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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


„O, gar nichts!“ spöttelte Madame Dormans. „Du sagtest bloß, daß dir hochgewachsene Männer besonders gefielen. Da der arme Didier nicht allzugroß ist, hat das seine Eigenliebe verletzt ... Er ist ein wenig eitel.“

„Ich wollte seine Eigenliebe gewiß nicht verletzen. Er kann ja nichts dafür. Aber er ist wirklich nicht groß, sogar bedeutend kleiner als ich.“

„Bedeutend? O, kaum merklich. Er hat trotzdem eine hübsche Figur!“

„Sag’, Mama, ziehst du es nicht auch vor, wenn Männer stattlich aussehen?“

„O – ja!“ Das Zugeständnis kam langsam von Madame Dormans’ Lippen. „Dein Papa war ziemlich groß. Aber man kann sich seinen Gatten doch nicht mit dem Meterstab aussuchen. Die Franzosen sind nun einmal im allgemeinen keine solchen Hopfenstangen wie die Preußen ... Wie ist denn unser Mieter? Groß oder klein?“

„Nicht übermäßig groß.“

„Jung? Doch das sagtest du schon. Wie sieht er sonst aus? Wie findest du ihn? Häßlich zum Furchteinflößen, sollt’ ich denken, oder wenigstens abgeschmackt gewöhnlich, mit Haaren, die wie schmutziger Hanf aussehen, ungeschlachten Gliedmaßen und porzellanblauen Augen, die nicht für zwei Sous Geist verraten. Hab’ ich’s getroffen?“

Unwillkürlich sah das junge Mädchen bei dieser Schilderung die schlankkräftige Figur in der knappen, kleidsamen Uniform vor sich, das ernste, männlich streng und doch fein geschnittene Gesicht mit den ganz kurz getragenen dunkelblonden Haaren und dem helleren, ziemlich langen Schnurrbart... Es war gebräunt bis zur Stirne, die weiß davon abstach, und die keineswegs porzellanblauen, wenn auch hellen Augen richteten sich fest und durchdringend auf denjenigen, der ihnen gegenüberstand. So wenig dies alles zu Madame Dormans’ schmeichelhaften Voraussetzungen stimmte, so antwortete Marguérite doch leichthin: „Ungefähr! Ich habe ihn übrigens kaum betrachtet und weiß nicht viel von ihm. Auf sein Aeußeres kommt es ja nicht an, nicht wahr? Und wäre er der Schönste, was kümmert es uns!“

Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München

Die Weidenpfeife.
Nach dem Gemälde von O. Piltz


„In dieser Beziehung bin ich deiner sicher. Du hast ein französisches Herz! Mit den Perrauls wirst du einen harten Strauß auszufechten haben ...“

„Ach nein, Du weißt, sie waren so ängstlich, so lange die Zimmer nebenan leer standen. Sie meinen, der Geist des seligen Monsieur Bolséque gehe in ihnen um. Und sie fürchten sich nicht vor ihm allein, auch vor Räubern und Einbrechern.“

„Ich weiß, ich weiß! Die Joß muß jeden Abend aufschließen, die leere Wohnung durchsuchen und unters Bett leuchten, um zu sehen, ob niemand dort versteckt ist. Ich vermute, sie halten einen Dieb für fähig, sich durch das Schlüsselloch einzuschleichen.“

Marguérite lachte über den Scherz der Mutter. „Die Armen! Diese ewigen Aengste! Es wird ihnen nur lieb sein, daß die Räume neben ihnen wieder bewohnt sind.“

Unterdessen war es ganz finster geworden, und Marguérite nahm von einem Seitentisch eine Lampe, zündete sie an und brachte sie zum Bett ihrer Mutter, wo sie sie auf das Nachttischchen stellte. Das Licht bestrahlte ihr Gesicht von unten herauf, und mit dem Abglanz des eben verflogenen Lächelns, der noch auf ihren Zügen lag, erschien die Tochter der Kranken so schön, daß diese davon betroffen wurde, als ob es ihr neu wäre. Die mußte doch jedem gefallen!

So kehrten ihre Gedanken zu dem früheren Gespräch zurück.

„Wenn Didier uns wieder besucht, willst du dann etwas liebenswürdiger mit ihm sein, mein Kind? ... Um meinetwillen?“

Marguerite blickte eine Weile stumm vor sich hin, dann leistete sie ohne Begeisterung, aber auch ohne Widerstreben das verlangte Versprechen.

Der Umzug war beendet; Detlev saß bereits mit einem behaglichen Gefühl des Heimischseins in seiner neuen Wohnung am Schreibtisch und schrieb aus der neuen Garnison den ersten regelrechten Brief nach Hause an seine liebe Mutter, die in Holstein bei seiner verheirateten Schwester lebte.

Das blonde Hausfräulein war bei seinem Empfang unsichtbar geblieben. Frau Joß allein hatte ihn bewillkommt und die Hoffnung ausgesprochen, daß er sich in seinem neuen Heim wohlfühlen werde. Als er dann nach angestrengtem Tagesdienst gegen Abend zum erstenmal heimkehrte, blickten ihm seine Zimmer blitzblank, staubfrei und tadellos aufgeräumt entgegen. Sein Bursche Stefan hatte unterdessen das Auspacken besorgt, und sogar Kisten und Koffer waren bereits auf den Speicher geschafft worden.

Detlev sagte dem Burschen ein Wort der Anerkennung, aber dieser gestand, daß er nicht alles allein geleistet hätte. Madame „Schoß“ habe ihm die Tochter zur Hilfe heraufgeschickt. „Mattmosell Schannett heißt sie, und sie hat natürlich mehr Schick dazu, hübsche Sachen einzuräumen, als unsereiner,“ schloß er bescheiden.

„Das wird wohl die kleine Rote sein, die ich just im Flur traf?“ meinte Detlev, halb fragend.

Stefan hätte nun gern berichtet, daß Mattmosell Schanett nicht rot sondern goldblond sei, aber konnte doch seinem Leutnant nicht widersprechen. „Kann sie Deutsch?“

„Zu Befehl, Herr Leutnant. Und ob! wenn ich so Franzö'sch könnte! Bloß ein wenig possig klingt es ... Die Schoß sind halbe Deutsche, Herr Leutnant. Was der Madame ihr Vater war, der stammte aus der Pfalz.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0157.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)