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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Er wußte nicht, welchem Umstand er das Interesse verdankte, das sich in ihrem Blick ausdrückte, wenn dieser Blick auch etwas Spähendes und Lauerndes hatte und keineswegs freundlichen Anteil verriet.

Man sprach zuerst vom Wetter, das auffallend milde war. Der Winter hatte bis jetzt eine fast südliche Zahmheit gezeigt.

„Bei Ihnen im Norden giebt es wohl nie solch warmes Dezemberwetter?“ fragte Madame Dormans.

Detlev war erstaunt, zu vernehmen, daß sie ein im ganzen fehlerfreies, wenn auch seltsam betontes Deutsch sprach.

„O doch! Solche Wetterlaunen kommen überall vor. Und das Klima in meiner Heimat ist überhaupt gar nicht so rauh, als man es sich vorstellt. Es giebt bei uns in Norddeutschland keine Eisbären, Madame …“

„So? Ich dachte, daß es dort wirklich welche gäbe!“ versetzte Madame Dormans spöttisch. „Es ist wohl sehr schön bei Ihnen?“

„Die Heimat ist immer schön,“ fiel Marguérite sanft ein.

„Das Fräulein sagt es: die Heimat ist immer schön … Aber meine Heimat ist es wirklich.“

„Mag sein, daß Deutsche das schön finden: Ebene, nichts als Ebene… Ich fände es langweilig. Aber ich kann nicht urteilen. Ich war nie in Deutschland. Wir Franzosen sind keine Wanderer. Nicht einmal Italien habe ich gesehen. Meine Tochter wird es schon besser haben. Ihr Verlobter hat versprochen, sie auf der Hochzeitsreise nach Italien zu führen...“ Während des letzten Satzes hielt sie ihre tiefliegenden Augen fest auf Detlevs Gesicht gerichtet … Detlev zuckte mit keiner Wimper, obgleich diese Erwähnung von Marguérites Hochzeitsreise ihm ein unangenehmes Gefühl erregte. Auch dem jungen Mädchen sah er an, daß die Worte ihrer Mutter sie peinlich berührten.

„Wird Ihre Hochzeit bald stattfinden, mein gnädiges Fräulein?“ fragte er mit möglichster Ruhe.

„O, nicht so bald!“ murmelte Marguérite ohne aufzublicken.

„Jedenfalls vor dem Frühling,“ entschied Madame Dormans. Und das Thema wechselnd, sagte sie leichthin: „Wie gefallen Ihnen eigentlich die Metzerinnen – ich meine die jungen?“

„Von den Einheimischen kenne ich nur – eine,“ sagte Detlev und blickte lächelnd auf Marguérite. „Die Damen, die ich sonst hier kennenlernte, gehören fast ausnahmslos deutschen Offiziers- und Beamtenfamilien an.“

„Das konnte ich mir denken!“ rief Madame Dormans lebhaft. „Der französische Typus ist wohl gar nicht nach Ihrem Geschmack?“

„O, warum nicht?“ gab Detlev zögernd zurück.

„Nun, er weicht doch sehr ab von dem Ihrer Landsmänninnen.“

„Wenn Sie meine Schwester kennten, würden Sie staunen, wie ähnlich im Aussehen sie Ihrem Fräulein Tochter ist.“

Madame Dormans verzog den Mund ein wenig. „Ist sie auch so hübsch – wie meine Tochter?“

Er fand das ein bißchen stark. „Beinahe!“ sagte er mit einer leichten Verbeugung.

„Aber, Mama!“ hatte Marguérite gemahnt, allein Madame Dormans war heute nun einmal übermütig. „O, Sie ziehen sich ja recht gut aus der Affaire!“ rief sie.

„Für einen Deutschen!“ ergänzte Detlev ruhig.

„Gut, sagen wir für einen Deutschen.“

„Das Bild meiner Schwester steht auf meinem Schreibtisch. Ich werde mir gelegentlich erlauben, es Madame zu zeigen. Sie werden sehen, daß es keine Anmaßung ist, sie mit Mademoiselle zu vergleichen.“

Madame Dormans blickte flüchtig nach ihrer Tochter. Sie erinnerte sich der schönen jungen Dame auf dem Schreibtisch, von der Marguérite einmal gesprochen hatte. „Ich will es ohne Beweis glauben,“ sagte sie frostiger als bisher. „Mademoiselle wird gewiß einmal einen reichen Mann bekommen?“

„Meine Schwester ist bereits seit zwei Jahren verheiratet. Ihr Mann ist reich, aber vor allem ein sehr guter Mensch.“

„Von Adel?“

„Allerdings,“ bejahte Detlev, ein wenig erstaunt über das fortgesetzte Verhör.

„Nun, von Adel ist mein Schwiegersohn wohl nicht, aber ein reizender junger Mann,“ plauderte Madame Dormans. „Und diese Kinder lieben sich so sehr!“

Marguérite warf ihrer Mutter einen flehenden Blick zu, und Detlev fühlte sich mehr und mehr befremdet. Er begriff nicht, warum Madame Dormans ihm das erzählte, das Zartgefühl ihrer Tochter verletzend. Er ahnte nur so viel, daß eine gewollte und keine unbewußte Taktlosigkeit vorlag, und entzog sich derselben, indem er sich empfahl.

„Mama, was sollte das alles?“ fragte nun Marguérite leise ihre Mutter.

„Ich wollte ihn sondieren. Er hat sich sehr stramm gehalten, das ist wahr. Aber verlaß dich drauf, meine neuliche Vermutung war doch richtig.“ Sie lachte zugleich geschmeichelt und höhnisch auf. „,Es giebt keine Eisbären dort oben,‘ sagt er. Oho, es giebt doch noch welche! Und verliebte Eisbären obendrein … Weißt du, was eine andere thäte an deiner Stelle? Sie würde ihm vollkommen den Kopf verdrehen, und wenn er dann besiegt zu ihren Füßen hinsänke, dann schlüge sie eine Lache auf, eine Lache …“

„Welche Ursache hätte ich, mich seiner Leiden zu freuen?“ fragte Marguérite traurig. Sie hörte ihre Mutter ungern so sprechen. „Er hat die Zustände nicht geschaffen, unter denen wir seufzen. Er fand sie vor, wie ich sie vorfand, als ich zum Bewußtsein erwachte … Gehörte er der besiegten Nation an …“

„So wäre er wohl weniger duldsam als ich,“ ergänzte Madame Dormans. „Gott, wenn Didier dich hörte! Der versteht wenigstens zu hassen!“

„Möchtest du, daß ich hassen könnte, Mama?“

„Ich wünsche es vielleicht nicht,“ gestand Madame Dormans. „Man ist wohl glücklicher ohne einen solchen Vulkan im Busen. Aber Didier? … Der sollte es wünschen … Denn wenn man nicht zu hassen weiß, dann kann man auch nicht recht lieben.“

„Glaubst du das wirklich, Mama?“

*      *      *

Die sonnigen Tage des Dezembers waren gezählt, denn bald darauf brach Frost ein, und auch Madame Dormans’ gute Zeit endigte schneller, als man hätte denken können. Eines Nachts war Detlev ungewöhnlich spät aus dem Kasino nach Hause gekommen und noch nicht schlafen gegangen, als er auf dem Flur einen Schrei zu vernehmen meinte. Er öffnete die Thüre und horchte hinaus in das Dunkel. Jetzt hörte er deutlich ein Stöhnen, dann flammte drüben ein Lichtschein auf, und Detlev vernahm ein Geräusch, wie wenn jemand in der Eile an Stühle stößt. Durch die Glasthür sah er den Schatten einer Gestalt, die zum Fenster eilte und es aufriß.

„Madame Joß! Madame Joß!“ klang es in den Hofraum hinunter, und zu gleicher Zeit wiederholte sich das Aechzen, das zu Detlevs Ohren gedrungen war.

Mit einem Sprung war Detlev im Vorraum und an der Glasthüre, an die er laut klopfte.

„Ach, Sie sind da, Madame Joß?“ erklang Marguérites Stimme im Ton der Erleichterung.

„Nicht Madame Joß, ich bin’s,“ berichtigte Detlev. „Ich hörte Madame schreien. Was ist ihr?“

„Der Herzkrampf! … Und so heftig …“

„Kann ich Ihnen helfen?“

„Wenn Sie Madame Joß wecken wollten … Sie hört mich nicht … Sie soll den Doktor holen …“

„Welchen Doktor? Wo wohnt er? Ich hole ihn.“

„Doktor Laurins, Rue Serpenoise 12 – Römerstraße,“ verbesserte sie, mit der ihr eigenen Besonnenheit daran denkend, daß sie mit einem Deutschen sprach, der vielleicht mit den französischen Straßennamen nicht Bescheid wußte.

Dann ließ sie ihn stehen und flog zur Mutter hinein, deren halberstickte Schmerzensrufe kaum einen Augenblick aussetzten.

Detlev rannte die Treppe hinab, um Madame Joß zu rufen, fand mit Mühe die Thüre und mußte mehrmals klopfen, bis man ihn drinnen hörte. Als endlich Madame Joß erschien und,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0179.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2020)