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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

heiseren, zitterigen Stimme einen Jauchzer. Das machte den Förster aufmerksam, so daß er die wenig schmeichelhafte Charakteristik, die er just vom Bürgermeister entwarf, mit den Worten unterbrach: „Ui jögerl, Duhrlaucht! Haben S’ dem was ’geben? No, ich dank’ schön … der kauft sich wieder ein’ saubern Dampus dafür! Da haben S’ was Schön’s ang’richt’t!“

Nach wenigen Schritten kamen sie zu einer Stelle, an der sich von der Straße ein Fußweg gegen die Felder abzweigte.

„Gehen wir lieber über d’ Wiesen ’naus!“ meinte der Förster, „’s Dorf haben S’ ja g’sehen. Und drüben im Weiherwald, bei der Fischzucht, kriegen wir den schönsten Schatten.“

Sie wanderten über die vom frischen Heugeruch umdufteten Wiesen hin. Immer wieder blickte Ettingen über die Schulter nach den im Sonnenglanz verschwimmenden Baumkronen zurück, über deren leuchtendes Gezweig sich blinkend das grüne Schieferdach erhob. Dann plötzlich unterbrach er das Schweigen:

„Sagen Sie mir, wie starb dieser Mann?“

„Der Herr Petri? … Ja, Duhrlaucht, das is ein recht’s Unglück g’wesen! Der Mann is dag’standen wie ein Baum im besten Saft. Und den hat’ d’ Nächstenlieb’ am G’wissen! Im letzten Herbst war’s … da is in der Leutasch und im Gaisthal ein Wolkenbruch nieder’gangen, daß ich meiner Lebtag so was noch net mitg’macht hab’. Wie S’ da die Wiesen sehen, vom Wald bis ’nüber ins Dorf, is alles ein einziger Bach g’wesen, mit G’röll und Baumstämm’, die ’s daher trieben hat. Und droben, wo sich ’s Thal ein bißl zuspitzt, da war’s am ärgsten! Zwei Häuser und ein’ Stadel hat’s mitg’nommen, gleich am ersten Abend. Und gar am andern Tag, wie’s Wasser von die Gaisthaler Berg’ her’kommen is … da hat ein’ ’s Grausen ’packt. Wie die Verruckten sind d’ Leut’ in ihrem Jammer umeinander g’rennt. Bloß ein einziger hat ’s Köpfl in der Höh’ b’halten …“

„Herr Petri!“

„Ja! G’schafft und g’arbeit’t hat er wie ein Holzknecht, und Ratschläg’ hat er g’funden, wie man’s dem stillen, traumhappeten Mannderl gar net zu’traut hätt’! Sell droben, wo ’s Gaisthal anfangt und von links und rechts zwei Waldhügel ’reinsteigen gegen ’s Wasserbett … da, hat er g’sagt, da müssen wir ein’ Riegel legen und ’s Wasser brechen, damit’s den G’walt verliert. Mit die ersten Leut’, die bei ’nander waren, hat er d’ Arbeit gleich ang’fangt … und derweil is d’ Fräul’n Lo’ im Galopp auf ihrem Muli von ei’m Haus zum andern g’ritten und hat aus ’m ganzen Thal alle Mannsleut’ z’sammg’rufen, daß in der ersten Nacht noch über zweihundert Menschen bei der Arbeit waren! Am linken Ufer vom Wildbach is der Herr Petri g’standen mit seine hundert Leut’ … und mit ei’m Sprachrohr, das er aus einer Baumrinden g’macht hat, hat er’s Kommando allweil ’nüberg’schrieen über ’s Wasser, wo die andern hundert g’schafft haben. Die Weibsleut’ haben ’s Pech und ’s Staudenwerk z’samm’tragen müssen und ’s Feuer unterhalten, daß man zur Arbeit g’sehen hat in der Nacht … und d’ Männer und die Buben haben die Bäum’ g’schlagen zum Wehr. In der Fruh um Zehne, am zweiten Tag’, da haben die ersten Bäum’ im Wasser schon g’halten, und wie’s auf ’n Abend ’gangen is, da hat man schon hoffen können: ’s Wehr verhebt den ärgsten Schub. Aber d’ Leut’ sind fertig g’wesen mit ihrer Kraft, und schier mit G’walt hat der Herr Petri die letzten noch bei der Arbeit halten müssen. Wo ’s am schiechsten ausg’schaut hat, da is er allweil der erste vorndran g’wesen, damit er die andern ’s Beispiel giebt. ‚Mut, Leute, nur Mut,‘ hat er allweil g’schrieen und hat schon kaum nimmer reden können, ‚nur diese letzte Nacht noch, dann ist geholfen!‘ Und Recht hat er b’halten! Am dritten Tag in der Fruh hat sich ’s Wasser gegen ’s Gaisthal ’nauf zum Stauen ang’fangt und is mit aller Ruh’ über die Wehrbäum’ abg’laufen, und die ganzen Häuser sind aus der G’fahr g’wesen!“

Sie hatten den Wald erreicht und traten in den Schatten.

„G’wiß is ’s wahr … wär’ der Herr Petri net g’weseu, so hätt’ unser Leutascher Dörfl heut um ein Dutzend Häuser weniger. Aber teuer hat er’s zahlen müssen, sein christlichs Werk … der gute Mann! Ausg’halten hat er am gleichen Fleck’ zwei Nächt’ und anderthalb Tag’, tropfnaß bis auf d’ Haut und völlig mürb von der Arbeit. Nach der zweiten Nacht in der Fruh, wie er noch d’ Schildwachen aufg’stellt hat am Wehr, hat er sich gahlings verfärbt, und seine Knie’ haben aus’lassen. Und da hat er net einmal g’litten, daß man ihn heimtragt … es wird gleich wieder besser, hat er g’meint und hat sich ein Trunk Wein von der Fräul’n geben lassen, die so verschrocken war, daß ihr ’s G’sichtl ganz weiß worden is. Ein halbs Stündl hat er noch ausg’halten … nachher hat ihn ’s Fräul’n heimg’führt auf ’m Muli … und da hat’s kein Helfen nimmer ’geben. Lungenentzündung, hat der Doktor g’sagt … und da geht’s halt g’schwind! Die ganze Nacht sind d’ Leut’ ums Haus ’rum g’standen und haben g’meint, es müßt’ und müßt’ ihm wieder besser gehn. Aber auf Mittag um Elfe hat er sein’ letzten Schnaufer ’than … und der Doktor hat mir g’sagt: So hätt’ er noch nie ein’ Menschen net sterben, sehen! Im ärgsten Fieber hat er die B’sinnung net verloren, hat bloß allweil das arme Frauerl ’tröst’t, hat ’plauscht mit ’m Büberl, als ob gar nix wär’, und ’s Fräul’n hat er allweil bei der Hand g’halten und hat’s ang’lacht ein’ ums andermal. Z’letzt hat er noch von sei’m Gartl draußen am Sebensee g’redt … und das sind seine letzten Wörtln g’wesen: ‚Meine Blumen!‘ Nachher hat er aufg’schnauft und d’ Augen zug’macht wie einer, der weiß: jetzt fahr’ ich g’rad’ auf in Himmel, jetzt geht’s mir gut!“

Ettingen blieb stehen und blickte zu den sonnigen Wipfeln der stillen Fichten hinauf. Dann schritt er weiter und sagte leise vor sich hin: „Wer so zu leben wüßte, um sterben zu können wie dieser Mann!“

„Ja, Duhrlaucht, recht haben S’! So sollt’ sich der Mensch sein Leben einrichten, daß er d’ Augen zumachen könnt’ in jeder Stund’ und lachen dabei! Aber mein Gott, der Mensch is halt so viel dumm … und leben heißt narrisch sein. Was den richtigen Wert hat, schlagt man um kein’ Kreuzer net an, und für ein jeden nixigen Pfifferling legt man sei’m Leben ein Centnerg’wicht auf ’n Buckel! Bagaschi übereinander! Und ich g’hör’ selber dazu!“

Der Pfad hatte sie im Wald auf eine Höhe geführt. Man sah in ein schmales Thal hinunter, aus welchem drei große Weiher mit sonnglänzendem Spiegel durch die Bäume heraufleuchteten. Ein sanftes Murmeln klang von den Weihern her wie das Geplätscher vieler Quellen.

Der Förster blieb stehen und spähte durch den Wald hinunter. „Da, Duhrlaucht … da schauen S’ ’nunter … bei die Ursprüng’ drunten sitzt d’ Fräul’n Petri mit ihrem Taferl!“

Ettingens Augen leuchteten auf, und ohne ein Wort zu sagen, stieg er mit raschen Schritten durch den Wald hinunter gegen die Weiher.


9.

Als der Wald ein wenig lichter wurde, konnte Ettingen zwischen den Weihern ein großes Blockhaus sehen, eine Schiffhütte, und am Ausgang des schmalen Thals ein villenartiges Gebäude. Das wäre die Fischzuchtanstalt, erklärte der Förster und meinte: „Weil wir schon g’rad’ da sind … das müssen S’ Ihnen anschauen, Duhrlaucht. Wie die jungen Fischerln g’füttert und ’zogen werden, das is fein lieb zum betrachten! Wenn S’ Lust haben, lauf’ ich g’schwind vor zum Haus und schau, daß ich ein’ Fischknecht find’, der Ihnen ’rumführt!“ Er wartete eine Antwort gar nicht ab und eilte schräg durch den Wald davon.

Ettingen blieb unter den letzten Bäumen stehen. Doch er schien kein Auge für das lieblich schöne Bild des kleinen Thals zu haben – und das hätte doch einen Blick verdient. Von stillem Fichtenwald begrenzt und von blumigen Grasborten umzogen, lagen drei Weiher mit glitzernden Spiegeln stufenförmig übereinander, so daß sich aus dem einen das Wasser mit blitzendem Gefäll in den anderen ergoß. Weiße Seerosen und grüne Blätter schwammen mit sachter Bewegung im Wasser, und bald hier, bald dort sprang eine silberne Forelle auf. Vom obersten Weiher zog sich gegen den Wald eine schräge Felswand hin, die in allen Farben schimmerte und gleich einem Sieb von hundert Löchern durchbrochen war, aus deren jedem ein weißes Brünnlein sprudelte. Dieses sonnige Waldidyll mit all dem Gefunkel und Lichtgezitter des rauschenden Wassers gab ein Bild, das wohl einen Künstler zur Nachgestaltung reizen konnte. Und Lolo Petri saß auch vor der Staffelei so ganz in ihre Arbeit vertieft, daß sie die Schritte nicht hörte, die sich ihr näherten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0138.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)