr schauen:
Wunders man gewahrt,
Seht die Herren, seht die Frauen,
Wie das stolz gepaart.
Ja er hat Gewalt.
Ob er Zauberlist ersonnen?
Wo er naht mit seinen Wonnen,
Da ist niemand alt!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0080.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)